Wohin führt die Reise, Herr Aichner?
Lange wurde darüber diskutiert, seit Jahresbeginn sind die Südtiroler Tourismusverbände endgültig begraben. An ihrer Stelle gibt es nun die drei neuen Destinationsmanagementeinheiten (DME) im Osten, Westen und der Mitte des Landes, die unter sich sechs Büros in Glurns, Meran Bozen, Brixen, St. Christina und Bruneck führen. Die Neuordnung der Tourismusorganisationen ist vollbracht – doch was bringt sie effektiv für die Vermarktung Südtirols? Eine Frage, die sich vor auch angesichts der regen Bewegungen stellt, die sich letzthin rund um die Lancierung neuer privater Marken im Hochpustertal, Gröden und Alta Badia stellte, bei der pikanterweise auch noch Ex-SMG-Chef Christoph Engl bzw. sein jetziger Nürnberger Arbeitgeber BrandTrust involviert war.
Beim ersten Treffen aller gewählten Gremien des neuen Destination Managements von IDM Südtirol war am Montag davon freilich keine Rede. Vielmehr wurden bis Juni mittel- bis langfristige Strategien und damit verbundene Maßnahmen im Rahmen der Strategie für Südtirol versprochen. Diese setzt bei fünf Handlungsfeldern an: einer größeren Internationalisierung im Tourismus, um von den Hauptmärkten unabhängiger zu werden und Auslastung und Wertschöpfung zu erhöhen; einen hohen Grad an Digitalisierung, um das Angebot noch besser und effizienter an den Gast zu bringen; ein landesweit abgestimmtes Marketing, das Synergien nutzt und einen optimalen Einsatz der Budgets erlaubt, sowie eine Produktentwicklung, die sich an der Sicht des Gastes orientiert und somit Erlebnisräume und authentische Produkte zu Südtirols wichtigen Reisethemen in den Mittelpunkt stellt. „Handlungsfeld Nummer 1 ist aber die Dachmarke Südtirol, mit der sich alle Leistungsträger im Tourismus identifizieren sollen und die es auf den Märkten zu stärken gilt“, widerlegte der Leiter der Abteilung Marketing Thomas Aichner nach dem Treffen Stimmen, die der IDM angesichts der Alleingänge in so mancher Südtiroler Tourismushochburg eine mangelnde Verteidigung der Dachmarke vorgeworfen hatten. salto.bz wollte dazu mehr vom IDM-Marketingchef wissen.
salto.bz: Herr Aichner, die Operation Destinationsmanagement ist gestartet. Doch bereits davor, haben sich starke Player wie das Hochpustertal oder Alta Badia und Gröden selbst auf den Weg gemacht – mit eigenen neuen Marken, die pikanterweise von ihrem ehemaligen Chef Christoph Engl kuratiert wurden. Schaut die IDM dabei zu, wie die Südtiroler Dachmarke von ihrem einstigen Schöpfer zu Grabe getragen wird bzw. wurde Ihr neues Destinationsmanagementkonzept bereits vorab boykottiert?
Thomas Aichner: Nein, ganz sicher nicht. Wenn wir über die Dachmarke sprechen, müssen wir uns zuerst einmal vor Augen führen, dass der Tourismus in Südtirol über lange Zeit organisch gewachsen ist. Sprich, er hat sich in den einzelnen Talschaften entwickelt und nicht in ganz Südtirol und deshalb gibt es auch historisch gewachsene touristische Marken wie Meran, Sexten, Hochpustertal, Alta Badia, Gröden oder als neueres Beispiel den Kronplatz.
Und die brauchen eigentlich keine IDM , um sich zu vermarkten?
Sagen wir, die haben weder auf die IDM noch auf die vormalige SMG gewartet. Dennoch ist es der Südtirol Marketing Gesellschaft damals im Zuge des Dachmarkenprozesses gelungen, diese ganzen territorialen Marken zusammenzuführen, also einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, der alles konzentriert, was Südtirol ausmacht.
