“Die Spaltung in der Union ist groß”
In der Frage um den Kanzlerkandidaten der Union war in Deutschland ein wahrhaftiger Machtkampf zwischen Armin Laschet (CDU), dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, und dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) ausgebrochen. Nun ist die Entscheidung gefallen: Der CDU-Bundesvorstand hat sich in einer Abstimmung für Laschet entschieden. Am Dienstagmittag akzeptierte Markus Söder in einer Stellungnahme diese Entscheidung. Fraglich bleibt, welche Folgen die Stimmung der vergangenen Wochen mit sich bringt und wie die Union sie vertragen wird, auch in der Bundestagswahl. salto.bz hat dazu mit Heribert Prantl gesprochen. Das ehemaliges Mitglied der Chefredaktion sowie langjähriger Leiter der Ressorts Innenpolitik und Meinung bei der Süddeutschen Zeitung ist weiter als Kolumnist und Autor bei der SZ tätig.
salto.bz: Herr Prantl, wie schätzen Sie das Statement ein, mit dem Markus Söder auf die Entscheidung der CDU reagiert hat, dass nun Armin Laschet Kanzlerkandidat der Union werden soll?
Heribert Prantl: Es war ein klares Statement. Markus Söder hat es aber verstanden, in seine Rückzugserklärung noch ein paar kleine Giftigkeiten einzustreuen. Er bedankte sich bei “den Jungen, bei den Mutigen, bei den Modernen”, bei denen, die ihn unterstützt haben und die er so bezeichnet hat. Damit war folglich die Erklärung verbunden, dass diejenigen, die sich für Laschet ausgesprochen hatten, die Alten seien, die Unmutigen, die Unmodernen. Der CSU-Generalsekretär Blume hat noch eins draufgesetzt, indem er sagte, der Kandidat Markus Söder sei der Kandidat der Herzen gewesen. Es war ein selbstwusster Rückzug, ein Rückzug in eine Rückfallpostition.
Diese Auseinandersetzung war ein Machtkampf, der bittere Spuren hinterlässt
Die Kanzlerkandidatenfrage ist damit am Dienstag für die Union erst einmal geklärt worden. Könnte es allerdings noch zu einem Nachspiel kommen?
Ein Nachspiel der Gestalt, dass Markus Söder sich nicht an seine jetzige Erklärung hält, ist wirklich nicht mehr vorstellbar. Es gab am Dienstagvormittag noch Überlegungen von allen möglichen Leuten, ob Markus Söder vielleicht ein Hintertürchen findet, um auch die Entscheidung des CDU-Vorstandes noch einmal zu hinterfragen. Allein der Verdacht, er könne ein solches “Hintertürchen” suchen, zeigt schon, wie wenig man Markus Söder traut. Er gilt nicht als einer, der sich an sein Wort hält. Aber von seiner Erklärung am Dienstagmittag kann er nicht zurücktreten. Es muss sich jetzt zeigen, ob und wie sich Söder und die CSU bemühen werden, die Gräben, die man gegraben hat, wieder zu beseitigen.
Keine leichte Aufgabe?
Die Spaltung in der Union ist groß, der Riss geht tief. In seiner Rede erinnerte Markus Söder an den Trennungsbeschluss von Kreuth 1976, als Franz Josef Strauß die Frakionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag auflösen wollte. Und auch an die heftigen Konflikte der Seehofer-CSU mit der Merkel-CDU im Sommer 2018 mit Hinblick auf die Flüchtlingskrise. Er erinnerte also an tiefeste Zerwürfnisse und meinte, die Situation von heute sei damit nicht vergleichbar. Sie ist es doch. Diese Auseinandersetzung war ein Machtkampf, der bittere Spuren hinterlässt. Dieser Machtkampf wird nicht in einer Woche, einem Monat, und auch nicht in einem halben Jahr vergessen sein. Die Auseinandersetzung wird den Wahlkampf überdauern und sie wird auch den den politischen Konkurrenten der CDU/CSU, Olaf Scholz von der SPD und vor allem Frau Baerbock von den Grünen helfen.
