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Zeit- und Zeltworte

Sebastiano Mondadori eröffnete die Neuauflage der Literaturreihe „Zeitworte / Parole del tempo“, erstmals unter ZeLT-Regie eine Neuauflage zur fünften Ausgabe des Edizioni Alpha Beta Verlag-Projekts. Neu auch das Zeitwort – „Ausschluss / Esclusione“.
Stefano Zangrando und Sebastiano Mondadori, ZeLT Alpha Beta Zeitworte 2025
Foto: Florian Dariz
  • Es passiert nicht oft, dass sich Schriftsteller vor Veröffentlichung eines Buches in die Karten blicken lassen. Vier Bücher zu den beiden Zeitwort-Paaren „Gleichgültigkeit / Indifferenza“ und „Ressentiment / Risentimenti“ haben Edizioni Alphabeta in Zusammenarbeit mit dem Innsbrucker Limbus Verlag bereits vorgelegt. Bei den bereits zwischen zwei Buchdeckeln gedruckten Worten, wie auch bei den neuen, die sich (noch) auf losen Seiten finden, wird jeweils auch eine Übersetzung angefertigt. Wenngleich der Abend zur Erklärung des Formats beigetragen hat, bekommt man von den Vorgängerausgaben mehr beim Googeln mit. Das ZeLT – ein SAAV Projekt das sich als Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung ausschreibt – dachte am Freitag den 9. Mai erstmals das Format neu. 

    Nun „touren“ vier Schriftsteller:innen nebst Sebastiano Mondadori auch Marlene Streeruwitz (14. Juni in der Stadtbibliothek Brixen), Elvira Mujčić (8. August in der Stadtbibliothek Bruneck) sowie am 5. September Kurt Lanthaler in der Stadtbibliothek Meran) durchs Land und stellen ihre entweder in italienischer oder deutscher Sprache verfassten Texte vor. Nach vier Bänden mit Erzählungen und racconti steht den Schreibenden diesmal die Wahl der literarischen Gattin offen. Sebastiano Mondadori entschied sich mit „La magra“ dennoch für eine Erzählung, die er - für italienische Verhältnisse ausführlich und bislang vollumfänglich - im Centro Trevi am Freitag erstmals vor Publikum las. Auch für den Autor ein Novum, der vor Beginn der Lektüre an Gesprächsführer Stefano Zangrando diese Beichte abgab: Ein Buch oder einen Text in Form einer Lesung vorzustellen, das hatte der Autor mit umfangreicher Erfahrung mit den „presentazioni dei libri“ auch noch gehabt. 

  • Exklusiv: Die Bekanntgabe von „Ausschluss - Esclusione“ als Zeitwort und gefundener, literarisch zu über-setzender Begriff erfolgte Anfang März in Papierschiffform. Foto: M. Denicolò/ZeLT

    So war der Auftakt-Akt des ZeLT, des Zentrums für Literatur und Übersetzung, bei den Zeitworten auch eine Art Übersetzung im Format. Bevor es aber an den zwischen Toskana und Ligurien fließenden Fluss – genauer nach Carrara – zur gleichnamigen Protagonistin gehen sollte, unterhielten sich Zangrando und Mondadori über den Anfang März hinter verschlossenen Türen abgehaltenen Wortfindungs-Prozess.

    In größerer Runde diskutierten neben den geladenen Autoren Kurt Lanthaler und Sebastiano Mondadori sowie den Autorinnen Elvira Mujčić und Marlene Streeruwitz auch die Übersetzerinnen Donatella Trevisan und Alma Vallazza wie auch die Verleger. Beide beauftragten Autoren und beide Autorinnen hatten ein Wort im Gepäck, das sie als Zeitwort oder Parola del tempo kandidierten, am Ende sollte es keines der vier Worte werden. Sebastiano Mondadori, der selbst das Wort „dispersione“ mit in die Runde brachte, sah in der schließlich gefundenen „esclusione“ so etwas wie eine Synthese mit Schnittmengen zu allen vier vorgebrachten Vorschlägen.

    Auch zeigte sich Sebastiano Mondadori über Sprachgrenzen hinweg vom „personaggio vulcanico“ des Kurt Lanthalers angetan, der im Gespräch von einer Sprache zur anderen changierte und das Altgriechisch wohl nur ersparte, weil zum zusehenden Aufheizen die Krapfen gekommen waren. Wer aber ist diese „magra“, bei der Mondadori auch an die Gedichte von Vittorio Sereni denkt?

