Film | SALTO Weekend

Leos Carax spielt Jean-Luc Godard

Ein aktuelles Kleinod des experimentellen Films kommt vom französischen Exzentriker Leos Carax. Darin erforscht er vor allem eines: sich selbst.
Ein Mann auf einem Bett
Foto: Janus Films
  • It’s not me von Leos Carax dauert nur etwa 40 Minuten, hat aber die Wucht eines zweistündigen Films. In kurzer Zeit wirft einem der Regisseur unzählige Bilder, Geräusche und Sätze entgegen, dass der kurzweilige, aber doch intensive Film nicht spurlos vorübergeht. It’s not me erzählt keine herkömmliche Geschichte, sondern gibt sich höchst experimentell. Carax beschäftigt sich darin mit sich selbst, auch wenn der Titel das leugnet. Überhaupt spielt der Film mit der Wahrnehmung des Publikums und fordert es heraus, teils direkt darauf angesprochen. Carax spricht über Personen, über Stationen seines Lebens, zeigt sie uns anhand von Filmaufnahmen und Fotos, widerspricht dem Gezeigten und sagt: „Das ist er/sie/es nicht.“ Dabei streift der Regisseur einerseits seine eigene Biografie, auf die er, heute Mitte sechzigjährig, im Bett liegend, mit einer Zigarette im Mundwinkel, zurückblickt. Seine Erinnerungen schreibt er sich auf, immerzu während ist das kratzende Geräusch des Stifts zu hören. Das eigene Leben vermischt sich bei Carax mit der Filmgeschichte. Da ist die Vergangenheit, die in die Gegenwart spricht, Bilder, die heute eine neue Bedeutung erhalten. Der Regisseur ist sich nicht auch nicht zu schade, Einstellungen aus eigenen Filmen zu verwenden und sich Gedanken über das eigene Werk zu machen.

  • Foto: Janus Films
  • Fließend gehen Biografisches und Reflexionen über das Kino und die Welt, die es erschafft, ineinander über. Carax nutzt dabei alle möglichen filmischen Methoden, montiert zuvor Getrenntes und erschafft etwas Neues. Das Voice Over, seine eigene Stimme, wechselt zwischen Französisch und Englisch. Dazu sprechen große und bunt gefärbte Schriftzüge im Bild eine eigene Sprache. Sie warten nicht ab, gelesen zu werden, legen sich gerne auch mal übereinander und machen einander unlesbar. Es sind Forderungen, Fragen, kaum einmal Antworten, manchmal Erklärungen, immer jedoch eines: Jean-Luc Godard. Wer dessen Experimentalfilme wie etwa Bildbuch kennt, fühlt sich bei It’s not me ein ums andere Mal an den verstorbenen Großmeister erinnert. Carax selbst lässt Godard, den er offensichtlich sehr bewundert, nicht unerwähnt. Er blendet ihn sogar ein, wenn er über seine Väter spricht. Er nutzt einige Stilmittel des späten Godard und macht sich damit eigene Gedanken. 

    Besonders das Ende kommt beinahe mahnend daher. Darin geht es um die Bilder, die früheren und die heutigen, die verglichen werden. Heute, wo alles rasanter und schneller wird, atmen die Bilder nicht mehr. Das ist weniger die Sorge eines Gealterten, der nicht mit dem Tempo der aktuellen Zeit mithalten kann. Vielmehr steckt darin viel Wahrheit. Das Kino selbst steht im Wettstreit mit neuen Sehgewohnheiten. Die wollen uns blenden, wie es bei Carax heißt. Dabei sollen wir blinzeln dürfen, und dennoch erleben können. Die Schönheit der Welt, so der Filmemacher, verlangt es.

  • (c) Janus Films