Società | Interview
„Eine unterschätzte Kompetenz“
Foto: Schulsprengel Bozen/Europa
salto.bz: Herr Augscheller, wie gut können Ihre Schüler:innen Deutsch?
David Augscheller: Unsere Lehrpersonen sind täglich im Einsatz, um mit vielfältigen didaktischen Mitteln die Sprache gut zu vermitteln und die Sprachkompetenz zu fördern. Eine allgemeine Aussage ist schwierig, da die Situation differenziert betrachtet werden muss und die Sprachkompetenzen von Fall zu Fall unterschiedlich sind.
Die Lernschwierigkeiten und mangelnde Unterstützung vonseiten mancher Eltern haben durch die Pandemie nicht nur an unseren Schulen zugenommen.
In einem Bozner Viertel wie Don Bosco könnte man vermuten, dass der Großteil der Schüler:innen nicht deutscher Muttersprache ist. Stimmt das?
Viele unserer Schüler:innen sind nicht deutscher Muttersprache. Die Eltern und die Erziehungsberechtigten verfolgen aber das Ziel, dass die deutsche Sprache erlernt wird. Sie wird als Mehrwert für die Zukunft der Kinder gesehen. Wir haben Schulen mit einer hohen Sprachkomplexität und das ist eine Herausforderung, der wir uns jeden Tag stellen. Es muss aber, wie gesagt, differenziert werden.
Inwiefern?
Nicht alle Schüler:innen, die nicht deutsche Muttersprachler:innen sind, haben geringe Deutsch-Sprachkenntnisse. Es gibt genügend Schüler:innen mit Migrationshintergrund oder aus dem italienischen Kontext, die zufriedenstellend und gute Sprachfähigkeiten in Deutsch mitbringen bzw. entwickeln. Der Spracherwerb ist ein Prozess, der Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr erfolgt. Deshalb ist es hier sinnvoll, bei Grund- und Mittelschulen den Achtjahreszeitraum mit der Abschlussprüfung in der dritten Klasse Mittelschule als Zeitpunkt zu wählen, um die individuelle Entwicklung des Spracherwerbs zu bewerten. Aus Erfahrung kann ich sagen, man kann zufrieden sein, auch wenn nicht immer. Es gibt Schüler:innen, die große Schwierigkeiten haben und haben werden, aber das ist meines Erachtens ein allgemeines Problem. Denn die Lernschwierigkeiten und mangelnde Unterstützung vonseiten mancher Eltern haben durch die Pandemie nicht nur an unseren Schulen zugenommen.
Wie reagieren die Lehrpersonen darauf, dass die Deutschkenntnisse nicht bei allen Schüler:innen gleich sind?
Unterrichten besteht grundsätzlich auch darin, jeden Tag Strategien zu suchen, um den Bedürfnissen und Rahmenbedingungen, die in einer Klasse bestehen, entsprechen zu können. Auch in diesem Fall reagieren die Lehrpersonen mit unterschiedlichsten Strategien, etwa in Gruppen geteilter Unterricht, Ko-Präsenzen und der Einsatz der Lehrkräfte für Deutsch als Zweitsprache (DAZ). DAZ ist eine relativ neue Wettbewerbsklasse eigens für Schüler:innen, die nicht Muttersprachler:innen sind. Zudem gibt es Integrationsstunden und Projekte. So berücksichtigen wir die unterschiedlichen Ausgangspositionen der einzelnen Schüler:innen. Es wäre gelogen, zu sagen, dass alles leicht und unproblematisch ist. Natürlich gibt es immer den Bedarf, sich zusammenzusetzen und sich darüber auszutauschen, wie man Situationen besser händelt. Das ist Teil des schulischen Alltags.
Ich denke, dass unsere Schüler:innen mit Vielfalt umgehen können.
Befürchten Eltern, dass in Ihren Schulen das Unterrichtsniveau sinkt?
Mir persönlich sind keine Fälle dazu bekannt, auch wenn ich das nicht ausschließen kann. Es sind umgekehrt einige Eltern auf mich zugekommen, die ihre Kinder bei uns einschreiben, weil sie diese Heterogenität und Multikulturalität schätzen. Das ist unabhängig von ihrer Sprachgruppenzugehörigkeit. Abgesehen davon, dass die Zukunft diese ist und sich unsere Gesellschaft demografisch ändert und bunter wird, denke ich, dass unsere Schüler:innen mit Vielfalt umgehen können. Das ist eine Kompetenz, die in unserer Gesellschaft oft unterschätzt oder teilweise nicht wahrgenommen wird.
