Last Night in Soho
Der süße Ruf der Nostalgie, wer kennt ihn nicht? Das sich-besinnen auf Vergangenes, Zeiten wie Momente, Erinnerungen und Atmosphären, ist nur allzu oft verführerische Realitätsflucht. Besonders leicht fällt das nostalgisch-sein in Bezug auf eine Zeit, die man selbst gar nicht miterlebt hat, da das Bewusstsein, dass alles doch ganz anders war, nicht so romantisiert etwa, nicht von einem selbst, sondern höchstens von außen kommen kann. So lässt es sich wunderbar träumen und sich selbst vorstellen – zum Beispiel im London der 1960er Jahre, inmitten der Swinging Sixties.
Erzählerisch weiß der Film an manchen Stellen zu überraschen, er gibt sich jedoch mit einem Ende zufrieden, das sich den gängigen Erzählmustern unterwirft und die Geschichte in gewisser Weise wie eine verblassende Erinnerung erscheinen lässt.
So tut es Eloise alias Thomasin McKenzie, eine von zwei jungen Protagonistinnen in Edgar Wrights neuem Film Last Night in Soho. Lebend im Jetzt zieht sie vom Land in die große Stadt London, um dort Modedesign zu studieren. Schnell findet sie sich in einem modernen London wieder, der Stadtteil Soho, eine Ausgehmeile, entspricht jedoch nicht dem Bild, das die von den 60ern faszinierte Eloise so sehr herbeisehnt. Als es im Studierendenwohnheim aufgrund zwischenmenschlicher Unstimmigkeiten ungemütlich wird, zieht die junge Frau in ein eigenes Apartment, vermietet von einer alten Dame (Diana Rigg in ihrer letzten Rolle). Des Nachts beginnt Eloise zu träumen, und der Traum führt sie in die angesprochene Nostalgie, mitten hinein in die Swinging Sixties. Dort folgt sie der etwa gleichaltrigen Sandy (Anya Taylor-Joy), erfährt ihr Leben im langsam heller werdenden Rampenlicht, und flieht fortan jede Nacht in die wunderbar schillernd scheinende Parallelwelt, kultiger Musik, Mode und schlicht gesagt, Klasse und Stil inklusive.
Visuell zitiert er immer Dario Argento und George A. Romero, inszenatorisch erinnert manches an Nicolas Roeg und Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) oder die frühen Filme von Roman Polanski.
Mehr sei zur Handlung von Wrights neuem Streich nicht gesagt. Der Brite, der sich vor allem als Kopf hinter handwerklich ausgeklügelten, sich dabei vor allem auf Stilistik konzentrierenden Komödien hervorgetan hat, etwa mit Filmen wie Shaun of the Dead (2004), Hot Fuzz (2007), oder zuletzt Baby Driver (2017), war in der Vergangenheit nicht unbedingt für tiefgründige Stoffe bekannt. Nun erfolgt mit Soho ein radikaler Genre-Wechsel, und einher geht eine Abkehr vom gängigen Wright-Stil. Keine schnellen Montagen mehr, keine visuelle Comedy, dafür Suspense, Traumsequenzen und Gesellschaftskritik. Denn im Kern erzählt der Film von der Rolle der Frau in den 60er Jahren. Anders als es die eingangs angesprochene Nostalgie und die damit einhergehende Verklärung einer Ära es vermuten lassen, war die Situation der Frau nämlich schon damals vor allem eines: Prekär, um nicht zu sagen, beschissen. Um wer zu sein, muss mehr getan werden, als zu sein. Der Mann muss in seinen Forderungen bestätigt werden, Soho erzählt in dieser Hinsicht vom Showbusiness. Wright entzaubert so nicht nur die Branche, in der er selbst tätig ist, von der aber heutzutage kaum mehr wer einer Verklärung aufsitzt, sondern auch die Ära der 1960er, die er selbst so sehr liebt. Auch er hat diese Zeit nicht selbst erlebt, Wright ist Jahrgang ´74. Mit der von ihm verehrten Zeit geht er hart ins Gericht, von dem schillernden London der Swinging Sixties bleibt am Ende nicht viel übrig, so viel sei verraten.
Um seine betont düstere Geschichte zu erzählen, bedient sich Wright an seinen Vorbildern. Zahllose Anspielungen an Filmklassiker, besonders des Horrorkinos, aber auch der italienischen „Giallos“ zeugen davon. Visuell zitiert er immer Dario Argento und George A. Romero, inszenatorisch erinnert manches an Nicolas Roeg und Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) oder die frühen Filme von Roman Polanski. Auch David Lynch strahlt hier und da durch, etwa durch das anfangs genutzte Motiv der Doppelgängerin, Sandy ist, so scheint es zunächst, eine Traumfigur und damit Eloises Inkarnation in den 60ern. Erzählerisch weiß der Film an manchen Stellen zu überraschen, er gibt sich jedoch mit einem Ende zufrieden, das sich den gängigen Erzählmustern unterwirft und die Geschichte in gewisser Weise wie eine verblassende Erinnerung erscheinen lässt. Es bleiben kaum Auswirkungen auf das Jetzt, kaum ein Umdenken findet statt. Das Ende wirkt mutlos. Vielleicht tut man dem Film mit diesem Vorwurf aber auch unrecht, und er passt sich lediglich der außerfilmischen Realität an. Denn es lässt sich vor allem feststellen, dass aus der Vergangenheit keine Lehren gezogen wurden. Seit den 1960ern hat sich im Kern für die Frau nichts geändert. Das ist die eigentlich wichtige Erkenntnis aus Last Night in Soho.