Was von der Nacht bleibt
Man kann wahrlich nicht von Innovation sprechen, wenn Damien Chazelle seinen Plan äußert, ein breit angelegtes Porträt des Hollywood der ausgehenden 1920er bzw. anfänglichen 30er zu erzählen. Oft schon schwelgte die vermeintliche Traumfabrik in nostalgisch verklärter Erinnerung an sich selbst, huldigte dem Narzissmus ohne Scham, nur um am Ende einige Tränen zu verdrücken, darüber, dass es nie mehr so sein wird, wie einst. Damien Chazelle versucht, diese Falle zu umgehen. Sein Film „Babylon“, der stolze drei Stunden dauert, möchte sich bereits durch seinen Titel von jeder Romantisierung entfernen, Hollywood nicht als schillernde Kreativschmiede voller Stars und Sternchen zeigen, sondern tiefer graben, den Boden umgraben, um hervorzuholen, was darunter schlummert. Laut Chazelle sind das Exzesse, wilde Partys, Drogenkonsum, Tränen und Leid, wohin man blickt. Aber auch Euphorie im Angesicht großer Kunst, so zumindest möchte es der Film seinem Publikum verkaufen. Um verschiedene Perspektiven auf die US-amerikanische Filmbranche jener Zeit zu zeigen, erzählt Chazelle die Geschichte seines Babylon durch die Augen dreier Figuren. Da wäre Nelly, gespielt von Margot Robbie, eine aufstrebende Schauspielerin, die sich bisher allerdings mehr auf den besagten Partys, als auf Filmsets herumtrieb. Gleich zu Anfang trifft sie die zweite Figur, Manny (Diego Calva), einen mexikanischen Einwanderer, der mit dem Traum jongliert, Regisseur zu werden. Schließlich trifft man noch Brad Pitt als Jack Conrad, der den etwas verbrauchten, vom Alkoholmissbrauch gezeichneten Schauspielstar mimt.
Der Versuch, ein anderes Hollywood zu zeigen, sich von der Egomanie zu verabschieden, um vermeintlich ehrlich mit sich und dem eigenen Mythos zu sein, artet auch hier wieder in großer Selbstliebe aus.
Ihr Weg durch Babylon verläuft zumeist parallel zueinander, nur manchmal treffen sich die Erzählstränge, vor allem jene von Nelly und Manny, während sie am Ende zusammenlaufen. So soll ein vielschichtiges Porträt gezeichnet werden, eines, das sich unterscheidet von all den anderen. Dem bewussten Einsatz von allerlei Schweiß, Fäkalien, Drogen und Sex zu Trotz kommt Chazelle aber nicht umhin, altbekannte Szenen neu zu drehen. So zeigt er etwa die Tücken der neuen, technischen Errungenschaft, des Tonfilms, in einer langen Szene, durchaus humorvoll, doch kaum anders als es in „Singin´in the rain“ von 1952 geschah. Überhaupt wird letzterer Film mehrmals direkt zitiert, genauso wie einige andere. Chazelle kann seine nostalgische Seite nicht völlig ablegen, im Gegenteil. Der Versuch, ein anderes Hollywood zu zeigen, sich von der Egomanie zu verabschieden, um vermeintlich ehrlich mit sich und dem eigenen Mythos zu sein, artet auch hier wieder in großer Selbstliebe aus. Chazelle wähnt sich klüger als seine Kolleg*innen, die sich an Hollywoods Historie abarbeiteten, letzten Endes lässt er sich aber trotzdem von allzu viel Nostalgie, und sei sie noch so mit Schmutz überzogen, verführen. Dieser Schmutz ist nämlich keiner echter, sondern gleicht dem Make-Up auf dem Gesicht einer Schauspielerin. Diese Künstlichkeit kann der Film nicht verbergen, ihm das Erzählte völlig abzunehmen, fällt schwer.
Es ist dennoch beeindruckend, mit wie viel Liebe zum Details diese Welt und ihre Hintergründe gestaltet sind. Atemlos treibt der Regisseur seine stets dynamische Kamera durch aufwändige Sets, begleitet von einem Soundtrack, der passend dazu elektrisierend wirkt. Anders als sein Regisseur versteht es Chazelles Stamm-Komponist Justin Hurwitz jedoch, Akzente zu setzen. Seine Musik ist meisterhaft und sicherlich das Beste an diesem Film, spielt mit allerlei Varianten des Jazz, und untermalt die Wege der drei Protagonist*innen mal berauschend chaotisch, mal sanft melancholisch.
Die drei Stunden vergehen wie im Flug und halten sich nicht mit Langeweile auf.
Der Film unterhält trotz seiner Schwächen gut. Die drei Stunden vergehen wie im Flug und halten sich nicht mit Langeweile auf. Während besonders zwischenmenschliche Entwicklungen zum Ende hin etwas arg schnell erzählt werden, lässt sich Chazelle in seiner Abschlussszene zu einer nostalgischen Montage diverser bekannter Szenen der Filmgeschichte hinreißen. Damit möchte er wohl darauf hinweisen, was auf Babylon folgte, wie schön und wie magisch dieses Hollywood, aber auch das Weltkino sich noch entwickelte. Er bricht mit der Illusion des Films und quasi die vierte Wand, jedoch völlig aus dem Nichts und stilistisch unmotiviert. Es ist der Versuch, „Babylon“ zu einem von jenen Filmen hochzujubeln, er soll in einer Reihe stehen neben „Die Reise zum Mond“, „Die Passion der Jungfrau von Orléans“, „2001“, „Persona“, und vielen mehr. Dieser Anspruch ist leider höchst vermessen, und kann von keinem Regisseur der Welt eingefordert werden. Auch nicht von Damien Chazelle, dessen inszenatorisches Talent in diesem Film Opfer von Größenwahn wurde, und der, obgleich in neuem Gewand, bloß Altes erzählt.