Politica | Aus dem Blog von Thomas Benedikter

Mehr Demokratie in der EU: das geht

Es sieht nicht nach einer großartigen Wahlbeteiligung bei diesen EU-Wahlen aus, sie könnte sogar unter die 43 Prozent von 2009 sacken. Die wachsende Wahlabstinenz von Millionen von Europäern ist nicht nur Folge des von den Euroskeptikern beförderten Misstrauens gegenüber der EU an sich, sondern ist auch in den politischen Verfahren und im institutionellen Aufbau der EU zu suchen. Beide Formen von Bürgerbeteiligung in der Demokratie sind in der EU noch deutlich ausbaufähig: jene über gewählte Vertreter und jene über Volksabstimmungen, also direkte Demokratie.
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Hier einige Reformen, die das neue EU-Parlament für seine eigene Wahl rasch anpacken könnte:

  • Die Wahlen zum EU-Parlament müssen an zwei selben Tagen in der gesamten EU erfolgen. Eine europäische Öffentlichkeit wird dadurch befördert, wenn ganz Europa am Wahlabend die Ergebnisse auf dem Bildschirm sieht und "europäisch" deuten kann;

  • Die europäischen Parteien und Listenverbindungen müssen auf den Wahlzetteln aufscheinen. Es muss für die Wählerinnen europaweit erkennbar sein, für welchen Verbund von Parteien man stimmt. Wer weiß z.B. in Südtirol, in welchem Boot Pius Leitner sitzt?

  • Das EP muss das Recht erhalten, den Kommissionspräsidenten zu wählen. Derzeit kann es nur den Vorschlag des Europäischen Rats bestätigen oder ablehnen. Der Kommissionspräsident kann über die EP-Wahl ermittelt werden, indem er oder sie als Spitzenkandidat der Parteien geführt wird und die europäische Partei oder Liste mit der relativen Stimmenmehrheit das Recht auf den Kommissionspräsidenten erhält.

  • Es muss ein für die EP-Wahl einheitliches Wahlrecht eingeführt werden, damit alle Vertreter dieselbe Legitimation erhalten. Eine Prozenthürde ist unvertretbar.

  • Die EU muss eine echte parlamentarische Demokratie mit Gewaltenteilung erhalten: dem Parlament die Legislative, der Kommission die Exekutive (mit Vorschlagsrecht für EU-Normen), den Mitgliedsstaaten eine zweite Kammer mit Kontrollrechten und einem Vermittlungsausschuss (wie in Deutschland). Das geht auch ohne die EU in einen Bundesstaat zu verwandeln, allerdings nur mit einer Vertragsänderung.

Bei der direkten Bürgerbeteiligung ist mit dem Lissaboner Vertrag die Europäische Bürgerinitaitive (EBI) eingeführt worden, die seit April 2012 nutzbar ist. Weder EU-Politiker noch NROs sind mit diesem Petitionsinstrument zufrieden. Ursprünglich angepriesen als das erste transnationale Intrument direkter Demokratie, hat sich schon in zwei Jahren deutlich gezeigt, dass das Verfahren für die EBI geändert werden muss, um wirklich Einfluss auf die Gesetzgebung zu erhalten. So sind z.B. die Einstiegshürden immer noch zu hoch und nur wenige EBIs schaffen die geforderte Million Unterschriften. Auch die dafür zuständige Institution der EU muss nachrüsten, um den Bürgern wirklich Hilfestellung zu bieten. Im April 2015 ist ohnehin vorgesehen, dass die EBI auf den Prüfstand gestellt wird.

Das neue EU-Parlament kann die Chance nutzen, und ein echtes direktdemokratisches Instrument schaffen: von der EBI zur EVI, der Europäischen Volksinitiative. Die EU-Bürger sollen bei wichtigen Fragen der Europapolitik zu Subjekten der Gesetzgebung werden und zu zentralen Fragen echte Volksinitiativen einbringen können (Gesetzesvorschläge). Wenn das Parlament - und dieses muss Adressat der Bürgervorschläge werden und nicht die Kommission - diese ablehnt, kommt es zu einer europaweiten Volksabstimmung. Erst mit diesem Gewicht im Hintergrund, werden die Bürgervorschläge wirklich ernst geworden. Gleichzeit wird das Bewusstsein von EU-Bürgern, von denselben Normen und Maßnahmen betroffen zu sein, sie aber notfalls auch gemeinsam ändern zu können, ganz wesentlich gesteigert. Eine EU-weite Volksabstimmugn muss nicht bloße Zukunftsmusik sein. Auch dafür braucht es allerdings eine EU-Vertragsänderung, die am besten über einen Konvent laut Art. 48 des Lissaboner Vertrags erreicht werden soll. Messen wir die neuen MdEPs auch an diesen Schritten.

Thomas Benedikter