Armin Laschet kann stärker sein, mehr aushalten und durchsetzungsfähiger sein, als viele es geglaubt haben
Lange Zeit dementierte Markus Söder Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur. “Mein Platz ist in Bayern”, wiederholte er öfters. Was hat ihn dazu bewegt, sich trotzdem ins Spiel zu bringen? Und wie sehr hat ihm bzw. seiner Glaubwürdigkeit das angesichts seiner “Niederlage” gegen Laschet geschadet?
Der zweite Vorname von Markus Söder ist nicht Glaubwürdigkeit, das war er noch nie. Söder ist auch inhaltlich schwer fassbar und sehr widersprüchlich. Das war in allen möglichen Fragen schon so, ob bei den Themen Naturschutz oder Asylpolitik. Er ist nicht derjenige, der durch seine Haltung oder durch Klarheit überzeugt, sondern durch massives, manchmal triumphalistisches Auftreten. Das hat diejenigen überzeugt, die Söder noch nicht so gut kannten. So richtig bekannt ist Söder auf Bundesebene ja erst während der Corona-Krise geworden. Bei jeder Sitzung der Ministerpräsidenten und auf Pressekonferenzen neben Angela Merkel sah man ihn sitzen. Er hat von seiner Präsenz auf der Bundesbühne in der Corona-Krise profitiert und konnte diejenigen, die ihn noch nicht so gut kannten, von seiner Überpräsenz überzeugen. Und dann hat er sich an seinen schönen Umfragewerten berauscht. Das ist verständlich bei einem Politiker, der noch vor ein paar Jahren desaströse Umfragewerte hatte.
Umfragen reagieren natürlich zunächst auf Darstellung, deswegen hat Markus Söder versucht, mit ihnen zu punkten
Wie sehr hat der Konflikt mit Söder an Armin Laschets Kräften gezehrt?
Die Konkurrenz hat gezehrt – und sie hat Laschet stärker gemacht. Warum? Laschet hat etwas gezeigt, das ihm manche gar nicht so zugetraut hatten, nämlich Stehvermögen, Hartnäckigkeit, Durchsetzungsvermögen, Entschlossenheit. Er hat also Eigenschaften gezeigt, die man Söder zugeordnet hatte. Der gilt als politischer Bulldozer, als Machtmensch, als Rambo. Das ist so übertrieben, wie in der öffentlichen Darstellung vieles übertrieben wird. Er ist vor allem ein begnadeter Selbstdarsteller – und jemand, der seine Politik ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzt. Selbst seinen CSU-Leuten ist in den letzten Wochen insgeheim ein wenig blümerant geworden, weil man das Gefühl hatte, Söder brutalisiere die Auseinandersetzung mit der Laschet-CDU auf Kosten der gesamten Union. Wäre Söder aus dem Machtkampf als Sieger hervorgegangen – wir würden jetzt darüber reden, welches politische Programm er überhaupt hat.
Wie sieht das aus?
Das Programm lautet vor allem “Ich”. So etwas beeindruckt eine Zeit lang, das haben wir etwa bei Trump in den USA gesehen, aber nicht auf Dauer. Was haben wir gelernt? Armin Laschet, der Parteivorsitzende der CDU kann stärker sein, mehr aushalten und durchsetzungsfähiger sein, als viele es geglaubt haben. Es ist vielleicht nach wie vor so, dass Laschet unterschätzt und Söder überschätzt wird. Jetzt lernen womöglich viele, dass man diesen Armin Laschet nicht unterschätzen darf. Man darf sich da an den frühen Helmut Kohl erinnern.
In der Debatte um den richtigen Kanzlerkandidaten wird viel über Umfragewerte geredet, über Repräsentanz und über Basisnähe. Verliert die Union selbst das Vertrauen in ihre demokratisch gewählten Gremien?