Also die Engl’sche Kreation, wonach Südtirol eine kontrastreiche Symbiose zwischen alpin und mediterran, Spontaneität und Verlässlichkeit, Natur und Kultur sei.
Das war damals die große Leistung. Je mehr Mittel und Aufbauarbeit damals von der SMG jedoch in die Dachmarke gesteckt wurden, desto größer wurde mancherorts die Angst, dass damit die eigenen territorialen Marken, die seit Jahrzehnte gut funktioniert haben, zurückgedrängt werden.
Eine berechtigte Angst?
Eine verständliche Angst. Tatsache ist aber auch, dass die Marke Südtirol damals keine Rolle auf dem internationalen Tourismusmarkt gespielt hat und selbst starke Einzeldestinationen nicht die kritische Größe haben, um vor allem auf weiter entfernten Märkten langfristig erfolgreich zu sein. Von einer starken Südtiroler Dachmarke profitieren deshalb nicht nur kleinere und unbekannte Gebiete, sondern auch die großen Player.
Auch wenn es nicht alle so sahen oder sehen...
Man muss ganz offen sagen, dass dieser Prozess in den vergangenen zehn Jahren nur teilweise funktioniert hat. Vor allem dort, wo es noch kein großes lokales Markenbewusstsein gegeben hat, wie zum Beispiel im Vinschgau, war man zwar recht froh über die Dachmarke, weil man gesagt hat: Vinschgau ist nicht der große Verkaufsschlager, da nützt uns Südtirol. Doch andere Destinationen wie Gröden waren vielmehr der Überzeugung: Was nützt uns Südtirol, wie sind ohnehin schon an der Spitze.
"Wir haben kein Problem damit, wenn externe Agenturen die Regionen begleiten, das bleibt jedem selbst überlassen. Sicher ist, dass wir auch in den DME genügend qualifizierte Leute haben, die das machen können."
Und haben sie damit nicht Recht?
Lassen Sie mich als Antwort darauf einen Vergleich mit dem iPhone machen. Das ist zwar eigentlich ein Apple-Produkt, hat aber fast schon Markenstatus, also ist ähnlich bekannt und begehrlich wie der Begriff Apple. Und das bringt beiden etwas. Denn die Marke Apple lädt das iPhone positiv mit Werten wie Qualität, Verlässlichkeit oder hipper Style auf. Umgekehrt profitiert aber auch Apple vom iPhone, weil es noch jünger, moderner und dynamischer ist als die Marke selbst.
Und ähnlich sollte es zwischen Dachmarke und Regionalmarken funken?
Ja. Es gibt auch Destinationen, die das bereits verstanden haben. In Meran hat man beispielsweise gesagt: Wir sind selbstbewusst und wissen, dass wir im Radius von 500 Kilometern eine starke Marke sind. Dennoch setzten wir auch auf Südtirol – eben um uns gegenseitig mit unseren Werten und unserer Bekanntheit aufzuladen.
Andere dagegen?
Wie gesagt, gerade starke Marken wie Alta Badia, Gröden oder Hochpustertal haben die Dachmarke eher als Konkurrenz gesehen und dann nur das gesetzliche Minimum erfüllt. Also irgendwo das Südtirol-Logo draufgesetzt statt in ihrer Kommunikation wirklich mit der Dachmarke zu spielen, sich zu überlegen, wo sie stärker von Südtirol profitieren können und umgekehrt auch Südtirol stärker von ihnen profitieren kann.
Das war die Vergangenheit. Wie soll nun die Zukunft unter dem IDM-Destinationsmanagement aussehen?
Unsere erste große Entscheidung war, dass die Regionalmarken für Südtirol wichtig sind. Das heißt, wir wollen sie weder abschaffen noch flachhalten. Vielmehr sollen sie weiter gestärkt werden – wie auch die Dachmarke.
Stehen diese beiden Ziele nicht im Konflikt zueinander?
