Cultura | Salto Weekend

Vielschichtige Vernetzung [1]

Wie es Hans Josef Weber-Tyrol in den Süden zog und Artur Nikodem in den Norden. Ein malerischer Streifzug in das Frühwerk zweier Künstler. In zwei Teilen. Mit der Bahn.
Wandelhalle
Foto: Weber-Tyrol

Ausblick auf die Landschaft

„Als ich beim Glaspalast einreichte, bekam ich einen Mittelplatz in einem Ehrensaal“, notiert Hans Josef Weber-Tyrol in seinem Domizil in St. Georgen bei Schenna, hoch über Meran 1933. An einem wunderbaren Platz mit romanischer Rundkirche will er seinen Lebensabend verbringen und erinnert sich, in alten Briefen stöbernd, an seine ersten großen Ausstellungen in München und Wien, an die beteiligten Künstlerkollegen und an seine Arbeiten, die er herzeigte und mitunter verkaufte. 
Im offiziellen Katalog der IX. Internationalen Kunstausstellung im Kgl. Glaspalast zu München – 1905 veranstaltet von der Münchner Künstlergenossenschaft im Verein der Münchner Sezession –, ist er beispielsweise mit dem Ölbild Bergfeste vertreten. Im selben Jahr auch als Gastmaler beim Hagenbund in Wien, zeigt er die Föhren, ein Jahr später, erneut beim Hagenbund, einmal die Pappeln am Wasser und in der Winterausstellung das Ölgemälde Bermoos.
Der Künstlerverein Hagenbund steht für eine gemäßigte Moderne, agiert im Schatten der Wiener Secession und grenzt sich deutlich vom Wiener Künstlerhaus ab. Genau in diesem Spannungsfeld soll sich auch Hans Josef Weber, wie er sich damals noch ohne Tyrol nennt, ein ganzes Leben lang bewegen. 
Entgegen den Ratschlägen seiner Freunde zieht es den aus dem Tiroler Schwaz stammenden Landschafter in diesen frühen Jahren zurück nach Tirol – auch wenn er mit einem Standbein noch weitere Jahrzehnte in der Münchner Großstadt bleibt. Ihn zieht es in die Natur, und dank der immer besseren Vernetzung der Landstriche, die Ende des 19. Jahrhunderts durch eine gut durchdachte und fortschrittliche Bahnpolitik eingeleitet worden ist, kommt ihm das Reisen in vorher nur mühsam erreichbare Landschaften nun entgegen. Legt man die Pläne für die realisierten und nicht realisierten Bahnprojekte zur Erschließung der Täler, Berge und Kurorte im Alpenraum über- und nebeneinander, so ergibt sich ein atemberaubendes Netz, das sich vom großstädtischen Flachland über die Alpenpässe bis nach Riva und Venedig zieht. Dieses Netz schafft außerdem Aufträge für Künstler, die mit ihrer Staffelei das Malen unter freiem Himmel dem Atelier vorziehen.
In seinem Refugium in St. Georgen schreibt Weber-Tyrol rückblickend: „In München erwarb ich mir die Technik der Steinzeichnung, es entstanden verschiedene Plakate, welche ich selbst auf Stein zeichnete. So die ersten Stubaiplakate, die mich rasch in der Heimat bekannt machten.“ 


Bahnverkehr und Fremdenverkehr

Nachdem die Nordtirolerbahn (Innsbruck–Wörgl–Kufstein) und die Südtirolerbahn (Bozen–Trient–Verona) Ende der 1850er-Jahre eröffnet worden sind, folgt 1867 die Brennerbahn (Innsbruck–Brenner–Bozen) und 1871 die Kärtner-Pustertalbahn (Villach–Franzensfeste). Damit sind schon einmal die wichtigsten Eisenbahnrouten auf Schiene gebracht. Nach dem Bau der Giselabahn (Wörgl–Salzburg, Bischofshofen–Selzthal) 1875 wird 1881 endlich auch der Kurort Meran an das immer rascher wachsende Bahnnetz angeschlossen. Ab 1884 folgt die Arlbergbahn (Innsbruck–Landeck–Bludenz), 1889 die Achenseebahn (Jenbach-Seespitz), 1891 die Mori-Arco-Riva-Bahn und schließlich 1896 das Großprojekt Valsuganabahn von Trient bis zur Reichsgrenze Tezze. Für diese Bahn – gedacht als angenehme Verbindung Trient–Venedig – gestaltet Hans Josef Weber 1905, im Stil des 1904 entworfenen Stubaitalplakates, ein weiteres Bahnplakat. Es zeigt den Caldonazzosee im Vordergrund, dahinter thronend Schloss Pergine. Diese Plakatarbeit präsentierte Weber auch im Rahmen der Ausstellung des Tiroler Künstlerbundes in Innsbruck. 