Jeder sucht Argumente für seine Positionen. Diejenigen, denen da die Umfragewerte helfen, berufen sich auf sie. Das ist verständlich – aber noch kein neues Indiz für ein institutionelles Misstrauen. Jeder weiß doch: Umfragen ändern sich schnell – und wenn man allein auf der Basis von Umfragen entscheiden wollte, könnte man sich von der Forschungsgruppe Wahlen, von Infratest oder Forsa, also von der Chefin oder vom Chef eines Meinungsforschungsinstituts, regieren lassen. Söder und seine Freunde haben die Trumpfkarte Umfragen halt deswegen ausgespielt, weil die Umfragewerte ihnen beigesprungen sind. Umfragen springen auch schnell wieder anders. Und wie gesagt: die schlechten Werte für Söder sind noch nicht so lange her. Bei der letzten Landtagswahl 2018 in Bayern hat er ganz fürchterliche Ergebnisse eingefahren. 2018 war das schlechteste Ergebnis für die CSU ever. Die CSU ist damals auf 36,7 Prozent abgestürzt, also 10 Prozentpunkte weniger als in der Landtagswahl davor. Söders gute Umfragewerte von heute resultieren daraus, dass er es in der Corona-Krise verstand, sich stark darzustellen. Dabei sind die Corona-Zahlen und die Erfolge der Corona-Politik in Bayern bekanntlich nicht besser als die in Nordrhein-Westfalen, sondern da und dort eher schlechter. Das heißt, Markus Söder ist ein guter Darsteller von Politik, aber seine Politik ist nicht unbedingt überzeugend. Umfragen reagieren natürlich zunächst auf Darstellung, deswegen hat Markus Söder versucht, mit ihnen zu punkten.
Man darf sich bei Armin Laschet an den frühen Helmut Kohl erinnern
Sie sprachen jüngst von einer Erdbebenmessung in der Union. Von der “erschütternden” Auseinandersetzung und von den “Seismologen”, die analysieren, was die CDU/CSU erschüttert. Ist es gut, dass eine solche Analyse in der Debatte stattgefunden hat, oder gab es eine fast schon übermäßige Aufmerksamkeit für den “Machtkampf” zwischen Laschet und Söder?
Natürlich ist es immer wieder faszinierend, wenn zwei Konkurrenten der größten Partei Deutschlands bis aufs Blut fechten. Und die Motive, warum sie es machen, sind auch interessant. Man darf aber nicht nur auf die Eruptionen schauen, auf die Umfragen, auf die seismologischen Ausschläge, man muss auch und vor allem die Politik analysieren. Es ist zu wenig über Inhalte geredet worden. Und die Politik von Markus Söder ist nicht gerade luzide und haltungsstark, er ist sehr sprunghaft, knallig und schlagzeilenheischend; Laschets Politik ist eher unspektakulär. Er produziert weniger Schlagzeilen. Aber er hat Eigenschaften, die ein künftiger Kanzler oder eine künftige Kanzlerin braucht: ausgleichend sein, über Gräben hinweg Brücken schlagen. Nicht ganz ohne Grund hat Armin Laschet die “Brückenschlags”-Metapher im Zusammenhang mit Corona erfunden.
Als CDU-Vorsitzender wird er selbst als Brückenbauer, als Versöhner gesehen.
Laschet sieht seine politische Rolle und Aufgabe darin, Brücken zu bauen und Differenzen zu überwinden. Das ist gewiss nicht alles, gehört aber zu einer demokratischen Politik, das ist eine demokratische Kernfähigkeit. Es geht um Zukunftsgestaltung, nicht darum, den Populismus von Donald Trump zu wiederholen oder napoleonische Gelüste zu befriedigen. Natürlich wünschen sich viele Menschen in Corona-Zeiten und in einer immer komplexer werdenden Welt, dass die Dinge einfacher wären. Dann sucht man nach einfachen Lösungen und nach Politikern, die einfache Lösungen vertreten und sich als “stark” anbieten. Diese habituelle Stärke hat Söder. Das ist wohl auch die Faszination, die er ausgelöst hat. Wenn sogar in seiner Partei leise gesagt wird, er habe etwas von einem “fränkischen Trump” an sich, ist das eigentlich keine Schmeichelei.