Nicht, wenn wir eine gute Markenarchitektur schaffen. Diesbezüglich haben wir nach all den Diskussionen des vergangenen Jahrzehnts beschlossen, den einzelnen Destinationen mehr Spielraum zu lassen. Statt ihnen weiterhin vorzuschreiben, Dachmarke, Regionalmarke und Ortsbezeichnung in einer fix vorgegebenen und horizontalen Lösung zu verwenden, soll jetzt jede Destination selbst beschließen können, was sie wann in den Vordergrund stellen will.
Das heißt, sie müssen die Dachmarke Südtirol nicht einmal mehr unbedingt mitführen?
Das schon. Doch es gibt nun ein grafisches System, das sehr dynamisch ist und innerhalb dessen sich die Marken je nach Bedarf zwischen einem Minimum und Maximum bewegen können. Wenn Gröden zum Beispiel in einer italienischen Ski-Zeitung eine Anzeige schaltet, kann Gröden klar im Vordergrund stehen und Südtirol klein sein, weil jeder italienische Skifahrer die Marke Gröden kennt. Auf einem neuen Markt wird dann dagegen eher die Dachmarke gewissermaßen wie ein Schneepflug im Vordergrund wirken, während dahinter die einzelnen Skidestinationen kommen. Das heißt, je nach Situation gibt die Dachmarke eher Sicherheit und Werte, während die Regionalmarken eher Stimulanz für bestimmte Themen geben.
"Man muss ganz offen sagen, dass der Dachmarken-Prozess in den vergangenen zehn Jahren nur teilweise funktioniert hat."
Das heißt mehr Freiheit für die einzelnen Destinationen, unter welcher Marke sie auftreten wollen?
Ja, wir schreiben sicher niemandem vor, ob er eine starke Marke ist oder nicht. Schenna kann diese Systematik zum Beispiel genauso nutzen wie Gröden und selbst entscheiden, ob es auf Meraner Land und Südtirol oder nur auf Schenna in Südtirol setzen will. Was wir aber schon machen, ist sie bei dieser Entscheidung zu unterstützen, also das ganze zu kuratieren.
Wie?
Die erste große Aufgabe der DME wird es nun sein, die Dachmarke, aber auch die Regionalmarken an drei Eckpunkten zu messen: Identifizieren sich die wichtigen Player vor Ort mit der Marke und ihren Produkten, heben sich die Marken von ihren Mitbewerbern ab und haben sie eine Relevanz bei ihrer Zielgruppe. Letzteres werden wir im ersten Halbjahr mit einer großen Marktforschungsstudie überprüfen, die das Wiener Institut marketmind für uns durchführt.
Aufgrund dieser Ergebnisse raten Sie den einzelnen Destinationen was sie bei ihrem Marktauftritt in den Vordergrund stellen sollen?
Es gibt Destinationen wie zum Beispiel Ulten, bei denen jetzt schon klar ist, dass sie keine starke touristische Marke sind. Denen werden wir sicher raten, stärker auf ihr Thema, in dem Fall auf den Erlebnisraum „Alpines Rückzugsgebiet“ zu setzen. Was zum Beispiel in Kaltern herauskommen wird, kann ich jetzt dagegen noch nicht vorhersagen. Vielleicht wirbt man dort dann zum Beispiel in den Niederlanden eher mit dem Erlebnisraum, in Bayern kann es dagegen auch die Marke Kaltern sein, natürlich auch dort in Verbindung mit Themen wie Wein, See und Genuss.
Die Erlebnisräume sind ein weiter neuer Ansatz in Südtirols Tourismusvermarktung. Was wird damit angestrebt?
Das ist eine große und wichtige Neuheit, die nun mit der Abschaffung der Tourismusverbände möglich wurde. Bislang war jeder Tourismusverband darum bemüht, mehr oder weniger alle touristischen Angebote im Sortiment zu haben, war gewissermaßen ein touristischer Gemischtwarenhandel. Nun dagegen schaffen wir Feinkostläden. Wenn jemand zum Beispiel mit dem Mountainbike nach Südtirol kommt, findet er dazu drei oder vier Erlebnisräume. Will er dabei eine eher mediterrane Umgebung, wird man ihm das Unterland anbieten, sucht er ein hochalpines Ambiente bekommt er andere Vorschläge.