Weber bringe „prächtige Landschaften in guter moderner Art“, schreiben die "Tiroler Stimmen" in ihrer Ausgabe vom 29. August 1906 zur Ausstellung und heben das Bild Kapelle in Ehrwald besonders hervor. Egger-Lienz, Orazio Gaigher, Albert Stolz, Max von Esterle, Franz Defregger und Alexander Koester stellen ebenfalls aus. Auch der Schwazer Ludwig Penz ist mit zwei Statuen dabei. Über ihn macht Weber später auch Bekanntschaft mit Jakob Köllensperger, der ihm viele Aufträge in Südtirol verschafft. Es ist auch das Jahr, in dem Weber neben kleineren Ölbildern für das Hotel Tirol in Meran auch ein erstes großes Wandbild für die Meraner Wandelhalle fertigt – erneut mit einem idyllischen Seeblick. „Das Bild ist voll Stimmungszauber und warmer Schönheit. Es wird nicht verfehlen, die Aufmerksamkeit der Fremden auf die im oberen Vinschgau gelegene Ortschaft am Reschensee zu lenken“, schreiben die "Bozner Nachrichten". Die Absicht der Auftragsarbeit durch die Hotelbau-Vereinigung Reschen-Scheideck ist auch aus bahntechnischen Überlegungen interessant. Sie versucht nämlich, über die im Juli 1906 eröffnete Vinschgerbahn nicht nur den Fremdenverkehr im oberen Vinschgau anzukurbeln, sondern auch die Reschen-Scheideck-Bahn zu realisieren, die von Landeck über den Reschenpass nach Mals führen soll. Trotz einer langen Planungsphase wird sie nie gebaut. Auch erneute Versuche jeweils nach den beiden Weltkriegen scheitern – somit bleibt auch der 1905 gereifte Gedanke einer Verbindung von der Lagunenstadt Venedig über die Valsugana-Route und den Vinschgau an den Bodensee auf der Strecke. 
Der Postbeamte und Maler Artur Nikodem betätigt sich in diesen Jahren ebenfalls gestalterisch für den Fremdenverkehr. Er illustriert 1906 die Plakate und Prospekte für die Meraner Sommersaison und fertigt zwei Bildnisse, welche die Meraner Hotels Kaiserhof und Post zeigen.


Der 1870 in Trient geborene Nikodem ist zweisprachig aufgewachsen und lebt eine liberalere Einstellung zur großen Welt und zur näheren Umgebung. Über Umwege ist er im September 1893 nach Meran gekommen, wo er bei der Hauptpost arbeitet und erste Gehversuche als Maler unternimmt. 
Im Januar 1906 wird der Meraner Künstlerbund gegründet, mit der Absicht, regelmäßig Ausstellungen im nahen Ausland zu besuchen und mit dem Meraner Kunst- und Gewerbeverein zusammenzuarbeiten. Bei der kleinen Ausstellung in der Meraner Marktstraße im November 1906 ist Nikodem mit einem Ölbild Zufallspitze vertreten und findet in der Meraner Zeitung Erwähnung.
Die Ausstellung vom Meraner Künstlerbund wenige Monate später wird vom Feuilleton der Innsbrucker Nachrichten vom 20. April 1907 aufgegriffen und erntet nicht nur Anerkennung. „Die Luft der Kurorte bekömmt der Kunst meist miserabel“, beginnt der Autor seine Kritik und lästert über Kur und Kulturbetrieb und die ausgestellte Kunst. Einige der beteiligten Künstler kommen in diesem "Meraner Kunstbrief" dennoch mit lobenden Worten davon. Einer von ihnen ist Artur Nikodem. Seine „‚Dämmerung im Hochwalde‘ erhält bei ungezwungener, sicherer Technik viel Stimmung; denselben Vorzug weisen seine übrigen Landschaften auf, vor allem die ‚Dorf Scheune‘ in weichem, warmem Abendsonnenlichte.“ Nikodem wird als „feiner, tiefer Naturbeobachter mit ausgesprochener Veranlagung“ beschrieben, der imstande sei, „das Poetische in einer Landschaft herauszufühlen und auf die Leinwand zu bringen.“ 
Im darauffolgenden Jahr bekommt Meran endlich eine Straßenbahn. Artur Nikodem verlässt die Kurstadt dennoch und wechselt zur Hauptpost nach Innsbruck. In der Tiroler Landeshauptstadt erhofft sich der aufstrebende Maler wohl bessere Ausstellungsmöglichkeiten und noch bessere Kritiken.

 

[Ende Teil 1]