Fahrt ins Ungewisse
“Dass sie derzeit still gelegt ist, schmerzt alle Beteiligten in dieser Branche.” Seit Daniel Alfreider diese Worte kundgetan hat, ist ein weiterer Monat vergangen. Und die Seilbahnbranche, von der der Mobilitätslandesrat damals sprach, steht immer noch still. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Einige Aufstiegsanlagen dürfen nämlich in Betrieb sein. Während andere, die einen – auf den ersten Blick – ganz ähnlichen Dienst versehen, geschlossen halten müssen. Zumindest bis 15. Februar, dem Tag, an dem – Stand heute – die Skigebiete wieder öffnen können.
Zu den bis dahin stillgelegten Anlagen gehört die Umlaufbahn, die von Seis auf die Seiser Alm führt. Weil sie nicht fährt, ist die Alm derzeit nur motorisiert erreichbar. Eine von den Landesämtern verhängte Straßensperre und der Bus als einzige Alternative, um auf die Alm zu gelangen, stößt (in) der Gemeinde sauer auf. Für den heutigen Freitag ist eine Aussprache zwischen der Gemeinde Kastelruth und Landesrätin Maria Hochgruber Kuenzer angesetzt. “Am ökologischsten wäre natürlich, wenn die Bahn aufmachen würde”, meinte die Landesrätin im Vorfeld. Aber das geht nicht. “Wir haben im Moment keine Möglichkeit zu fahren”, bestätigt der Präsident der Seis-Seiser Alm Bahn AG Helmut Sartori. Ihn plagen derzeit noch weit größere Sorgen. Als Präsident des Verbands der Seilbahnunternehmer Südtirols schmerzt Sartori der Shutdown der Branche nicht nur. Sondern er sieht viele Betreiber in arger Bedrängnis: “Die Situation ist alles andere als rosig.”
Offen und/oder zu
“Die Seilbahn ist geöffnet…” Zwar unter strengen Sicherheitsbestimmungen – weniger als die Hälfte der normalerweise pro Kabine zugelassenen Passagiere und Fahrten bei offenem Fenster –, aber doch: Die Seilbahn von Lana aufs Vigiljoch fährt. Seit gut einem Monat ist der Winterfahrplan in Kraft. “…Sessellift, Skilifte und Rodelbahn hingegen bleiben geschlossen!”, so der Hinweis auf der Webseite. Die Seilbahn Lana-Vigiljoch ist eine der 360 aktiven Seilbahn- und Aufstiegsanlagen, die es in Südtirol gibt. Und nur eine von ganz wenigen, die trotz der aktuellen Corona-Schließungen weiter Fahrgäste in die Höhe und zurück befördern dürfen. Anders als etwa die beiden Bahnen, die normalerweise Passagiere von Seis und St. Ulrich auf die Seiser Alm bringen.
Die Frage drängt sich regelrecht auf: Warum dürfen Bahnen, die in zwei (bis 15. Februar geschlossene) Skigebiete führen, in einem Fall – Vigiljoch – in Betrieb sein und in einem anderen – Seiser Alm – nicht?
In den Dekreten des Ministerpräsidenten findet sich die Antwort nicht. Dort heißt es lediglich: “Sono chiusi gli impianti nei comprensori sciistici.” Fündig wird man hingegen im Landesgesetz Nr. 4 von 2020 zum “Südtiroler Weg” aus der Corona-Pandemie. “Schauen Sie in Art. 18 und dann in Punkt 3 des Buchstaben H in Abschnitt II der Anlage A nach”, rät Markus Pitscheider am Telefon, während er ins Auto steigt. Der ehemalige Direktor im Amt für Seilbahnen ist Anfang des Jahres in Pension gegangen. Doch die gesetzlichen Bestimmungen in seinem Fachbereich weiß er offensichtlich im Schlaf.
