Politica | Interview

„Für Schwächere eingesetzt“

Senatorin Julia Unterberger über die SVP-Krise, Werte und aktuelle Herausforderungen. „Solange Arno Kompatscher Landeshauptmann ist, ist diese Partei für mich attraktiv.“
Salto.bz: Frau Unterberger, welche Werte stellen Sie bei Ihrer politischen Ausrichtung in den Vordergrund?
 
Julia Unterberger: Ich habe mich in meiner politischen Tätigkeit immer hauptsächlich für Schwächere eingesetzt. Neben dem Einsatz für die Autonomie sind meine Schwerpunkte Frauenrechte, Tierschutz und Umweltschutz. Ich setze mich auch für die sogenannten zivilen Rechte ein. Ich befürworte beispielsweise das Zan-Gesetz, die Legalisierung von Cannabis und die Sterbehilfe im Endstadium eines Lebens. Alle diese Gesetze sind zurzeit im Parlament in Behandlung. Ich war Berichterstatterin bei der Reform des Familienprozessrechts und habe ein Gesetz zum Tierschutz eingebracht. Da mein Einsatz für Frauenrechte in Rom bekannt ist, wurde ich nun zur Berichterstatterin für den Gesetzesvorschlag der Ministerinnen zur Gewalt gegen Frauen ernannt.
 
Wie sind Ihre Positionen in der SVP vertretbar?
 
Ich vertrete auch Positionen, die in der SVP nicht mehrheitsfähig sind.
 
Dadurch ist die Landwirtschaft in der SVP-Landtagsfraktion überproportional vertreten.
 
Als Senatorin sind Sie nicht auf die Mehrheit in der SVP angewiesen.
 
Ich bin in Rom die Vorsitzende der Autonomiegruppe im Senat und wir stimmen uns hauptsächlich innerhalb dieser Gruppe ab. Meistens werden bei Abstimmungen keine Vorgaben seitens der Partei gegeben. Wir sind eine Sammelpartei und haben zu gesellschaftspolitischen Themen oft unterschiedliche Meinungen. Etwa beim Thema Landwirtschaft. Da setze ich mich für die zukünftige Entwicklung mit weniger Massentierhaltung und biologischer Flächennutzung ein, im Gegensatz zur traditionellen Ausrichtung. Was uns aber als Sammelpartei eint, ist unser Einsatz für die autonomen Befugnisse.
 
 
Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, dass die SVP nur Partikularinteressen wie etwa vom Bauernbund oder dem HGV vertritt?
 
Das stimmt so nicht. Die SVP vereint in sich verschiedene Richtungen. Dann entscheiden natürlich die Wähler:innen, wem sie innerhalb dieses Gebildes mehr Kraft geben. Offenkundig verhält sich die Landwirtschaft bei den Wahlen sehr effizient und rational, während das Wahlverhalten von Frauen und Arbeitnehmer:innen nicht so gebündelt ist. Dadurch ist die Landwirtschaft in der SVP-Landtagsfraktion überproportional vertreten. Auf der anderen Seite vertritt der Landeshauptmann eine sehr soziale und fortschrittliche Politik. Solange eine Figur wie Arno Kompatscher Landeshauptmann ist, ist diese Partei für mich attraktiv. Wir sind zwar innerhalb der Partei nicht in der Mehrheit, aber es gibt dort noch genügend Personen mit fortschrittlichen Positionen und ähnlicher Weltanschauung.
 
Ein wichtiges Medium hat sich, wie so oft, gegen den Landeshauptmann positioniert, andere haben versucht gegenzusteuern.
 
Welchen Einfluss hatten die Medien in der SVP-Krise in Ihren Augen?
 
Einen großen Einfluss. Ein wichtiges Medium hat sich, wie so oft, gegen den Landeshauptmann positioniert, andere haben versucht gegenzusteuern. Es war nicht nur ein Kampf innerhalb der Partei, sondern auch eine Schlacht zwischen Medien. Jetzt haben SVP-Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher endlich einen Schulterschluss gemacht. Es ist zu hoffen, dass in der Zukunft solche Skandale nicht mehr passieren und wenn sie passieren, dass sofort reagiert wird.
 
Wie kann die SVP für Nachhaltigkeit werben und gleichzeitig weiter neue Straßen für den klimaschädlichen Autoverkehr erlauben?
 
Es wäre zu einfach, in einem Stopp des Straßenbaus die Lösung des Klimaproblems zu sehen. Die Angelegenheit ist viel vielschichtiger und wir alle müssen mithelfen. Wir brauchen eine Umstellung unser aller Lebensgewohnheiten, um unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Hier ist es die Aufgabe der Politik, die Verhaltensweisen zu fördern, die klimafreundlich sind. Dazu gehört auch der öffentliche Verkehr; aber nicht nur. Es müssen auch die Essgewohnheiten überdacht und der Fleischkonsum beträchtlich reduziert werden. Mir gefällt der Vorschlag des grünen Landwirtschaftsministers in Deutschland, die Mehrwertsteuer für Gemüse, Obst und Getreide abzuschaffen, um diese Produkte im Verhältnis zu Fleischprodukten günstiger zu machen. Außerdem gibt es sehr viele Technologien, um umweltfreundliche Energie zu erzeugen; in diese neuen Technologien muss investiert werden. Gleichzeitig wird man aber manchmal nicht darum herumkommen, eine Straße oder einen Parkplatz zu bauen. Man kann den Menschen nicht von einem Moment auf den anderen das Auto wegnehmen. Aber man muss in Richtung Alternativen wie Elektrofahrräder und öffentliche Verkehrsmittel arbeiten. Ich denke, das Maßnahmenpaket von Arno Kompatscher zur Nachhaltigkeitsstrategie ist gut durchdacht und geht in die richtige Richtung.
 
