Sagenhafte Mannsbilder
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Der Etymologie nach handelt es sich bei einer Anthologie um eine Sammlung von Blumen und vielleicht trifft diese Beschreibung den Geschichtenband „Schurken, Helden, Heilige – das Männerbild in der alpinen Sagenwelt“ von Margareta Fuchs, der gegen Ende letzten Jahres bei Raetia erschienen ist, noch am besten. Nur dass die Autorin dabei wohl nicht vorgehabt haben dürfte, einen schönen, präzise in sich abgestimmten Blumenstrauß rund um den Alpenbogen zusammenzuklauben. Vielmehr dürfte es ihr darum gegangen sein, einen veritablen Garten anzulegen. Sie entnimmt die Auswüchse von Männerbildern (eigentlich müsste dieser doppelte Plural am Cover des Bandes stehen; ein einzelnes, kohärentes Bild ergibt sich nicht) mitsamt deren Wurzeln und versetzt sie mit einigen Handvoll von der Erde, aus der sie gewachsen sind ins Heute. Dafür wechselt sich mit dem schwarz gedruckten Text der Sagen, nahe am Mündlichen gehalten, immer wieder auch grüner Kontext ab. Es entsteht eine Reihe von Gruppen, die sich gerade untereinander stark unterscheiden und – so merkt Fuchs bereits in ihrer Einleitung an, wenig mit dem Heldenbild der griechisch-römischen Heroen-Tradition zu tun haben.
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Vorbilder eines Soll-Zustands und Abbilder eines Ist-Zustands reihen sich aneinander. Margareta Fuchs trägt dabei auch der christlich-moralischen Prägung Rechnung, die „größtenteils von Männern, zumeist im 19. Jahrhundert“ schriftlich festgehalten wurde. Moralisieren oder abschrecken will sie dabei nicht, sie gibt uns hilfreiche Lektüreschlüssel zur Hand. Mit dem Wort Patriarchat geht sie ausgesprochen sparsam um, statt dem Begriff „Gender“ bevorzugt sie etwa „Geschlechterrollen“. Sie führt Leserinnen und Leser zum Wasser, ohne sie zum Trinken zu zwingen. Auf rund 250 Seiten und mit fast ebensovielen Quellenangaben und mit einem guten Dutzend an historischen Abbildungen durchschreitet die Wanderführerin dabei nicht nur auf Papier den Alpenbogen, sondern auch den Weg „von der Wiege bis zur Bahre“, sodass auch Jungen und alte Männer ihren angestammten Kapitelplatz im Buch finden.
Heterogen sind nicht nur die vermittelten Bilder, sondern auch die Form und Sprache der Geschichten. Direkte Reden etwa finden sich manchmal in hierzulande leicht verständlichem Dialekt wiedergegeben, manchmal auch nicht. Da und dort wird fürs sichere Verständnis eine Klammer aufgemacht. Und auch der Platz, der einzelnen Überlieferungen eingeräumt wird, schwankt zwischen wenigen Seiten und wenigen Zeilen, wie etwa im Falle einer Sage um den heiligen Antonius von Pikolein, die das Buch beschließt und die wir hier als kleinen, augenzwinkernden Textauszug zur Seite stellen möchten, auch einfach um zu zeigen, dass selbst auf knappem Raum zu mancher Sage alles gesagt sein kann.
Neben den bereits im Titel versprochenen „Schurken, Helden und Heiligen“ sind gerade die sogenannten „Wilden Männer“ im Buch eines der spannendsten Kapitel, das mit rund 10 Seiten zu Buche schlägt. Zumindest in meinem Ermessen findet sich dort, mehr noch als bei Heiligen und Herrschern, die oft Jahrhunderte nach ihrer Lebenszeit an diesem oder jenen Ort in Südtirol vorbei geschaut haben sollen, das nachahmenswertere Männerbild. Obwohl sie häufig missverstanden werden, prägt die Geschichten um die Salvang und Co. neben Naturkenntnissen und physischer Stärke auch eine tendenziell eher als weibliche – damals vielleicht eher „weibische“ – eingestufte Emotionalität, gepaart mit Einfühlungsvermögen die mit den maskulinen Eigenschaften koexistieren kann. Vielleicht findet sich ja doch das eine oder andere Vorbild in diesem Buch zum Schmökern und immer wieder neu auflesen.
„Schurken, Helden, Heilige – Das Männerbild in der alpinen Sagenwelt“ von Margareta Fuchs (Raetia Verlag) ist für 28 Euro als Hardcover, sowie für 15 Euro als E-Book erhältlich.