Alte Kultorte in Lajen
Auf den Spuren mystischer Orte - Teil 11
Hoch über Waidbruck am Eingang zum Grödental liegt das sonnige Lajen. Es ist eine typische Eisacktaler Kulturlandschaft mit vielen Magerwiesen, durch Hecken voneinander getrennten Ackerterrassen, steppenartigen Trockenrasen und kleinen Mischwaldinseln. Dazu gibt es ein harmonisches Nebeneinander von Kastanie, Wein und Streuobstwiesen. Die günstige Terrassenlage auf 1.100 Metern und das mildes Klima haben schon vor 7.000 Jahren die Menschen dazu bewegt, sich in diesem Gebiet niederzulassen, denn selbst im tiefsten Winter scheint die Sonne nie weniger als sieben Stunden.
Dass Lajen ein Ort von zentraler Bedeutung war, belegen die vielen ehemaligen Kultplätze in und um das Dorf, so der Wasserbühel, der Wetterkreuzbühel und die sogenannte Hosenschlotter. Wie uns die Sage erzählt, war vermutlich auch der Kirchenhügel, wenn nicht sogar der ganze Dorfplatz, ein bedeutender Kultort. Hier stehen gleich zwei Kirchen in unmittelbarer Nähe, die ältere Liebfrauenkirche und die Stefanskirche mit der Größe einer Basilika, welche zusätzlich auch dem hl. Laurentius geweiht ist.
Auf einer Anhöhe nordöstlich des Dorfs finden wir einen ersten kultverdächtigen Ort, die Petererwiese. Von ihren Seiten zeigt sie sich als perfekt abgerundeter Hügel mit großer Anziehungskraft, und es würde nicht überraschen, wenn sich eines Tages ihre vorgeschichtliche Bedeutung offenbart.
Wer würde vermuten, dass Lajen zusammen mit Feldthurns zu den schalensteinreichsten Orten Südtirols zählt? Der erste dieser alten Kultsteine, die uns immer wieder als stumme Zeugen einer alten Kultur begegnen, liegt bereits inmitten des Dorfes an seiner erhöhten Nordseite. Direkt darauf wurde im späten Mittelalter ein Haus samt Stadel erbaut, das Bäckenhaus. Leider wurde auch beim letzten Umbau recht unzimperlich mit dem Stein umgegangen und einige der Schälchen wurden mit Beton versiegelt.
Der bedeutendste mystische Ort von Lajen ist aber wohl der einladende Wasserbühel an der Westseite des Dorfes. Dieser weite sonnenbeschienene Hügel wartet mit aussichtsreichen Stellen, einer wärmeliebenden Vegetation, sanften Erhebungen, schönen Felsen und einem weit sichtbaren Wetterkreuz auf und stellt einen Anziehungspunkt erster Güte dar. Rund um diesen Hügel lässt sich die intensive Kraft der Sonne genießen – in Verbindung mit den sumpfigen Wiesen und den offenen und verlandeten Wasserstellen ergibt sich ein faszinierendes Miteinander von Feuer und Wasser und, da hier immer ein feines Lüftchen weht, auch des verbindenden Luftelements.
Am felsigen Wasserbühel selbst wurden bislang keine Funde gemacht, er dürfte in Vergangenheit aber trotzdem ein Kultort gewesen sein, denn auch hier zeigen sich einige verwitterte und – vor dem flüchtigen Auge gut verborgene – schälchenförmige Vertiefungen im Gestein.
Steigt man vom Wasserbühel gegen Westen ab, lassen sich auf den Geländeterrassen zahlreiche Schalensteine finden; einige liegen versteckt im Föhrenwäldchen, während zwei Quarzphyllitfelsen mit sehr schön gearbeiteten Schalen direkt am Wasserbühelrundweg unbeachtet im Gebüsch liegen.
An schönen Wegen, gesäumt von alten Steinmauern und bunten Blumenwiesen und von auf Stehtafeln verewigten Sagen, kann man viel Sehenswertes verbinden. Spaziert man dann auf dem Kasserolweg weiter zum Wetterkreuzbühel, kommt man an der Hosenschlotter vorbei, einer kleinen Kuppe mit zum Teil von Moos überwachsenen Gletscherschliffen. Dieses wunderschöne Plätzchen im Schatten lichter Föhren lädt zum Verweilen ein, es ist ein friedlicher und heiterer Ort, für eine Meditation wie geschaffen und eine wahre Schalensteinfundgrube. Eine große Anzahl an verschiedenen Vertiefungen befindet sich auf den vielen glatten Gletscherschliffen aus Quarzphyllit verteilt, mehr als 600 an der Zahl!
Südöstlich dieser kleinen Anhöhe schlängelt sich der Weg idyllisch durch eine Haselstrauchallee waldwärts weiter zum nächsten alten Kultort von Lajen, dem Wetterkreuzbühel. Am Nordfuß dieser kleinen Kuppe öffnet sich alsbald eine wundersame Lichtung: einer jener ganz besonderen Plätze, die ein tiefes Empfinden zu wecken vermögen. Ein ganz eigener Zauber verbirgt sich hier im kühlenden Schatten von hohen Kiefern und Fichten, inmitten des sich ständig wandelnden Spiels von Licht und Schatten. Heilsam und neu belebt, verknüpfen sich die Bande von Gegenwart und Vergangenheit – hier wirkt eine friedliche und angenehm weibliche Kraft. Verteilt auf den verschiedenen Steinen und Felsblöcken, zum Teil von Moos und Erde bedeckt, sprechen mehr als hundert kleine Vertiefungen im Gestein von einer frühen und intensiven Verehrung dieses Ortes. Einige davon zeigen sich als schön geformte tiefe Schalen, andere sind mit Rinnen verbunden.
Auf einer großen und flachen Schalensteinplatte steht eine Apacheta, eine kleine Steinpyramide, die von Zeit zu Zeit von ihren Hüter_innen mit Blüten geschmückt wird.
Orte wie dieser, die an der Schwelle zur Anderswelt liegen, animieren heute wie gestern, kreative Wege des Austauschs mit den geistigen Kräften zu finden. Die Art, wie dies geschieht, drückt sich von Mensch zu Mensch und von Zeit zu Zeit verschieden aus, liegt aber stets in der tiefen Verbundenheit mit den Urkräften des Lebens begründet.