Auf den Punkt gebracht: Das Land wird künftig stärker thematisch statt geografisch unterteilt?
Wir haben sechs Reisethemen ausgemacht, die sich dann in den einzelnen Erlebnisräumen in unterschiedlicher Zusammensetzung wiederfinden. Das heißt, auch die Angebote und Marketingstrategien können nun übergreifend entstehen. Die Mitarbeiterinnen der DME erarbeiten zum Beispiel, wo es bereits Angebote rund um den Wein gibt und was mit örtlichen Organisationen noch an Produkten entwickelt werden kann. Dabei wird es Dinge geben, die man gemeinsam machen kann, anderes wollen lokale Anbieter vielleicht nur für sich machen.
In jedem Fall können die unterschiedlichen Gästegruppen so besser bedient werden?
Und auch Nischenthemen haben die Chance, mehr Stärke zu bekommen. Wenn ich eine Landingpage „Langlaufen in Südtirol“ habe, auf der alle Angebote von Seiser Alm bis zum Reschenseegebiet zu finden sind, gibt das mehr Sichtbarkeit als davor, wo jeder Tourismusverband ein bissl Langlaufen angeboten hat.
"Mittlerweile ist die Stimmung gut, weil die Botschaft angekommen ist, dass wir niemandem seine Marke nehmen oder etwas aufdrücken wollen."
Was ist aber nun mit den Destinationen, die den Markenprozess bereits vorweggenommen haben und ihre Marke neu erarbeitet bzw. ergänzt haben. Ist das ein Problem?
Nein, das ist überhaupt kein Problem. Für uns bleibt nur wichtig, dass sie mit der Dachmarke Südtirol zusammenarbeiten statt sie als notwendiges Übel anzuerkennen.
Und dass Ihr ehemaliger Chef Christoph Engl sie dabei coacht, ist genauso unproblematisch?
Das, was von BrandTrust gemacht wird, kann natürlich auch von der IDM bzw. in den DME übernommen worden. Doch wir haben kein Problem damit, wenn externe Agenturen die Regionen begleiten, das bleibt jedem selbst überlassen. Sicher ist, dass wir auch in den DME genügend qualifizierte Leute haben, die das machen können. Und auch wir arbeiten ja immer wieder zusätzlich mit externen Agenturen zusammen.
Würden Sie sagen, der Widerstand gegen die Reform ist mit ihrer Umsetzung nun Geschichte?
Ich denke, mittlerweile ist die Stimmung gut, weil die Botschaft angekommen ist, dass wir niemandem seine Marke nehmen oder etwas aufdrücken wollen. Vielmehr haben wir mit den sechs Reisethemen, den Erlebnisräumen und den Grundwerten der Dachmarke Südtirol einen sehr breiten Grundrahmen gesteckt, in dem jeder Ort, jedes Tal für sich das Richtige finden kann.
Südtirol soll aber überall noch draufstehen?
Ja, denn Südtirol hat als Gesamtprodukt auf den großen Märkten genügend Strahlkraft – mit einer hohen Attraktivität, mit einer Sicherheit und Stärke, von der alle profitieren. Vor allem schwächere Regionen, aber auch die Stars. Es kann zum Beispiel durchaus sein, dass Alta Badia beim Thema Genuss zu den Besten gehört. Doch ob das allein auf Dauer ausreicht, wage ich zu bezweifeln. Ich sehe Südtirol wie ein großes Kaufhaus mit gutem Namen, wie das Kaufhaus Tirol in Innsbruck oder das KaDeWe in Berlin. Natürlich ist man dort auch froh, Rolex und Luis Vuitton im Haus zu haben, doch es gibt auch durchaus interessante und weniger bekannte kleinere Geschäfte. Die spannende Situation entsteht durch die Kombination der unterschiedlichen Angebote – ob im Kaufhaus oder der Tourismusdestination Südtirol.