Teilen Sie meinen Eindruck, dass es besonders deutschsprachigen Südtiroler:innen schwer fällt, die italienische Politik zu verfolgen und zu verstehen?
 
Das kann ich nachvollziehen. Bevor ich in Rom war, habe ich die italienische Politik auch nur oberflächlich mitbekommen. Wir Südtiroler:innen schauen lieber deutsches oder österreichisches Fernsehen. Das fördert unsere deutschsprachige Kultur und ist deshalb auch eine unserer Stärken. Andererseits ist es schade, weil das italienische Angebot an politischen Sendungen erstaunlicherweise sehr groß ist. Verschiedene Sender analysieren über den Tag hindurch bis zum Abend das politische Tagesgeschehen. Dieses Angebot wird von den Südtiroler:innen offenkundig nicht genutzt und die Dynamiken der italienischen Politik sind nicht einfach zu verstehen.
 
Italien hatte immer schon das Problem, die EU-Gelder nicht termingerecht ausgeben zu können.
 
Im Sommer 2021 wurden die EU-Mittel für den Aufbau- und Resilienzplan PNRR von der EU bewilligt. Wie kommt die Umsetzung dieses Plans in Ihren Augen voran?
 
Italien hatte immer schon das Problem, die EU-Gelder nicht termingerecht ausgeben zu können. Daher steckt es in einem Dilemma; wird die Auszahlung der Gelder freier gestaltet, fördert das Land die Investitionen, aber auch die organisierte Kriminalität kann sich leichter bedienen.
Werden, um das zu vermeiden, bürokratische Hürden eingebaut, wird auch den Rechtschaffenen die Auszahlung der Gelder erschwert. Einen Mittelweg zwischen den Extremen zu finden, ist ein ständiger politischer Kampf. Vor allem rechte Parteien tendieren dazu die Bürokratie abschaffen zu wollen, um Unternehmen zu fördern. Linke Parteien und die Fünf Sterne bremsen, um die Kontrollinstrumente gegen die organisierte Kriminalität beizubehalten.
 
 
Welche Linie wird derzeit bei der Vergabe der PNRR-Gelder verfolgt?
 
In Bezug auf den PNRR gab es bereits mehrere Vereinfachungsdekrete. Allerdings gibt es immer sehr heiße politische Diskussionen in der Mehrheit, da diese sich aus sehr linken und sehr rechten Parteien zusammensetzt. Hier auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen ist schwierig. Beim Wiederaufbaufonds muss bei den Investitionen auf die drei Schwerpunkte Frauen, Jugend und Süden geachtet werden. Um beispielsweise die Chancengleichheit für Frauen zu fördern, will man ein flächendeckendes Kinderbetreuungsnetz aufbauen; allerdings wurde bisher meines Wissens nicht viel davon umgesetzt.
 
Wie ist die Zusammenarbeit im Kabinett Draghi im Vergleich zur Vorgängerregierung?
 
Die Mitte-Links-Regierung unter Conte II war viel homogener. Bei der aktuellen Regierung gibt es zu jeder Problematik völlig konträre Anschauungen. Die breitgefächerte Mehrheit hat aber auch einen Vorteil: Wenn sich die Regierungsmehrheit einmal geeinigt hat, kann sie ihre Beschlüsse im Parlament sehr einfach umsetzen. Unter der Regierung Conte II war das schwieriger. Da wurde jede Stimme benötigt, damit die Mehrheit nicht untergeht. Wir von der Autonomiegruppe wurden ständig angerufen, um in den Gesetzgebungskommissionen die Mehrheit zu stützen. Das war für uns zwar viel stressiger, gleichzeitig hatten wir aber eine größere Verhandlungsmacht und konnten auf unseren eigenen Anträgen beharren.
 
Italien entwickelt sich zu einem der wichtigsten Sprecher in Europa und zum verlässlichsten Verbündeten der USA.
 
Denken Sie, diese italienische Regierung hält bis zu den nächsten Wahlen?
 
Ich denke schon.
 
Wie beurteilen Sie die Gangart von Mario Draghi beim Ukraine-Konflikt?
 
Ich finde diese klare, lineare Gangart von Ministerpräsident Draghi sehr positiv.
Es ist richtig, dass die europäischen Demokratien die Ukraine, ohne Wenn und Aber, unterstützen. Auch wenn die Waffenlieferungen umstritten sind und die Embargos auch uns selbst schädigen. Im Gegensatz zu anderen Ländern und einigen Parteien in der italienischen Regierungsmehrheit vertritt Ministerpräsident Mario Draghi hier eine konsequentere Linie. Mit der Frage: ‚Wollen sie lieber eine funktionierende Klimaanlage oder dass der Krieg bald zu Ende ist?‘ hat er die Problematik kürzlich auf den Punkt gebracht. Auch bei der Beschlagnahme des Vermögens von Oligarchen war Italien rascher als andere Länder.
Mit Draghi hat Italien in Europa eine Position, in der es geachtet und respektiert wird. Es entwickelt sich sogar zu einem der wichtigsten Sprecher in Europa und zum verlässlichsten Verbündeten der USA.
Das hat auch Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Ein Land, in dem eine stabile und konsequente Politik gemacht wird, bekommt das Vertrauen der Anleger, ist kreditwürdiger und muss nicht so hohe Zinsen für seine Kredite bezahlen. Das ist ein großer Vorteil für die Wirtschaft.