Könnten Sie das etwas weiter ausführen?
Es kommen immer wieder Delegationen aus dem Ausland, um unsere Schulklassen zu besuchen. Letztes Jahr waren angehende und bereits tätige Lehrpersonen aus Deutschland, Georgien und Armenien hier. Ihre Rückmeldung war stets, dass die Kinder offen sind. Denn sie sind es gewohnt, mit der Öffnung von Schule umzugehen. Einige Besucher:innen konnten sich in der Grundschule sogar mit Schüler:innen auf Englisch unterhalten. Vielfalt führt dazu, dass Kinder Werte erleben und leben, die wichtig für uns als Gesellschaft, aber auch für uns Individuen sind. Auch wenn es bei uns wie an jeder Schule Konflikte gibt, haben wir eine tolerante Grundstimmung und unsere Lehrpersonen arbeiten mit Engagement und Idealismus.
Welche Vorteile bringt die Mehrsprachigkeit?
Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Mehrsprachigkeit intellektuelle Fähigkeiten fördert. Wir haben Kinder, die drei, vier oder einzelne sogar fünf Sprachen sprechen. Das ist ein Entwicklungsvorteil. Vielleicht sprechen sie dann nicht alle Sprachen perfekt – das kann ich auch nicht.
Kinder sind grundsätzlich beim Spracherwerb kaum überfordert, sie sind wie kleine Schwämme, die aufsaugen.
Das heißt, wer mehr Sprachen spricht, wird auch in Mathematik oder in Geschichte besser?
Genau. Das Wechseln von einer Sprache in die andere fördert die intellektuelle Dynamik und Flexibilität sowie die Anpassungsfähigkeit an die momentane Situation. Forscher:innen behaupten sogar, dass der Dialekt gepflegt werden müsste. Denn auch das Wechseln vom Dialekt in die hochdeutsche Sprache kann zu diesem Prozess führen. Je variantenreicher die Sprache der Kinder an und für sich ist, desto besser ist ihre kognitive Entwicklung und damit ihre Lern- und Aufnahmefähigkeit.
Werden Kinder nicht überfordert, wenn sie so viele Sprachen lernen müssen?
Die Kinder müssen in unseren Schulen Deutsch, Italienisch und Englisch lernen. Bei vielen Kindern kommt dann eine vierte oder fünfte Sprache dazu, die zuhause gesprochen wird. Aber es ist auch bekannt, dass die Festigung der Muttersprache das Erlernen einer Fremdsprache erleichtert. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Eltern versuchen, sich mit ihren Kindern in einer ihnen nicht vertrauten Sprache zu verständigen. Kinder sind grundsätzlich beim Spracherwerb kaum überfordert, sie sind wie kleine Schwämme, die aufsaugen. Für die Ausnahmen der Kinder, die Schwierigkeiten haben könnten, müssen eigene Strategien gefunden werden.
Was sind Ihre Wünsche an die Bildungspolitik in Südtirol?
Ich denke, jede Schulführungskraft und jede Lehrperson wünscht sich mehr Ressourcen. Das ist kein Geheimnis. Aber man muss auch realistisch bleiben, die Mittel sind nicht unendlich und vor allem bedeuten zusätzliche Ressourcen nicht unbedingt eine Qualitätssteigerung. Es hängt immer davon ab, wie man die Ressourcen einsetzt. Nicht zuletzt gilt aber grundsätzlich: Ein erfolgreicher Bildungsweg der Schüler:innen setzt eine gelingende Kooperation zwischen Elternhaus und Schule voraus.
Hinweis: Lesen Sie morgen auf salto.bz, wie die Situation zu Deutschkenntnissen in Südtiroler Schulen auf dem Land ist.
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Im Vorschulalter sind Kinder
Im Vorschulalter sind Kinder besonders Aufnahme-fähig für andere Sprachen und Dialekte. Sie schaffen "es spielend," täglich mehrere Dutzend neue Wörter / Begriffe / Eigenschaften auf Dauer richtig einzuordnen, wenn sie vom Umfeld weiterhin gefordert werden.
Mit dem Eintritt in das Schulalter nimmt diese besondere Fähigkeit, durch die neue Reiz-Überflutung leider etwas ab.