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Liebe auf den Punk gebracht
Foto: Privat
Ein Gedicht und eine Zeichnung, ein ich und ein du, oft zum wir zusammengezogen finden sich auf jeder Seite. Wer bei dieser Zweisamkeit zwischen altrosa Buchdeckeln auf 87 mal klassische Liebeslyrik hofft, der kennt Jörg Zemmler nicht: Zur Zärtlichkeit gesellen sich Unangepasstheit und eine gewisse Punk-Attitüde, die das lyrische „Wir“ in Opposition zur spießigen Außenwelt stellt.
Das Ergebnis findet sich irgendwo zwischen Pippi Langstrumpfs „Wir machen uns die Welt / Widdewidde wie sie uns gefällt“ und einer Amour fou, nimmt es dabei mit Wahrheit ähnlich streng wie Pippilotta - oder Mark Twain - beim Geschichten erzählen. Die Wahrheit soll dem Spaß nicht im Wege stehen und auf keinem Fall der Liebe. Erzählerisch sind diese Gedichte in gewisser Weise auch, trotz allem Minimalismus, statt einem übergeordneten Handlungsbogen werden Anekdoten und Anlässliches geschildert, häufig mit einem „einmal“ oder ähnlichem Wort gekennzeichnet. Der längste durchgehende Bogen spannt sich dabei über eine Woche, oder sieben Gedichte, Gegenüberstellungen komplementärer Texte finden sich mehrere.
Konsequent werden auch Titel, die komplett fehlen, ausgespart, außen findet sich das Zeilenpaar am Ende von Seite 59, weitere Unterteilungsmerkmale sind nicht gegeben. Gedicht, Zeichnung, Gedicht, Zeichnung… Es entsteht ein Rhythmus, dem man folgen kann, so lange man eben Lust hat.
Zu den Zeichnungen lässt sich sagen, dass sie so wohl nur in einem Lyrikband den rechten Platz finden: Ein Strich für das „Ich“ und einer fürs „Du“ und alles, was nach den ersten vier Gedichten darum herum zu entstehen beginnt, ist irgendwo zwischen Kinderzeichnung und Hyroglyphe, erschließt sich einem zum Teil erst nach der Textlektüre. Dass sich Zu- und Abneigung in so knapper Form geometrisch mit zwei Strichen darstellen lassen, ist ein schöner Beifang des wohl streitbaren, aber auf jedem Fall konsequent angewandten Stils. In einigen wenigen Gedichten finden sich Zeilen, die anfangs ähnlich verwirrend sind, wie die Zeichnungen auf den ersten Blick, etwa diese beiden „Lisa wir nannten ihn / Lisa und Lisa sagte er“, in denen ein tropfender Wasserhahn in Morsezeichen spricht. Trotz ausgelassener Interpunktion ergibt sich immer ein Bild, die Worte fügen sich wie ein Mosaik (wiederkehrendes Motiv) zusammen.
Bei allem Minimalismus finden sich in der Sprache klare, fantastische Bilder: Von innen beleuchtet Glashäuser mit zerschlagenen Scheiben bei Nacht („Sternenglitzerhaus“, die bereits erwähnte Seite 59), oder Bankmülleimern voll Belegen „(…) mit darauf / Gedruckten Geschichten in Zahlen“.
„Wir wussten nicht warum / Nur Zweifel gab es keine“ ist Liebeslyrik, die trotz Schlussgedicht bei Sonnenuntergang nur selten kitschig ist und dabei selbstreflexiv genug, um sich das zu erlauben. Unser lyrisches Paar, erweckt dabei gleichzeitig den Eindruck einer Beziehung in der Phase erster Verliebtheit (das spontane Element), sowie von Eingeschworenheit in der kriminellen Energie zugleich. Es ist eine Liebe, wie es sie wohl nur hier, auf dem Papier geben kann: Man geht Impulsen nach, die im Interesse der Gesellschaft ausgeklammert werden. Das vorangestellte Zitat von Gertrude Stein „Man muss wagen, glücklich zu sein“, trägt dem Rechnung.
Wer Zemmlers „Papierflieger Luft“ aufgrund der Knappheit als Provokation empfunden hat, der findet hier im Schnitt längere Texte, doch nicht um viel. Auch formal verweigert sich Zemmler, wo auf den ersten Blick ein Gedicht mit vierzeiligen Strophen zu sein scheint, ist eine zu lang, die andere zu kurz. Oder: So wie sie eben sind, sich für einander nicht verbiegen müssen und für ein Äußeres nicht wollen. Wem der letzte Lyrikband bei Klever schon gefallen hat, dem muss man „Wir wussten nicht warum / Nur Zweifel gab es keine“ eigentlich nicht mehr empfehlen. Um’s Geld dürfte es dem unangepassten Autor nicht gehen, wenn man aus Jux ihn und sein lyrisches Ich gleichsetzen möchte und darüber hinwegsieht, dass es in einigen der Gedichte (spielerisch) Thema ist: Bald, am 31. Oktober, ist Weltspaartag und was da passiert ist ein Gedicht für sich. Vorher, heute Abend, um 18.30 Uhr, im Frei.raum des Südtiroler Künstlerbunds (Weggensteinstraße 12, Bozen), wird das Buch vorgestellt.
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