Daten auf die Reise schicken
Herr Pöhl, wie hat die digitale Revolution die Kommunikation zwischen Bürger und öffentlicher Verwaltung verändert?
Welche Initiativen setzt die Südtiroler Verwaltung in Hinblick auf die Digitalisierung?
Die Projekte Open Forms (als Online-Front-End der digitalen Verwaltung hin zu Bürgern und Betrieben), das Bürgerkonto (als einzige, einheitliche Online-Schnittstelle zwischen Personen und der digitalen Verwaltung zum Austausch von Daten und Dokumenten) und die Aktivierung einer sogenannten Enterprise Information Plattform (kurz EIM) zur durchgehenden, medienbruchfreien und agilen Digitalisierung der Verwaltungsverfahren innerhalb der öffentlichen Verwaltung, sind die drei bedeutendsten Initiativen, die wir aktiviert haben, um die digitale Verwaltung möglichst effizient und wirksam umzusetzen.
Gibt es Vorbilder, an denen man sich orientiert? Was machen die richtig?
Die Vielfältigkeit des Vorhabens, die Komplexität und die Neuartigkeit der Herausforderungen führen dazu, dass es an vielen Stellen Vorbilder bzw. Vorläufer gibt, von denen wir uns leiten lassen. Unsere Richtschnur ist die von uns ausgearbeitete Agenda 'Südtirol digital 2020', kurz SD2020, die ihrerseits sowohl von der europäischen als auch von der italienischen Agenda mit inspiriert wurde, während wir uns bei der Art der Erstellung auch an der Vorgehensweise etwa der Stadt Wien orientiert haben. Was die Open Data Initiative betrifft, arbeiten wir eng mit der Autonomen Provinz Trient zusammen, die hier nicht nur italienweit Vorbild ist. Wichtige Ideen zum Bürgerkonto haben wir von Kongressen in Deutschland mitgebracht. Andere Dinge sind wiederum Folgen von Überlegungen und Analysen hier in Bozen, so etwa die Initiative Open Forms und die Art, wie eine EIM-Plattform zur Grundlage der digitalen Verwaltung wird.
Gibt es eine Renaissance der Bürgerkarte? In der neuen Landesregierung war sie ja zunächst umstritten...
Die Bürgerkarte war als solche nie gestorben, da die staatlichen Dienste nach wie vor mit Karte und Lesegerät nutzbar sind. Vielmehr ging und geht es den öffentlichen Verwaltungen Südtirols darum, Dienste, die nicht der höchsten Sicherheitsstufe unterliegen, möglichst einfach für die Bürger nutzbar zu machen. Insofern war und bleibt sie eine Alternative, wenn die digitale Identifizierung von Personen im weltweiten Netz die höchste heute verfügbare Sichherheitsstufe aufweisen muss. Der sog. zertifzierte Account, der im Bürgerkonto mündet und den wir in der Zwischenzeit eingeführt haben, ist weit handlicher und auch mobil einsetzbar, er ist aber nicht die allerhöchste Sicherheitsstufe, wie sie für hochsensible Daten gefordert wird. Heute gibt es noch kaum Dienste von Landes- und Gemeindeverwaltungen, die notwendigerweise mit dieser Sicherheitsstufe ausgeschüttet werden müssten.
Was wir nun gerade planen, ist die Migration dieser beiden Arten der Authentifizierung hin zur nationalen digitalen Identität, zum SPID. SPID gestattet es, sich auf drei Arten zu identifizieren: Stufe 1 entspricht unserem zertifizierten Account; Stufe 2 ist eine Identifizierung mit Account, Passwort und mit einem sogenannten One-Time-Passwort (ist also eine zusätzliche Form der Authentifizierung mit sehr ähnlichen Eigenschaften wie Stufe 1 , aber eben sicherer), Stufe 3 schließlich ist jene der Authentifizierung mit Karten - etwa mit der Bürgerkarte. Ein weiterer Vorteil von SPID ist, dass damit auch Dienste anderer nationaler Verwaltungen in Anspruch genommen werden können - so jene der Agenzia dell'Entrate oder der INPS.
