Società | Mentale Gesundheit

Men-tal(k) – Mann sein in Südtirol

Mentale Gesundheit ist ein Thema für alle. Das Projekt Men-tal(k) lädt dazu ein, es anzusprechen und traditionelle Rollenbilder zu hinterfragen.

Mitten auf dem Rathausplatz in Bozen steht eine bunte Tafel – ein Auffangbecken für die öffentliche Meinung, der Beginn einer Masterthesis dreier Studierenden der Studiengänge „Eco-Social Design“ und „Innovation in Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit“, in der das Unangesprochene angesprochen werden soll.  Einige Passant*innen bleiben neugierig stehen, lassen ihre Augen über die erste Frage wandern, „Was bedeutet Mann sein in Südtirol?“, nicken interessiert, lesen daraufhin die zweite, „Was können Männer für ihre mentale Gesundheit tun?“ – und setzen prompt ihren morgendlichen Spaziergang fort. Ob sie der Begriff „mentale Gesundheit“ abschreckt? Andere wiederrum lassen sich in ihrem Einkaufsbummel stören und betrachten die Fragen genauer und überlegen sich ihre Antworten. Einigen fällt das leichter, anderen schwerer. Manche lassen sich sogar auf ein Gespräch mit den Student*innen ein und diskutieren über die Wichtigkeit von mentaler Gesundheit, insbesondere auch bei Männern in Südtirol. Für die Studierenden zählt dabei nicht nur die Auswertung der heutigen Ergebnisse, sondern auch die Reaktionen der Passant*innen auf diese Umfrage und deren Thema „Mann, Männlichkeit und mentale Gesundheit“.

Die Studierenden begründen ihr Forschungsinteresse in dem Gefühl, dass mentale Gesundheit für Männer ein Thema sein kann, das schwer zugänglich ist – zum einen emotional, zum anderen auch aufgrund mangelnder Ressourcen. Dieses Gefühl wird von verschiedenen Statistiken untermauert, welche bestätigen, dass zwar Frauen in Europa durchschnittlich häufiger an beispielsweise Depressionen leiden, es jedoch wesentlich mehr Männer sind, welche einen Suizid begehen, in der Hälfte der Fälle mit einer depressiven Vorgeschichte. Dem stehen Ergebnisse einer aktuellen Studie diesen Jahres gegenüber, die belegen, dass die Hälfte der befragten Männer es noch immer als Schwäche ansieht, die eigenen Emotionen zu zeigen.  Mit ihrem Projekt Men-tal(k) wollen die Student*innen Hannah Marti, Arthur Holt und Hannah Gröll Wege finden, um Hilfe-Suchen zu normalisieren, Männern einen Zugang zu ihren Emotionen zu schaffen und Ressourcen zu stärken, welche Männer dabei unterstützen können.

 

Men-tal(k): Eine Umfrage zur Männlichkeit
Men-tal(k): Eine Umfrage zur Männlichkeit (Foto: Hannah Gröll)

 

Ziel der Straßenumfrage auf dem Rathausplatz war es zunächst, ein Stimmungsbild der Südtiroler Gesellschaft zum Thema „Mentale Gesundheit von Männern in Südtirol“ einzufangen. Eine Lehre, die die Studierenden daraus ziehen, ist, dass dieses in seinem vollen Kontext betrachtet werden muss. Südtirol ist eine besondere Region, welche nicht zuletzt auch durch historisch und geographisch bedingte Strukturen geprägt ist. Dieses Bewusstsein liefert eine Erklärung für die traditionellen Rollenbilder, die in der Region noch stark verankert sind. Dennoch darf und muss an diesen Strukturen gerüttelt werden, um sich gesellschaftlich weiterzuentwickeln.

Für eine mögliche Antwort auf die Frage, wie solche sozialen Konstrukte denn entstehen, kann deren Weitergabe durch die gesellschaftliche Erziehung herangezogen werden. „Wir bekommen viel mehr angelernt, als wir denken“, erklärt Hannah Gröll und bezieht sich damit einerseits auf Kinderspielsachen, die in Anlehnung an die traditionellen Geschlechterrollen kleine Mädchen in die Küche, kleine Jungen auf die Baustelle und somit beide in eine einschränkende Schublade stecken. Andererseits können auch gewisse Aussagen Kinder in Bezug darauf prägen, was in der Gesellschaft später von ihnen erwartet wird, nur weil sie einem bestimmten Geschlecht angehören: „Eine Dame spricht so nicht“, „Echte Männer weinen nicht“ – wie soll ein Mädchen nach einer solchen Ermahnung verbal für sich einstehen, woher ein Junge den Mut nehmen, darauf zu bestehen, dass auch er das Recht darauf hat, mal nicht alles in sich hineinzufressen und stattdessen getröstet zu werden?