Eine Frage der Kategorie
Im Ressort von Mobilitätslandesrat Alfreider bestätigt man: “Die Seilbahn auf das Vigiljoch kann aufgrund des Landesgesetzes 4/2020 in Betrieb sein.” Art. 18 besagt, dass “die Seilbahnanlagen zu Sport- oder Erholungs- und touristischen Zwecken zweiter und dritter Kategorie” nach der verordneten Schließung ab 11. März am 25. Mai 2020 ihren Betrieb wieder aufnehmen dürfen – unter Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen, die in besagtem Buchstaben H der Anlage A festgehalten sind.
So erfährt man, dass Seilbahnen in Südtirol in unterschiedliche Kategorien eingeteilt sind. Art. 4 des so genannten Seilbahngesetzes von 2006 legt drei Kategorien von Seilbahnlinien im öffentlichen Dienst fest:
- Kategorie 1: Seilbahnanlagen im allgemeinen öffentlichen Transportdienst, die entweder allein oder zur Fortsetzung anderer im öffentlichen Transportdienst stehenden Linien als Verbindung zwischen Straßen oder Eisenbahnen und Ortschaften beziehungsweise zwischen Ortschaften dienen (…)
- Kategorie 2: Seilbahnanlagen zu Sport- oder Erholungs- und touristischen Zwecken
- Kategorie 3: Schlepplifte zu Sport- oder Erholungs- und touristischen Zwecken
Laut Landesgesetz zum “Südtiroler Weg” durften Anlagen der Kategorie 2 und 3 mit 25. Mai 2020 wieder öffnen. “Die der Kategorie 1, die Dienste des öffentlichen Nahverkehrs versehen, waren hingegen nie geschlossen”, löst Pitscheider den Knoten auf. Unter die erste Kategorie fällt auch die Seilbahn Lana-Vigiljoch, weil sie essentielle Zubringerdienste für die Fraktion Oberpawigl, Bergbauern und auch Schüler versieht, bestätigt Lanas Bürgermeister Harald Stauder.
Wer fahren darf
Wie Alfreiders Ressort mitteilt, gibt es in Südtirol elf Seilbahnen, die in die Kategorie 1 eingestuft sind: Mühlbach-Meransen, Lana-Vigiljoch, Vilpian-Mölten, Schenna-Schennaberg, Saring-Aschbach, Latsch-St. Martin am Kofel, Tirol-Hochmuth, Saltaus-Prenn, Bozen-Kohlern, Unterstell, Burgstall-Vöran.
Alle diese Seilbahnen sind – zusätzlich zu allen Seilbahnen im Südtiroler Verkehrsverbund, zu denen auch jene auf den Ritten und nach Jenesien gehören – laut Landesgesetz 4/2020 von sämtlichen Corona-bedingten Schließungen ausgenommen. Nach wie vor.
Anders verhält es sich mit den Bahnen auf die Seiser Alm. Die sind beide in die Kategorie 2 eingestuft und dürfen wie jene der Kategorie 3 als Seilbahnanlagen zu Sport- oder Erholungs- und touristischen Zwecken derzeit wieder nicht öffnen. So zumindest die Auslegung der Landesämter bzw. die Entscheidung der Seilbahnunternehmer. Für Helmut Sartori als Präsident der Betreibergesellschaft der Umlaufbahn Seis-Seiser Alm ist die Sachlage klar: “Im Moment fehlt uns rechtlich die Möglichkeit, aufzusperren.” Auf der Seiser Alm hätte der Winterbetrieb Anfang Dezember starten sollen. Mehrmals ist der Auftakt der Skisaison verschoben worden. Zuletzt, wie erwähnt, auf den 15. Februar. Rechnet man wirklich damit, dass sie noch anlaufen kann?
“Wir hoffen natürlich schon und gehen auch davon aus”, antwortet Sartori stellvertretend für sämtliche Betreiber der 360 Seilbahn- und Aufstiegsanlagen im Land. Aber es sei auch klar, dass ein Start “in erster Linie davon abhängt, wie sich die Infektionszahlen entwickeln”, betont der Verbandspräsident. “Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, würden wir natürlich gerne starten.”
