Alles Negrelli oder was?
“È l’originale o no?” Die beiden SVP-Landtagsabgeordneten Maria Hochgruber Kuenzer und Sepp Noggler, die am Freitag Mittag am Gemenge vor der Bozner Raiffeisen-Bar vorbeispazieren, scheinen erleichtert, dass die penetranten Journalisten-Fragen nicht an sie gerichtet sind. Es ist Paolo Campostrini, Journalist beim Alto Adige, der den Mitgliedern des Kuratorium Technische Kulturgüter auf die Pelle rückt. Er will eine “einfache Frage” beantwortet haben – und zwar auf italienisch, insistiert Campostrini: “Ist das Gebäude im Hintergrund original oder nicht?”
Das Gebäude, das auf der anderen Straßenseite ist die Negrelli-Halle, die dem provisorischen Busbahnhof weichen soll, der im Zuge der Bauarbeiten am so genannten “Benko-Projekt” in die Rittner Straße verlegt wird. Gegen den Abriss des historischen Frachtenmagazins hat der Dachverband für Natur- und Umweltschutz Rekurs beim Verwaltungsgericht eingereicht. Wie das Kuratorium für Technische Kulturgüter, allen voran Direktorin Wittfrida Mitterer, sind auch die Umweltschützer der Meinung: Die Negrelli-Halle muss erhalten bleiben und unter Denkmalschutz gestellt werden.
Anfang November verhängten die Verwaltungsrichter tatsächlich einen vorläufigen Abriss-Stopp. Vor einer Woche dann der Paukenschlag: Die Negrelli-Halle ist gar nicht so “Negrelli” wie man glauben möchte. Das verkündete Carlo Azzolini in der Baukommission der Gemeinde Bozen, in der der Architekt sitzt. Das Gebäude, nach Plänen von Luigi von Negrelli 1859 errichtet, sei im Zweiten Weltkrieg durch Bomben fast vollständig zerstört worden, so Azzolini. Eigentlich seien nur die Fundamente des Baus erhalten. Und das stelle die Debatte um die Denkmalschutzbindung “schon in Frage”, meinte auch Vize-Bürgermeister Christoph Baur.
Während der Vertreter von René Benkos Signa Holding in Bozen, Heinz Peter Hager, hinter den Protesten gegen den Abriss eine Verzögerungstaktik und “die alte Bozner Lobby, die schon gegen unser Projekt gekämpft hat und nicht einsehen will, dass sich die Zeiten ändern” vermutet, lässt man sich beim Kuratorium für Technische Kulturgüter nicht beirren. Nein, die Halle sei nicht das Originalgebäude von 1859, räumen Wittfrida Mitterer und Gerd Staffler ein. Doch so einfach, wie man ein Journalist seine Fragen gern beantwortet hätte, sei das Ganze nicht.
Man hat den Innsbrucker Architekten Horst Hambrusch beauftragt, baugeschichtliche Dokumente zum Gesamtensemble der Negrelli-Halle zusammenzutragen und zu sichten. Fündig geworden ist Hambrusch in den Staatsarchiven von Wien und Bozen, dem Bozner Stadtarchiv, in den Archiven von Land Südtirol, Kuratorium Technische Kulturgüter und den Ferrovie dello Stato sowie im Katasteramt Bozen. Außerdem hat er sich historische Film- und Fotoaufnahmen angeschaut. Sein Fazit präsentiert Harmbrusch am Freitag Mittag den Medien: “Entgegen anders lautender Behauptungen ist die Halle im Zweiten Weltkrieg nicht bis auf das Fundament zerstört worden, sondern im aufgehenden Mauerwerk und in der Substanz erhalten geblieben.” Die Kriegsschäden seien laut Augenzeugenberichten – darunter auch des ehemaligen SVP-Senators Roland Riz – nur gering gewesen. Von Arbeitern der Bahn sei die Halle nach Kriegsende “liebevoll und vor allem im Dachbereich repariert und neu eingedeckt” worden.
Dass die Negrelli-Halle heute nicht mehr jene von 1859 ist, sei also nicht den Bomben im Zweiten Weltkrieg geschuldet. Sondern Eingriffen lange vorher. Laut Plänen von Ingenieur Ernst Hranatsch im Staatsarchiv von Wien seien diese “ersten und wesentlichen Adaptierungen und beidseitigen Erweiterungen der Halle” aufgrund der gestiegenen Bedürfnissen des Warenverkehrs im Jahr 1908 notwendig geworden. Der “Kern” der Halle, ihre ursprüngliche Struktur sei aber bis heute erhalten geblieben, sind sich die Verfechter des Gebäudes sicher. Daran ändern auch die Einwände von Architekt Azzolini nichts, der am Freitag ebenfalls zur Pressekonferenz erschienen ist und versucht, eine Debatte vom Zaun zu brechen.
“Der heutige Bestand der Halle in Baumasse, Dimensionen und Lage ist auch im Katasterplan von 1910 sowie jenem von 1955 dokumentiert”, unterstreicht Architekt Hambrusch. “Und für uns auch im jetzigen Zustand erhaltungswürdig”, fügen Mitterer und Staffler hinzu. Darüber wird am Ende das Verwaltungsgericht entscheiden. Für den 28. November ist der nächste Verhandlungstermin angesetzt.
Boxkampf in der Negrellihalle
Boxkampf in der Negrellihalle > im Ring Hambrusch gegen Azzolini – in den Ecken > Coach Hambrusch > Wittfrieda Mitterer Coach Azzolini > Paolo Campostrini . Schiedsrichter und Zeitnehmer (-zeuge) Senator Roland Riz - Wertungsrichter > Hager – Staffler - Spagnolli. Zuständig für die Einhaltung der Grundregeln: das Schieds-Verwaltungsgericht von Bozen
Die erste Runde endet unentschieden, der angriffslustige Azzolini wird immer wieder vom taktischen Hambrusch eingebremst (Verzögerungstaktik durch Klammern). Die Rechte von Azzolini und die Linke von Hambrusch kommen nur selten zum Einsatz. “Bare-knuckle” Boxen und modernes Boxen scheinen sich an die Gegebenheiten der Negrellihalle anzupassen. Man kann sich auf die zweite Rund am 28. November freuen.