Aus dem jetzigen Desaster kann eine Katastrophe werden, das Desaster kann aber auch noch in einen verträglichen Wahlkampf übergehen
Diese ganzen Entwicklungen geschehen in der Post-Merkel-Ära, die sich nun ankündigt. Wie könnte das politische Deutschland nach den Wahlen im Herbst aussehen?
Da befinden wir uns im Bereich der wilden Spekulationen. Ich glaube, es war noch kein Wahlkampf so wenig kalkulierbar wie dieser. Corona ist noch nicht zu Ende. Corona wird diesen Wahlkampf prägen. Jetzt zu sagen, die CDU oder die Grünen gewinnen die Wahl – das wäre keine seriöse Prognose. Die Grünen machen sich Hoffnungen, dass sie angesichts der CDU/CSU-Krise weiter wachsen, die aktuellen Umfragen sehen ja die Grünen sogar vor der CDU/CSU. Es gibt viele Hoffnungen und viele Befürchtungen. In der Union gibt es Furcht davor, weiter abzustürzen. Die Hoffnung bei den Sozialdemokraten ist die, endlich das Tal der Tränen durchschritten zu haben und wieder zu ordentlichen Werten zu kommen. Die Hoffnung der Grünen ist, dass sie die Kanzlerin stellen. Die wilden Hoffnungen und die wilden Befürchtungen zeigen, dass fast alles möglich ist. Gewiss ist: Die politischen Karten in Deutschland werden bei der Bundestagswahl im September neu gemischt, und welche Karten dann stechen, wird sich bei den Koalitionsverhandlungen in den Wochen nach der Wahl dann zeigen.
Verträgt die Union so viel Konflikt und die dazugehörige Stimmungsmache der jetzigen Zeit?
Ein Wahlförderungsprogramm war das nicht, was die letzten Wochen in der Union abgelaufen ist. Es war ein bitterer Kampf, der der CDU und der CSU geschadet hat. Es wird jetzt auch davon abhängen, wie klar, wie ehrlich sich Söder und die CSU zu ihrem Spitzenkandidaten und Kanzlerkandidaten positionieren. Aus dem jetzigen Desaster kann eine Katastrophe werden, das Desaster kann aber auch noch in einen verträglichen Wahlkampf übergehen. Söder hat Laschet als Kanzlerkandidaten akzeptiert. Auf seine politische Ambitionen hat er nicht verzichtet. Er sieht sich weiter als den besseren Mann, der eben aktuell nicht zum Zuge kam. Wie er mit dem Gefühl, der eigentlich sehr viel Bessere zu sein, Wahlkampf an der Seite von Laschet und der CDU macht – es wird spannend sein, das zu beobachten.
Die Grünen, die Spd und die
Die Grünen, die Spd und die Linken könnten nach den Wahlen im Herbst die Karten neu mischen und endlich aufzeigen welchen Weg die Gesellschaft nach der Corona-Krise einschlagen sollte/muß um die Zukunft "menschlicher" zu gestalten.
Oder nicht !?
In risposta a Die Grünen, die Spd und die di alfred frei
"könnten", ja vielleicht,
"könnten", ja vielleicht, besser sollten oder müssten, wenn es die Zahlen hergeben. Aber ich traue den sogenannten Sozialdemokraten nicht, die sind die letzten Jahrzehnte so wirtschaftslastig geworden, dass ich an eine Trendumkehr einfach nicht glauben kann. Dann noch eher Schwarz-Rot-Gelb.
Auch eine noch so geistreiche
Auch eine noch so geistreiche Analyse des Herrn Prantl kann nichts daran ändern, dass die Sturköpfe der CDU mit ihrer Fehlentscheidung den Grünen den Weg ins Kanzleramt geebnet haben, wie auch die jüngsten Umfragen zeigen. Das sehe ich keineswegs negativ, den Frau Baerbock als Kanzlerin wäre mir auf jeden Fall lieber als dieser Laschet.
Ich finde es positiv, dass
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