Im Zeichen des Lichts
Er kommt in erster Linie, um sein jüngstes Buch "über Gemälde von Giovanni Segantini" zu sprechen und daraus zu lesen: Michael Krüger. Der Schriftsteller, Dichter, Übersetzer und legendäre Verleger des Carl Hanser Verlags zählt ohne Zweifel zu den Kultfiguren im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Morgen (23.2.) ist er bei Literatur Lana zu Gast. Und würde er von Lana gradewegs nach Westen und durch den Vigiljoch-Hügel hindurchblicken können, dann würden ihn sicher nostalgische Erinnerungen an seine Zeit in Naturns einholen, jenen Ort, den Krüger als junger Erwachsener immer wieder aufsuchte.
Das Wölfische, das diesem Menschenschlag eigen ist, in Verbindung mit dem naivsten Katholizismus hat in dieser Kultur gerade im Winter eine verheerende Wirkung...
„Oh ja, ich habe die schönsten Erinnerungen an Südtirol“, erzählte er einmal auf die Frage, was ihn denn mit Südtirol verbinde. „Meine Eltern hatten in Naturns ein winziges Häuschen, in dem mein Vater auch verstorben ist. Ich war gerade erst bei Hanser und war oft übers Wochenende in Naturns.“ Dort habe er viel „geschrieben, getrunken“ und sich „mit den Bauern unterhalten.“ Einmal traf er damals sogar den gewichtigen Lyriker Ezra Pound auf der Brunnenburg. Es sei das „stummste Gespräch der Weltgeschichte“ gewesen, erinnert sich Krüger – „eine Poetik des Schweigens.“
Nicht den großen und wegen seiner Nähe zu Mussolini umstrittenen Poeten Pound huldigt Krüger in seinem neuen Buch, sondern wie der im Trentino wohnhafte Schriftsteller Carmine Abate – er war wie Krüger auch mit dem 2022 verstorbenen Schriftsteller Joseph Zoderer befreundet –, den großen Maler Giovanni Segantini. Zwar nicht so akribisch und über Jahre recherchiert wie Abate, nähert sich Krüger auf seine Weise der „Schönheit“ und dem „gänzlich unsentimentalen Naturverständnis“ von Segantinis Bildern. In dem „stillen Buch“, das eher literarisch als kunsthistorisch daherkommt, schreibt er auch „über Einsamkeit, Kunst und Natur“ und wie „sich Nüchternheit und Ergriffenheit, Anschauung und Reflexion verbinden.“
Der wohl berühmteste Hochgebirgsmaler des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde 1858 in Arco am Gardasee geboren, verlor als Siebenjähriger seine Mutter und seine Staatsangehörigkeit. Mit dem Divisionismus, einer eigenen Maltechnik gelang es Segantini „die ungebrochene Helligkeit des Hochgebirges wiedergeben zu können.“ Bevor er mit nur 41 Jahre an seinem letzten Wohnort in Maloja im Oberengadin verstarb, sollen seine letzten überlieferten Worte „Voglio vedere le mie montagne“ gewesen sein. Dieses todesnahe „Ich will meine Berge sehen“, inspirierte über 70 Jahre nach Segantinis Tod den Künstler Joseph Beuys zu einer gleichnamigen Rauminstallation. Segantinis Leben und Schaffen hingegen Michael Krüger zu einem Buch, das „eine Hommage an den feinsinnigen, vitalen und exzentrischen Künstler“, ist, „der aus Armut und Not aufgestiegen und konsequent in seinem künstlerischen Anspruch zu Ruhm“ gelangte.
Im Anschluss an die Lesung in Lana folgt ein Gespräch mit dem Kenner „der europäischen Literatur“, der „wie kein Zweiter über Gott und die Welt der Literatur erzählen kann.“ Vielleicht erzählt Krüger dann auch über die Südtiroler, die er in seinem Buch Der Gott hinter dem Fenster (2015 Haymon) einst beschrieb und diese seine Beobachtung doch sehr treffend – zu der vom Tagblatt Dolomiten lancierten Wolf-Debatte –, ins gegenwärtige Zeitgeschehen passt: „Das Wölfische, das diesem Menschenschlag eigen ist, in Verbindung mit dem naivsten Katholizismus hat in dieser Kultur gerade im Winter eine verheerende Wirkung ausgeübt, die im Sommer von den Apfelblüten nur notdürftig zugedeckt wird.“
Und noch was. Nicht ganz nebenbei liebt Michael Krüger, wie kaum ein anderer Schriftsteller, Apfelbäume: „Ich beobachte meinen Apfelbaum jeden Tag“, erzählte er einmal „einen alten Herrn, völlig verschorft, aber mit welcher Grazie er das Alter erträgt, mit welcher Scham er es erträgt, an einem bestimmten Tag im November nackt dazustehen, das ist unbeschreiblich.“ Auch diesbezüglich ist Krüger in der Apfelgemeinde Lana, wo der Kirchturm sogar die Form eines Apfels hat und wo vor kurzem das alte Obstbaumuseum neu hergerichtet wurde, gold(delicious)richtig. Seinen literarischen Anekdoten wohnt mitunter eine sanftmütige Bissigkeit inne, die zu Wolf, Apfel und natürlich zu (Literatur) Lana passen. Und das Ganze dann noch im Lichte Segantinis.