  • Keine magere Kost

    Übersetzung: Von „über einen Text sprechen“ zu „einen Text sprechen“ ist ein neuer Modus gefragt. Sebastiano Mondadori zeigte sich am Ende, lang nach Abklingen anfänglicher Nervosität, durchaus verdientermaßen selbstzufrieden. Foto: Florian Dariz

    Ganz anders als der Ton des Lyrikers ist jener der magra, der damit auch zu jenem der Erzählung wird. Sebastiano Mondadori hat beide, Erzählung wie Erzählte, mit der Form der sogenannten erlebten Rede in der Sprache des Abends „indiretto libero“ zu Papier gebracht. Erzähler und Sujet sind nicht mehr klar zu trennen, färben und prägen einander und die „parolacce“ der Protagonistin, einer alleinerziehenden jungen Mutter Anfang 30, die es nicht leicht hat, muss auch der Autor in den Mund nehmen. Hierfür entschuldigt er sich vorab wohl weniger beim jungen als beim älteren Publikum. Die magra ist eine Erzählung von ausgeprägter Kargheit und Aussichtslosigkeit, die dem Zuhörer und später hoffentlich auch dem Leser lediglich eine Handvoll Details für einzelne Szenen gibt. „Zwei, drei Details knipsen die Fantasie an, mehr und sie schaltet ab.“, meint er zur kargen Sprache seiner Erzählung, betont nach Ende der Lektüre aber auch, dass er sich darauf freue, seine Geschichte weiter auszuarbeiten. Insbesondere die Figur des Lando, des Vaters von Michele, dem vierzehnjährigen Sohn der magra, im bisherigen Text eine auffallende Abwesenheit von dessen Schicksal wir nur andeutungsweise erfahren, will der Autor noch etwas ausbauen. Es könnte spannend sein, aus Sicht der magra noch mehr über ihn zu erfahren.

    Den besonderen Reiz der gehörten Erzählung machen allerdings auch einige Unschärfen aus, die sich erst später auflösen und dann auch nur teils. Etwa, was die Ausgrenzung der magra anbelangt, die zu Beginn der Erzählung vor allem an Aspekten ihres Dialekts festgemacht wird, was für das Publikum eine vielleicht nicht von allen geteilte, aber doch nahe Realität darstellt. Der Dialekt aus der jenseitigen Flussregion Ligurien schwingt bei der magra jedenfalls mit, es bleibt dennoch ein allgemeines Unwohlsein mit dem Umfeld der magra und auch dem Setting, das für den Autor zu jenen „wunderschönen Orten, die Angst machen“ zählt. Der Autor schöpft aus Erfahrungen vor Ort, sieht sein Schreiben stets als deskriptiv, nicht präskriptiv. Man darf gespannt sein, wie sich diese ungewöhnliche Frau, die von ihrem Umfeld als eine freizügige Frau gewertet wird und damit sowohl begehrt als auch verachtet wird, entwickelt.

  • Gesprächsstoff: Im Publikum, wenngleich nicht in erster Reihe, nahm auch Alpha Beta Ex-Direktor Aldo Mazza an der Veranstaltung teil. Nach La magra gab es einiges zu diskutieren, nicht nur für diese drei Herren. Foto: Florian Dariz
  • Einflussname durch das Publikum

    Neben einer allgemeinen Einführung ins neu gestaltete Format und einer Lesung – auch künftig wird man zuerst auf die Originalsprache setzen – wurde am Ende noch Zeit für Publikumsfragen eingeräumt. Die Unterhaltung begann erst verhalten, mäandrierte da und dort hin, ohne aber auszuufern. 

    Den nächsten Abend siedelt man – zur Erinnerung – am 14. Juni mit Beginn um 19 Uhr in der Stadtbibliothek Brixen an. Dann wird es im Rahmen des Lyrikfestivals W:ORTE aus Innsbruck für den einzigen Auslandstermin des Festivals mit der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz im Gespräch mit Donatella Trevisan um einen anderen Zugang zum Thema „Ausschluss“ gehen. Alle, die nicht dabei sein konnten, wollen wir mit einem Auszug von einigen Zeilen aus der noch nicht druckfertigen Fassung einen Einblick in die Prosodie von Mondadoris Erzählweise bieten. Wir danken Verlag und Autor für die Verfügbarkeit und wollen noch einmal darauf hinweisen, dass bis zur Veröffentlichung der Zeitworte Änderungen am Text möglich und auch wahrscheinlich sind.

  • (...) Prima di raggiungerlo nello spogliatoio si è data una sciacquata alla faccia, si è lavata i denti e ha indossato un nuovo camice che sa di sapone di Marsiglia.

    «La Magra è una tavola da stiro. Va bene il musino da gattina in calore. Ma stai a vedere che da grande le sbucano al massimo due puntine che ci appendi su le presine per le pentole, altro che puppore» la scherzavano alle medie, e poi al liceo, e alla fine è andata così. Ha vinto la sua metà eritrea, dritta come un fil di ferro tale e quale alla madre. Dalla metà carrarina invece ha preso il piglio tosto: provateci, a smuoverla da un’idea che si mette in testa. (...)

    ...da una versione non finale del racconto La Magra, di Sebastiano Mondadori