 

Wir bekommen viel mehr angelernt, als wir denken“

 

Das Ausmaß, in dem sich solche Erziehungsmuster in unserem Alltag festgekrallt haben, wird etwa im Dokumentarfilm „Feminism WTF“ der österreichischen Regisseurin Katharina Mückstein dargelegt. Platz drei der meistgesehenen Filme Österreichs im Jahr 2023 beinhaltet neben zahlreichen Expertenbeiträgen über gesellschaftliche Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse ein Experiment, das unter der Bezeichnung „Baby X“ bekannt ist und beweist, dass das Geschlecht von Babys und Kleinkindern das Verhalten Erwachsener ihnen gegenüber maßgeblich beeinflusst.

Für das Experiment werden einige kinderlose Erwachsene eingeladen und gebeten, einen mit verschiedenen, den Geschlechterstereotypen entsprechenden Spielsachen ausgestatteten Raum zu betreten. Dort haben sie die Aufgabe, nacheinander zunächst mit einem kleinen Mädchen und dann mit einem kleinen Jungen frei zu spielen, wobei durch stereotypisierte Kleidung ein Akzent auf das Geschlecht der Kleinkinder gesetzt wird.

Es folgen mehrere Spieleinheiten, die bewiesen, wie unterschiedlich die am Experiment beteiligten Erwachsenen auf kleine Mädchen und kleine Jungen reagieren und somit die geschlechtertypischen Interessenbereiche nochmals unterstreichen. Besonders wird im Film „Feminism WTF“ das Beispiel einer jungen Frau hervorgehoben, die in einem ersten Moment mit einem rosarot gekleideten Mädchen spielt. Neben einem Puppenhaus, mit dem die Frau das Kind beschäftigen möchte, scheint ein ganz spezifisches Spielzeug das Interesse des Kindes erweckt zu haben: es handelt sich um eine Pferdefigur, deren aufklappbarer Bauch ein Fohlen enthält, was die Experimentteilnehmerin dem Mädchen sogleich erklärt. Einige Minuten später wiederholt sich die Szene mit einem anderen Kleinkind, diesmal völlig in Blau gekleidet - der einzige Unterschied liegt in der Reaktion der Frau. Anstatt wie bei dem kleinen Mädchen auf den familiär-sozialen Aspekt der Schwangerschaft und Geburt zu pochen, erklärt sie einem Jungen lieber den mechanischen Vorgang des Öffnens jener kleinen Klappe, hinter der sich das Spielzeugfohlen verbirgt.

 

Spielzeug-Zug
Geschlechterrollen: Spielzeug-Zug, nur etwas für Jungs? (Foto: Salto.bz)

 

In der anschließenden Besprechung des Experiments wird die Frau gebeten, einen kurzen Bericht über ihre Eindrücke zu erstatten, wobei sie die geschlechtertypischen Veranlagungen und Interessen der beiden Kinder -soziale Kompetenzen einerseits, Leidenschaft für Technik andererseits- Revue passieren lässt.

Doch ihre Überzeugung diesbezüglich gerät ins Wanken, als die Experimentleiter*innen ihr erläutern, dass die stereotypische Kleidung der beiden Kleinkinder lediglich dem Zweck der Irreführung dient. Nämlich ist das in Rosarot gehüllte kleine Mädchen aus biologischer Sicht eigentlich gar kein Mädchen, der vermeintliche Junge in blauer Kleidung aber schon. Damit offenbart sich die Deutung der kindlichen Interessen von Seiten der Teilnehmerin als der Beweis dafür, wie tiefliegend die mit dem Geschlecht eines Kindes verbundenen Stereotypen greifen. Auch kann man aus diesem Experiment schließen, dass geschlechterspezifische Verhaltensunterschiede, die später im Leben auftreten, die bereits früh an Mädchen und Jungen gestellten gesellschaftlichen Erwartungen reflektieren und vorwiegend sogar darauf basieren.

Vor diesem Hintergrund ist laut Hannah Gröll ein erster und wichtiger Schritt das Hinterfragen dieser Rollenbilder sowie die Erkenntnis, dass es völlig in Ordnung ist, diesen nicht zu entsprechen. Mit ihrem Projekt Men-tal(k) zielen die Student*innen in erster Linie darauf ab, diese Thematik greifbarer zu machen, in den Dialog zu treten und zu vermitteln, dass mentale Gesundheit ein Thema für alle ist.

Men-tal(k) ist mit Sicherheit ein Projekt, das es sich in den nächsten Monaten im Auge zu behalten lohnt, genauso wie die ständige Entwicklung unserer Gesellschaft. Wer zu dieser Initiative einige Gedanken loswerden möchte, kann unter [email protected] mit den Student*innen in Kontakt treten.