Cultura | Salto Afternoon

Spieglein, Spieglein…

Mit der Italienpremiere von „Prisma“ hat die Kompanie Metamorphosis Dance mit Spiegeln neue Räume eröffnet. Das vervielfältigt Perspektiven, verschleiert aber das Thema.
Sechs Tänzer:innen (Kate Arber, Katie Currier, Sephora Ferrillo, David Serrano, Matteo Castelletta und Igor Bacovich) folgen der Regie ins Reich der Spiegel, welche in den 80 Minuten Tanz (ein Kraftakt für die Künstler:innen auf der Bühne) anfangs als schlichter Hintergrund dienen, dann, in vier Segmente geteilt, zum Hauptobjekt des Bühnenspiels werden. Zu sehen war das Spiegelspiel am Freitagabend auf der Hauptbühne des Bozner Stadttheaters.
Auf den ernsten Charakter der Aufführung weist zuallererst die Musik (Marc Alvarez) hin, wenngleich die düstere Spannung, die hier mit elektronischen Klangflächen und auf- und abtauchendem Klavier und Cello aufgebaut wird auch zu einem modernen Thriller im Noire Stil gepasst hätte. Das Thema, welchem der Tanz verschrieben ist, wird dabei weniger explizit auf der Bühne ausgehandelt, findet im Begleittext und im anschließenden Künstlergespräch Platz.
Das für das Centro Memorial de las Victimes del Terrorismo in Vitoria-Gasteiz geschaffene Stück des Paares Iratxe Ansa und Igor Bacovich (Die Leitung der Kompanie zeichnet für Choreographie und Dramaturgie verantwortlich) beruht auf Erfahrungen, welche die Baskin Iratxe Ansa in ihrer Jugend während des Baskischen Konflikt der 80er gemacht hat. Dieser Umstand hätte zumindest einige einleitende Worte vertragen, auch da das Stück den Opfern dieser Gewalt gewidmet ist. So kam dies auf der Bühne nicht zur Sprache, hielt wohl aber in den Köpfen der Tänzer:innen Einzug, die das Thema vor Spiegeln und in abstrakten Gesten zum Ausdruck brachten. Nach dem Stück und vor dem Stadttheater war die Zahl verwunderter Besucher:innen, die nicht wussten, dass es hier um Terror und Gewalt ging, nicht zu unterschätzen.
 
Prisma, Metamorphosis Dance Tanz Bozen
Prisma, Metamorphosis Dance: „Packend“ wäre ein treffendes Wort für viele der Szenen, auch wenn das eigentliche Thema des Abends nicht wirklich explizit gemacht wurde. | Foto: Andrea Macchia
 
Das Stück wählt für die Annäherung an die Themen, eine verklausulierte, durch Metaphern geprägte Sprache, die „Gewalt“ auf der Bühne bleibt eine showhafte, welche wir leicht als Athletik fehlverstehen können. Das passt recht gut zu den Grundgesetzen der Optik, welche für die ästhetische Erfahrung des Publikums ausschlaggebend waren: Was ein Spiegel hier zeigt, ist nicht das selbe wie dort, jeder im Saal erhielt somit eine doppelt andere Wahrnehmung des Stücks.
Auch als Metapher funktionieren die Spiegel, wenn man weiß, was Sache ist, auf eine andere Art und Weise: Täter und Opfer werden mit ihren Rollen konfrontiert, haben Schwierigkeiten sich von den bewegbaren Spiegelelementen wegzubewegen, wenngleich der direkte Blick in den Spiegel selten ist. Immer wenn die Spiegel durch eine Gruppenchoreographie (es sind bis zu fünf der sechs Tänzer:innen auf einmal auf der Bühne und bis zur finalen Verbeugung nie alle gemeinsam) in den Hintergrund treten, so ist es weil die direktere, aber immer noch sanfte Gewalt ins Zentrum rückt. Aus an Capoeira erinnernden Tritten unter denen sich hinweggeduckt wird, angedeutetem Ziehen oder Schieben, sowie den akrobatischeren Hebe- und Haltefiguren, aus denen sich gerade die Tänzerinnen zu befreien versuchen wird ein Bild der Gewalt gezeichnet, das unscharf bleibt.
Dabei ist auch auffällig, dass in den wechselnden Konstellationen jeweils eine andere Gangart besteht, je nach Zusammensetzung der Geschlechter. Weichere Gesten im weiblichen Zusammenspiel, ein Machtgefälle im gemischten Tanz und eine rauere - wertfrei betrachtet könnte man sagen sportliche - Ausdrucksweise unter Männern. Auch das sollte man, nach Möglichkeit, im Schlüssel des Baskenlands der 80er lesen.
 
Prisma, Metamorphosis Dance Tanz Bozen
Prisma, Metamorphosis Dance: Erschreckend schöne, wenngleich kurzlebige lebende Gemälde entstanden auf der Bühne, die Gewalt und Terror als Spiel von Licht und Schatten aufgriff. | Foto: Andrea Macchia
 
Der Weg vor die Spiegel führt ein Stück weit hinters Licht: Die opulente Ästhetik der mal als Käfig, mal als offener Raum der Spiegelfläche zum Geschehen hin kippt, wodurch die Tänzerin in der Mitte über sich hinaus wächst, wird schließlich auf die Spitze getrieben. Es kommt eine weitere, von der Decke herabgelassene Spiegel-Ebene hinzu und das eigentliche Thema ist deutlich weniger präsent als das rein optische Spektakel. Auch die abschließende Harmonisierung von Musik (die Töne werden leichter, Ballast und Schwere fallen von den Noten ab, Klavier und Cello spielen zusammen statt einzeln). Der Tanz wirkt mehr ästhetisch orientiert, denn als würde hier ein ernster Inhalt vermittelt.
Diese letzte Facette des „Prisma“ hat etwas von Aussöhnung, wenn zum ersten Mal in der Tour de Force ohne Pause die Tänzer als geschlossene Gruppe auftreten und mit Variationen dieselben Gesten ausführen, ohne dass einer den anderen zieht oder leitet. Diese im Falle des Stücks verklausulierte Aussöhnung ist es, die am Ende eines Konflikts stehen muss, wenn sich dieser nicht wie ein Spiegel im Spiegel bis ins Unendliche fortsetzen soll. Am Ende fällt der Vorhang auf ein Stück, welches vielleicht zu spektakulär war für sein eigenes Wohl und seine zeitlos aktuelle Botschaft.