Südtirol positioniert sich verstärkt als "Green Region". Wie kann die Informatik dabei helfen, die Umwelt zu schützen und zu erhalten?
Die Chancen der Digitalisierung zur Stärkung einer 'green region' sind vielfältig und auf verschiedensten Ebenen denkbar. Einige Beispiele: Anstatt Personen auf die Reise zu schicken, bewegen wir die Daten ohne CO2-Ausstoß hin zu den Personen; das Projekt 'Digitale Dörfer' in ländlichen Gegenden der Rheinland Pfalz zeigt, wie Zustelldienste optimiert und damit auch umweltschonender ausgelegt werden können, ohne dabei an Qualität zu verlieren; Internet of Things bietet Monitoringsysteme an, die Abweichungen von Normalwerten unterschiedlichster Art in Echtzeit melden und es ermöglichen, sofort geeignete Maßnahmen zu setzen; Intelligente IT-Systeme erlauben es z.B. elektrische Energie aus Sonne oder Wind dort zu produzieren, wo sie anfällt, um sie dann effizient zu verteilen und nutzbar zu machen. Videokonferenzen sind Alternativen zu Präsenzsitzungen, Telearbeitsplätze und Clouddienste ermöglichen ortsungebundenes und mobiles Arbeiten.
Bei Online-Formularen setzte man zuletzt auf Freie Software, wie war die Erfahrung damit?
Die Erfahrung hier ist sehr positiv, nachdem es gelungen ist, eine gut funktionierende und sehr kompetente Community hier in Südtirol entstehen zu lassen, die die Plattform an unsere Bedürfnisse und an unsere technischen Rahmen in planbaren Zeiten anpassen kann. Sind diese Rahmen gegeben, ist Freie Software eine 'Bank'.
Wie wird das Angebot der Online-Forumlare angenommen? Wie sind da die Zahlen?
Die Online-Formulare werden gut angenommen, dies zeigen die Zahlen der Zugriffe auf die 10 meistbenutzten Dienste im Zeitraum 01/01/2016 - 31/10/2016:
23.201 - Staatliches Familiengeld Ansuchen für das Jahr 2016
18.782 - Digitale Personalakte für das Landespersonal
16.162 - Studienbeihilfen, Rückerstattung Studiengebühren akadem. Jahr 2016/2017
15.000 - Familiengeld der Region - EEVE Erneuerung Jänner 2017 bis Dezember 2017
9.422 - Gesuch um Fahrtkostenbeitrag an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
7.650 - Einheitliche Einkommens- und Vermögenserklärung - EEVE
5.041 - Pflegesicherung. Antrag auf Pflegegeld
4.909 - Familiengeld des Landes - EEVE Ansuchen um Auszahlung
3.316 - Katastereinsicht
2.639 - Ansuchen um Erhalt des Zwei- bzw. Dreisprachigkeitsnachweises
Welche Neuerungen in der Digitalen Kommunikation der öffentlichen Verwaltung würden Sie 2017 gerne in Angriff nehmen?
Im Jahr 2017 sollten die Online-Formulare einen derartigen Reifegrad erreichen, dass sich einerseits unsere BürgerInnen mit ihnen angefreundet haben, sich also wiederfinden, sobald neue Formulare veröffentlicht werden, andererseits sollte uns als Verwaltung die Produktion solcher Online-Formulare leicht und schnell von der Hand gehen. Der digitale Bürgerschalter sollte sich weiter entwickeln und zusehends an Relevanz und Akzeptanz gewinnen, demzufolge wird das Bürgernetz neu konzipiert und auf die Bedürfnisse der Südtirolerinnen und Südtiroler ausgerichtet. Ebenso soll das Bürgerkonto bei Bürgern und Betrieben die nötige Bekanntheit und Akzeptanz finden, damit es alltäglich wird, über das persönliche Konto wichtige Kontakte mit der öffentlichen Verwaltung abzuwickeln. Auch die internen Verwaltungsprozesse sollen überarbeitet und im Sinne der Nutzerfreundlichkeit sowohl für die Verwaltung selbst als auch in erster Linie für die BürgerInnen vereinfacht und digitalisiert werden, um normgerechte digitale Dokumente und Akte verwalten zu können.