Kleider machen keine Täter
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Häufig kehrt die Frage wieder, was eine Person, die Opfer sexueller Übergriffe oder Gewalt wurde, zu diesem Zeitpunkt getragen hat. Der Lösung des Problems von systemischer Häufung von Gewalt an Frauen, bringt uns die Suche nach einer Teilschuld bei den Opfern keineswegs näher und das sollte den meisten Menschen klar sein. Die Betonung liegt dabei auf dem Wörtchen „sollten“. Nicht weniger als 35 Oberschulklassen in Südtirol wollten, um diese Klarheit zu stärken und den Blick von Außenstehenden weiter in Richtung Einfühlungsvermögen und Mitgefühl mit den Opfern zu lenken, an der konkreten Umsetzung der Ausstellung mitarbeiten.
Die Ausstellung, ein Projekt das vor zehn Jahren an der University of Arkansas nahm, wo es am Sexual and Relationship Violence Center im Zuge der „RESPECT“-Initiative entwickelt wurde, hat man bereits im Vorjahr im Foyer des Teatro Cristallo realisiert. Dort wurden, wie es nun im Interspar in der Buozzistraße der Fall ist, anhand von Beschreibungen, Kunstinstallationen gestaltet, die der Kleidung von Opfern sexueller Übergriffe nachempfunden wurden. Über Begleittexte wird die Aktion erklärt. Das Projekt hat nun das Theaterfoyer verlassen und hofft damit einen möglichst breiten Querschnitt der Bevölkerung zu erreichen. Passieren soll das in besagtem Interspar, dem Despar in der Romstraße, dem Sitz der Unicef in der Italienallee, dem Gesundheitssprengel Bozen Europa-Neustift, im Waag Café, auf der Bozner Gemeinde, sowie auch heuer wieder im Teatro Cristallo.
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Dafür wurden von den Schüler:innen, die den Handlungsbedarf in Sachen Gewalt an Frauen eindrücklich nur Sprache brachten, auch Filmclips mit nachgestellten Situationen umgesetzt, die man vor Ort mittels Einscannen eines QR-Codes ansehen kann. Wir haben mit Isela Uta, Schülerin am Liceo Pascoli über Erfahrungen und Absichten des Projekts gesprochen.
SALTO: Sie und Ihre Mitschüler:innen hatten bei der Ausarbeitung der Videos in der Auswahl der Erfahrungsberichte, die Sie behandeln wollten Autonomie. Nach welchen Kriterien habt ihr ausgewählt und welche Berichte haben euch in besonderer Weise angesprochen?
Isela Uka: Wir haben verschiedene Berichte erhalten und haben uns als Teil der Gruppenarbeit einen Bericht ausgesucht und diese beiden ausgestellt. Für uns waren es Berichte, die uns näherstehen, weil es Geschichten sind, die jedem von uns passieren können, an Orten an denen jeder von uns einmal ist. Ein Beispiel war das einer Frau, die auf dem Heimweg zu Boden gedrückt wird. Beides sind Beispiele die einem passieren könnten. Da die meisten in unserer Klasse Mädchen sind, kennen wir das. Man versucht am Nachhauseweg schneller zu gehen und hofft, dass dort auch andere Menschen sind. Es ist etwas, das uns wirklich nahegeht.
Es gibt viele Männer, die sagen, das Thema würde sie nicht betreffen, da sie weder Angehörige mit Gewalterfahrung hätten, noch denken, dass sie selbst möglicherweise zum Täter werden könnten. Was würden Sie diesen Männern sagen?
Ich glaube, das Thema betrifft uns alle, weil es jedem passieren kann. Sie sind ein Mann, okay, aber vielleicht haben Sie auch eine Mutter, eine Schwester oder eine Tochter. Das könnte denen auch passieren. Auch wenn man denkt, dass man selbst so etwas nicht machen könnte oder das überhaupt nicht versteht, so muss man trotzdem anerkennen, dass das immer wieder passiert, dass das leider fast etwas Normales geworden ist und dabei nicht normal sein kann. Ich denke, es wäre wichtig auch schon kleinen Kindern beizubringen, dass sie über ihre Gefühle reden können und man nicht in der Gewalt nach Lösungen sucht. Ich finde, alle Männer sollten daran denken. Es könnte auch jemandem passieren, den man kennt. Wenn man ein Mädchen ist, passiert einem das fast jeden Tag, das einem von jemandem gesagt wird, dass sich jemand fürchtet, alleine nachhause zu gehen. Das hat mit jedem etwas zu tun und jeder sollte im Kleinen versuchen, etwas zu tun. Das haben auch wir: Wir haben unseren Teil im Kleinen gemacht, in der Hoffnung, dass etwas Großes daraus wird.
(c) TeatroCristallo BZEs geht bei „What were you wearing?“ auch darum, diese Frage nach der Kleidung der Opfer zu entzaubern. Sind Ihrer Gruppe bei der Arbeit gewisse Gemeinsamkeiten aufgefallen oder spielt die Kleidung keine Rolle?
Ich glaube die Kleidung spielt keine Rolle, aber es ist eine der ersten Fragen, die immer gestellt wird. Wenn so etwas passiert, wird immer gefragt, was die Person anhatte, ob ein Zusammenhang hergestellt werden könnte. Dann wird gesagt, eine Frau war so oder so angezogen, also ist es auch ihre Schuld. Aber das stimmt nicht, auch bei uns: Das sind normale Kleidungsstücke, die jede anhat und ich glaube, Kleidung spielt da wirklich keine Rolle. Man kann nichts dafür.
Haben Sie noch Wünsche für den 25. November?
Ich wünsche mir, dass möglichst viel unternommen wird, damit das nicht mehr zu unserer Alltäglichkeit gehört und dass man sich nicht mehr fürchten muss, wenn man nachts alleine nach Hause geht. Ich wünsche mir, dass das Thema auch früher an der Schule durchgenommen wird. Wir haben in unserer Klasse alle sehr gern an dem Thema gearbeitet und es war auch spannend von der Polizei zu erfahren, was man selbst machen kann. Es wäre toll, wenn auch schon an den Grundschulen mehr Selbstverständlichkeit entsteht dafür, dass man über seine Gefühle reden kann und dass Gewalt keine Möglichkeit dafür ist.
Wie haben Ihre männlichen Mitschüler das Thema angenommen? Wollen Sie dazu etwas lernen oder gibt es da eine ähnliche Haltung wie bei jenen Erwachsenen die sagen „Das betrifft mich nicht“?
Wir haben nur zwei Jungs in der Klasse, aber sie waren sehr offen für das Thema und haben gleichwertig wie wir Mädchen am Thema gearbeitet und dazugelernt. Das fand ich auch toll, dass sie das ernst genommen und gerne mitgearbeitet haben. Es war schön zu sehen, dass nicht nur Mädchen das Thema annehmen. Ihnen ist auch bewusst, dass diese Dinge passieren, anders als manche Erwachsene die davon nichts wissen wollen.
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