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Historische Streiflichter

Mit „Kaiser, Krieger, Heldinnen“ legt die Schriftstellerin Bettina Balàka ein subjektives Geschichtsbuch Österreichs vor – fein pointiert und hochaktuell.
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Foto: Foto: Alain Barbero

Auf „Exkursionen in die Gegenwart der Vergangenheit“ – so der Untertitel von Balàkas bei Haymon erschienener Essaysammlung – führt uns die Autorin durch eine Auswahl großer Themen des modernen Europas am Beispiel Österreichs: Frauenbewegung, Erster Weltkrieg, Habsburgermythos, nationale Identität, Erinnerungskultur. In den Mittelpunkt stellt sie dabei das Subjektive, Anekdotische (passend dazu das Eingangszitat von Siegfried Kracauer: „Ginster hatte niemals Völker kennengelernt, immer nur Leute, einzelne Menschen.“). Und dieses Konzept geht auf. Anhand des Einzelschicksals gelingt es Bettina Balàka, die Absurditäten des großen Ganzen der Geschichte zu entlarven.

Was undenkbar erscheint, kann sich erstaunlich schnell ändern

Das Highlight von „Kaiser, Krieger, Heldinnen“ ist ganz klar das Kapitel über die Heldinnen – Frauen, die auf irgendeine Weise Pionierinnen waren, freiwillig oder unfreiwillig, manche davon längst vergessen. Allein bei den Jahreszahlen muss jeder, der behauptet, die Gleichberechtigungsfrage sei doch spätestens nach den Errungenschaften der 68er-Generation vom Tisch, schlucken.

So gab es tatsächlich erst 1992 die erste weibliche Busfahrerin in der Geschichte der Wiener Verkehrsbetriebe. Und die erste Flugkapitänin bei der Lufthansa gab es sogar erst im Jahr 2000, und das obwohl bereits 1910 die Französin Élise Deroche als erste Frau der Welt den Flugschein gemacht hatte. Frauen wurden schlicht für zu nervenschwach, unkonzentriert und labil gehalten, um Fahr- oder Flugzeuge zu steuern. „Was undenkbar erscheint, kann sich erstaunlich schnell ändern“, kommentiert Balàka. „Man kann sich nie sicher sein, was verrückt ist oder vielleicht doch eine gute Idee […]. Manchmal geht gesellschaftliche Veränderung so schnell, dass eine Generation der nächsten davon erzählt wie aus grauer Vorzeit. Was heute vollkommen vernünftig erscheint, löst Jahrzehnte später ungläubiges Kopfschütteln aus.“ Rauchen im Warteraum der Arztpraxis etwa, oder unangeschnalltes Autofahren. Wie stark aber Gewohnheit prägt, gerade wenn man auf der vermeintlich „sicheren Eisschicht des eigenen vorbildlichen Denkens über sie hinwegschreiten“ will, beweist die Autorin am eigenen Beispiel: Da beschreibt Bettina Balàka in einem Kapitel den mühsamen Weg hin zum Frauenwahlrecht und versäumt dann im darauffolgenden Essay glatt, die weibliche Wählerschaft auch sprachlich zu erwähnen. Konsequentes Gendern wäre hier wünschenswert gewesen.

Auch wenn der Mensch immer wieder beweist, dass er nichts aus der Geschichte lernt, möchte ich die Lektüre dieses zutiefst unterhaltsamen, minutiös recherchierten sowie klug argumentierten Essaybands doch sehr ans Herz legen, gerade heute und jetzt, angesichts metoo und Gender Pay Gap, geschichtsmusealer Spaßkultur, journalistischer und politischer Meinungsmache auf Kosten der Faktensuche und eines erstarkten nationalstaatlichen Denkens. Im naiven Glauben, dass der eine oder die andere doch nicht so lernresistent ist.