
Vom Ausstieg aus einer Gewaltsituation
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Manchmal würde ich mir Scheuklappen wünschen, solche, die gar einige Menschen rund um mich tragen. Es sind Scheuklappen, die das Thema der männlichen Gewalt an Frauen auszublenden vermögen, und zwar an ca. 360 Tagen, außer an jenen rund um den 25. November.
Wenn ich solche Scheuklappen tragen könnte, dann würde ich mich am internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt an Frauen mit Gleichgesinnten treffen und zum Beispiel im Theater ein themenbezogenes Stück anschauen. Vielleicht würde ich auch ein paar Euro in die bereitstehende Spendenbox werfen und mein Gewissen bis zum nächsten 25. November reinwaschen. Sollte das nicht reichen, könnte ich immer noch am Equal Pay Day mit einer roten Tasche herumlaufen oder beim nächsten (wie ein Meteorit einschlagenden) Femizid Schweigeminuten einlegen. Wahrscheinlich wäre mein Leben dann einfacher, ich würde besser schlafen und weniger Valeriana einnehmen müssen.
Allerdings entgingen mir dann auch Erfahrungen und Begegnungen, die ich nicht missen möchte. So zum Beispiel die Gespräche, die ich letzthin mit Frauen führe, die aus einer Gewaltsituation ausgestiegen sind: die bunte Boznerin, die Uniprofessorin, das Mädchen mit Migrationshintergrund, die gleichaltrige Unterlandlerin, die Oma aus dem Semirurali-Viertel, die Überlebende eines Femizid-Versuchs. Diese Betroffenen sind so grundverschieden und haben auch unterschiedliche Strategien entwickelt, um zu überleben, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Aber eines haben sie gemeinsam: Sie sind unglaublich stark und möchten mit ihren Erfahrungsberichten andere von Gewalt betroffene Frauen unterstützen, ihnen persönlich Mut machen und Lust auf ein Leben frei von Gewalt, mit ihrem Beispiel vor Augen. Dafür bewundere ich jede Einzelne von ihnen und fühle mich sehr privilegiert, ihre Geschichten sammeln und über Audio-Instrumente mit anderen teilen zu dürfen. Ihr könnt sie im Podcast Free! anhören und gerne weitertragen. So erreichen ihre Stimmen jene Frauen, für die sie eigentlich aufgezeichnet wurden.
Immer wieder wird mir schmerzhaft bewusst: Gewalt an Frauen findet jeden Tag im Jahr und an allen möglichen (und unmöglichen) Orten statt, und genauso müssen wir uns tagtäglich und überall damit befassen, am Thema dranbleiben, uns immer wieder Neues einfallen lassen, um zu sensibilisieren und dagegen anzukämpfen. Wenn wir darüber sprechen, können wir Frauen in Gewaltsituationen tatsächlich unterstützen!
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