Februar “nur Tropfen auf heißem Stein”
Eine andere Frage, die noch nicht geklärt ist, ist, welche Auflagen gelten werden. Am Donnerstag standen erneut die Sicherheitsprotokolle für die Öffnung der Skigebiete auf der Tagesordnung der Regionenkonferenz. Ende Dezember hatte das technisch-wissenschaftliche Komitee der Regierung den Vorschlag der Regionenkonferenz zurückgewiesen. Für Sartori sind diese Protokolle das wichtigste Element für einen sicheren Start in die Wintersaison. “Wir müssen wissen, was auf nationaler Ebene beschlossen wird. Dann werden wir diese Vorgaben, wie andere Branchen auch, entsprechend sauber umsetzen. Wir haben ja auch im Sommer mit Sicherheitsprotokollen gearbeitet.”
Rund 370 Millionen Euro Umsatz erzielen die Südtiroler Seilbahnbetreiber jährlich. 90 Prozent davon in der Wintersaison. Was kann mit einer Öffnung am 15. Februar noch gerettet werden? “Das kommt auch darauf an, unter welchen Voraussetzungen wir aufsperren können”, erklärt Sartori. Zum einen steht hinter der Mobilität ein Fragezeichen – “Stand heute ist es weder möglich, aus einer anderen italienischen Region noch aus dem Ausland einzureisen”. Zum anderen sei mit den Weihnachtsfeiertagen die umsatzstärkste Zeit des Jahres, in der ungefähr 30 Prozent des Umsatzes generiert wird, “schon passé”.
Entsprechend wenig Illusionen macht sich Sartori als Verbandspräsident der Seilbahnunternehmer: “Je länger sich der Saisonstart hinauszögert, desto schwieriger wird die gesamte Situation. Da ist auch eine Öffnung zu Fasching sicher nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Denn die Saison ist zu kurz und die Kernzeit für die allermeisten schon vorbei.”
Am Ende ohne Zusage
Finanzielle Unterstützung vonseiten der öffentlichen Hand ist bislang keine in Aussicht. “Im Moment laufen die Gespräche, wie die Ausgleichszahlungen ausschauen, wie sie berechnet werden könnten”, berichtet Sartori. Zusagen gebe es noch keine. “Wir brauchen kurzfristig und schnellstmöglich Sicherheit, nicht nur was die Zusagen, sondern auch was die Auszahlung betrifft. Denn gerade für Gesellschaften, die sich ohnehin bereits schwer getan haben, ist es verdammt schwierig, zusätzliche finanzielle Mittel vonseiten der Banken zu erhalten.”
Wäre es rückblickend nicht einfacher gewesen, wenn es von Anfang an geheißen hätte, “der Winter fällt aus, die Anlagen bleiben bis zum Beginn der Sommersaison stillgelegt”? Eine solche klare politische Ansage hätte doch mehr Gewissheit und Planbarkeit gewährleistet als das ständige Verschieben der Öffnung? So einfach sei die Antwort auf diese Frage nicht, meint Helmut Sartori: “Planbarkeit ist für alle immens wichtig. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen: Wir hatten 2020 eine verkürzte Wintersaison und haben Mitte März geschlossen. Den Aufstiegsanlagen fehlen damit ungefähr 45 Millionen Euro. Die Sommersaison ist de facto später gestartet, und auch wenn August und September zum Teil recht ordentlich waren, war sie vom Zeitraum her kürzer. Wenn die heurige Wintersaison auch nicht laufen sollte, haben wir Anlagen und Gesellschaften, die ca. 20 Monate ohne Umsatz sind. Das wird für die Betriebe dramatisch. Wir sind mit den finanziellen Ressourcen auch am Limit, wenn nicht gar am Ende. Die Situation ist alles andere als rosig.”
"Rund 370 Millionen Euro
"Rund 370 Millionen Euro Umsatz erzielen die Südtiroler Seilbahnbetreiber jährlich. 90 Prozent davon in der Wintersaison." ... Und wie schaut es bei der Rendite aus? Meines Wissens können einige kleine Skigebiete rein finanziell gesehen nur wegen der Sommersaison überleben. Und zwar weil im Sommer die Spesen und Kosten extrem niedriger sind.