Oh mein Gott ...
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Follower steht in einer schmucken, leuchtenden Schrift hoch über der Eingangspforte der Pfarrkirche Bruneck. Das Wort ist Teil einer Installation der Künstlerin Wil-ma Kammerer und eine kritische Betrachtung auf unsere Zeit, wo die Anzahl der "Follower" gern als Maßstab für Erfolg gesehen wird. In Wirklichkeit ist neuzeitliches Followertum natürlich „Bullshit“, dämliche Augenauswischerei und lediglich billiges Algorithmus-Futter. Taugt es aber wirklich nur für jene Kapitalismusopfer, die fest daran glauben? Und was ist schon Wirklichkeit?
Geschichten müssen gut sein, damit sie die Zeit überdauern, aber nicht unbedingt wahr.
Das Ausstellungsprojekt Epiphanie oder Der Zweifel des Atheisten will dem Glaubhaften und dem Unglaubwürdigen auf den Grund gehen und hat dazu mehrere Künstlerinnen und Künstler eingeladen, mittels Installationen in Brunecker Bethäusern und ihnen vorgelagerten Plätzen, dieser Thematik nachzuspüren und um dadurch neue Räume der (künstlerischen) Kommunikation zu schaffen. Ein weiterer "Kunstort" des Projekts ist das sogenannte Kappler Stöckl in Reischach. Hier zeigt Paul Sebastian Feichter seine Arbeit Licht. Lux, wofür er goldene „Strahlen“ Richtung Himmel ragen lässt. Um Himmels Willen...
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Zurück aber nach Bruneck. Ähnlich wie Wil-ma Kammerer laden Michael Meraner und Raphaela Sauer zum Follower*innen-Treffpunkt. Die Künstlerin und der Künstler haben auf den Vorplatz der Kapuzinerkirche in Bruneck eine Sitzbank gestellt, die zur Auseinandersetzung mit sich selbst und mit anderen einlädt. Die X-förmige Bank funktioniert als analoge Plattform und wurde aus einem besonderen Stein gefertigt, nämlich einem, der vor zehn Jahren mit großem Karacho auf ein bäuerliches Anwesen im Südtiroler Unterland polterte. In Bruneck lädt nun dieser „Polter“-Stein zum Verweilen und Diskutieren, ist bodenständiger Gegenpol zeitgenössischer Kommunikationsformen für X-fache und X-tolle Geschichten. „Geschichten müssen gut sein, damit sie die Zeit überdauern, aber nicht unbedingt wahr“, meint das Duo zu ihrer Installation, die „bibelfest“ vom sechsjährigen Jesus erzählt, der am Ufer eines Flusses spielt und aus Lehm zwölf Spatzen formte, die am Ende lebendig werden und davonfliegen. Wahrheit oder Fake News? Egal! Hauptsache es sind keine Spatzen, die volksdümmliche Musik machen.
In eine ähnliche Kerbe wie die kreuzförmige X-Bank schlägt die Arbeit des Brunecker Lokalmatadors Carlo Speranza. An der Fassade des ECK-Museums zeigt er eine sehr altbacken daherkommende und schwungvoll gestaltete goldene Schrift, die vielleicht ein Engel beim schnellen Durchfliegen über die bigotte Pustertaler Hauptstadt verloren haben könnte. In schlampigen Lettern über-„sprayt“ der Künstler die vorgegebene Wortspende, indem er die ident gleiche Botschaft (Siehe Mutter, ich mache alles neu) erneut aufträgt. Den Satz soll Jesus zu Maria beim Tragen des Kreuzes gesagt haben. Oh My God!
Auch wenn die Verlockung groß ist, wer will dieser unterwürfigen Einladung wirklich folgen?
Sylvie Riant (Videoinstallation) und Christian Mair (Musik) zeigen in der Kapuzinerkirche die Arbeit Mandèt als sakrales Video mit fünf Statisten. Während in Video eins eine Szene offenbart wird, die vom Ritual der Fußwaschung inspiriert wurde, sind im zweiten Video ein Mann und eine Frau zu sehen, die vor einer fantastisch bunten Landschaft stehen, die sich langsam verwandelt und in Flammen aufgeht. Julia Bornefeld und Fabio Dall'Aglio präsentieren Transiens, eine zerbrechliche Skulptur, die sich ebenso fragil auf die Zerbrechlichkeit des Seins bezieht. Eine religöse Erscheinung? Für die filgirane Arbeit – sie erinnert durchaus an die vor Jahren realisierte Bornefeld-Arbeit in der Franzensfeste –, ist eine eigens in der Brunecker Ursulinenkirche aufgenommene Komposition von Fabio Dall'Aglio entstanden.
Sissa Micheli legt mit Rock O' Barocco/A Piece of Folds einen Teppichläufer mit über 20 Metern in die Brunecker Pfarrkirche, der – wie eine flauschig rote Autobahn für Fuß-Buß-gänger – vom Eingangsportal direkt zum Altar führt. Auch wenn die Verlockung groß ist, wer will dieser unterwürfigen Einladung wirklich folgen? Folgen kann man über eine Audioinstallation dem präzise vorgetragenen „ruhigen Gesang“ mit dem Titel Cantus Firmus der Lyrikerin Roberta Dapunt.
Die Arbeit von Andreas Zingerle nennt sich Prothese, steht vor dem Pfarrplatz und schaut aus einem Käfig in die Gegend. Seine „Augenprothese kann (auch) als Auge Gottes gelesen werden“, heißt es von Seiten der Veranstalter*innen. Wer beim Brunecker Kunst & Kirchen-Rundlauf sein Auge darauf wirft, kann bei günstiger Eingebung in Erfahrung bringen, „ab welcher Entwicklungsstufe des Gehirns die Frage nach dem Göttlichen eine Rolle spielt.“ Im neuen Friedhof stehen hingegen „archetypische Strukturen“ des Künstlers Silvester Promberger, die anstatt die Umgebung gestalten, diese entleeren will. Gelingt es?Das Gedicht The Unknown / Das Unbekannte hat William Carlos Williams an einen Vogel gerichtet. Die Künstlerin Annemarie Laner hat es in ihre Installation Gibt es dich an die Stufen der Ursulinenkirche geschrieben. Tauscht man gedanklich das Lyrische Du (Vogel) mit dem Begriff Gott (Taube?), so entsteht augenblicklich eine inhaltlich neue Sinnbild- und Deutungsebene. Selbstversuche erwünscht.
Und noch mal „Vögel“, in Form von an Leichtigkeit kaum zu überbietenden Flugobjekten. In der Spitalskirche hat Alois Steger für seine Installation ... die Botschaft hunderte, penibel genau gefaltete Papierflieger an ein Vogelschutznetz geknüpft. Sie schweben wuchtig zwischen Decke und Boden. Wer beim Anblick – ganz nebenbei – an den Horrorfilm The Birds von Alfred Hitchcock denken muss, dem sei verziehen. Es sind nur scheinbar frei fliegende Papier-Flieger (zum Anbeten). Eigentlich sind und bleiben sie (wie Gläubige durch die Taufe) gefangen im Netz der Netze. Amen.In den Museumsräumen können weitere Arbeiten der geladenen Künstlerinnen und Künstler bestaunt werden. Weitere Infos: ECK-Museum.
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