Società | Debatte um Bettelverbot

Betteln ein lukratives Geschäft?

Bettler in den Städten: Viele fühlen sich belästigt, mancher gibt gerne etwas, wieder andere vermuten kriminelle Banden im Hintergrund - so auch das Wochenmagazin ff in seiner jüngsten Titelgeschichte. Experten verneinen jedoch die Exsistenz professioneller Bettelbanden.
Drahthaus
Foto: Mila Zytka

Bettelbanden seien eine Erfindung des Mittelalters und schon damals eine reine Legende gewesen, sagt Jean-Pierre Tabin, Soziologieprofessor an der Universität Lausanne. Es gäbe keine Bettelorganisationen, sagt er in einem Interview mit der Schweizer Tageszeitung "Der Bund", weil es sich schlicht nicht rechne, mit Bettlern Geld zu verdienen. Laut einer von ihm durchgeführten Studie verdienten Bettler zwischen 15-20 Franken (umgerechnet rund 12-16 Euro) am Tag, das sei viel zu wenig, um daraus ein Geschäft im großen Stil zu machen. Zwischen Mai 2011 und April 2012 hat Tabin mit seinem Kollegen René Knüsel eine Studie durchgeführt, die die Lebensbedingungen von Bettlern im Kanton Waadt genauer analysieren sollte. Hierfür wurden unter anderem Bettler beobachtet und interviewt, Polizisten, Sozialarbeiter und Mitarbeiter des Gesundheitswesens befragt und die Presse und politische Debatten analysiert. Sein Ergebnis decke sich auch mit anderen Studien zum Thema Betteln, sagt Tabin.

Bettelmafia?
Das Wochenmagazin ff kommt zu einem gänzlich anderen Ergebnis. In seiner aktuellen Titelgeschichte schreibt die ff von organisierten Bettlerbanden in Südtirol und im Trentino mit bis 100 Mitgliedern, die ihr Tageseinkommen von bis zu 8.000 Euro überwiegend an sogenannte Zuhälter abgeben müssten. Als Quelle nennt der Autor, ff-Chefredakteur Norbert Dall'Ò,  Aussagen der Stadtpolizei, aber auch die eigene Anschauung. „Ich war mehrere Tage gemeinsam mit Bettlern unterwegs“, sagt Dall'Ò, dort habe er gesehen, dass 50-60 Euro Tageseinnahmen sich „eher am unteren Rand der Realität“ bewegen. Wer Bettlern etwas gebe, unterstütze nur die sogenannte Bettelmafia – deren Existenz hat bis Dato allerdings auch die Polizei nicht beweisen können. Wie es zu so unterschiedlichen Werten zwischen rund 15 Euro (Schweizer Studie) und den genannten 50-60 Euro kommt, lässt sich ebenfalls nicht klären. Die Wortwahl des ff-Artikels ist jedenfalls deftig: Von „Bettlerplage, falsche Arme, Betrüger und Profi-Mitleidserreger“ ist die Rede.

Armut als Realität
Caritas-Direktor Heiner Schweigkofler kann derlei Pauschalverurteilung wenig abgewinnen. Die Bettlerszene sei sehr differenziert und organisierte Kriminalität müsse, da wo es sie gäbe, bekämpft werden und dafür gäbe es auch bereits Gesetze. Ein Bettelverbot hält er dagegen für wenig sinnvoll. Es sei nun einmal so, dass es auch in Europa Landstriche gebe, wo die Menschen buchstäblich bettelarm seien. Unstrittig ist, dass es sich bei den Bettlern überwiegend um Roma aus Rumänien handelt, die schlicht und einfach ums nackte Überleben kämpfen. „Hohe Arbeitslosigkeit, Stigmatisierung und Ausgrenzung lassen ihnen kaum eine andere Wahl, als ihr Land zu verlassen und zu versuchen, sich ihren Lebensunterhalt bettelnd zu verdienen“, sagt Schweigkofler. Sie kämen oft aus der selben Gegend machten sich gemeinsam auf den Weg und gäben tatsächlich oft einen Teil des Geldes ab und zwar an die Familien daheim, von organisierten Banden sei deshalb aber noch lange nicht zu sprechen, so Schweigkofler. Er appelliert an die Bürger selbst zu entscheiden, ob und wann sie einen Menschen mit einem Almosen unterstützen wollen und nicht die Augen vor dem als unangenehm angesehenen Phänomen Armut zu verschließen.

Tendenziös oder Tatsache?
Die ff-Geschichte hat inzwischen eine Vielzahl an Reaktionen ausgelöst. Die Antifa Meran wirft Dall'Ò vor, der Artikel sei „tendenziös geschrieben, bringt unhaltbare Behauptungen und ist mehr als miserabel recherchiert“. Andreas Fink spricht von einem Skandal und fordert Konsequenzen. Auch der Grüne Landtagsabgeordnete Ricardo Dello Sbarba hat sich zu Wort gemeldet. Er schreibt: „Was bleibt ist eine aufgeilendeTitelgeschichte, die bei oberflächlichen Lesern und Leserinnen Vorurteile schürt und Groll gegenüber den Letzten unter den Sündenböcken anheizt.“ Den ff-Chefredakteur ficht das nicht an. Es müsse erlaubt sein, auch über dieses Thema zu schreiben, sagt er. Es sei klar, dass es sich bei den rumänischen Bettlern um arme Menschen handle, die irgendwie zu überleben versuchen. Aber es gäbe eben auch die Vermutung, dass diese Menschen durch organisierte Gruppen ausgenutzt würden.