Società | Diskriminierung

Hass und Hetze

Ob frauenfeindlich, rassistisch oder homophob – digitale Hetze bleibt meist straffrei. Julia Unterberger über die rechtliche Situation und den Weg zur Gleichberechtigung.
Unterberger
Foto: AT/SALTO
  • Wie kann eine Gesellschaft Gleichberechtigung garantieren, wenn das Recht nicht Schritt hält mit dem gesellschaftlichen Wandel oder ihn gar blockiert? Diese Frage zog sich wie ein roter Faden durch den Vortrag von Senatorin Julia Unterberger zum Thema „Hass und Hetze“ in der Festung Franzenfeste. Eingeladen im Rahmen der Ausstellung „Hitler entsorgen“, spannte Unterberger einen weiten Bogen von der europäischen Nachkriegsordnung über die italienische Verfassung bis hin zu den Frontlinien aktueller digitaler Hasskampagnen – insbesondere gegen Frauen.

    Die Juristin und Senatorin im römischen Parlament machte deutlich: Die rechtliche Gleichstellung ist in Italien erst mühsam erkämpft worden und bleibt auch heute noch brüchig. So erinnerte sie daran, dass Frauen in Italien bis 1963 keine Richterinnen werden durften, das Familienrecht bis 1975 die Vorherrschaft des Mannes festschrieb und selbst Südtirols Höfegesetz in der Erbfolge bis in die 2000er-Jahre diskriminierende Bestimmungen enthielt.

  • Vom Ehrenmord zum Gleichbehandlungsrecht

    Noch bis in die 1980er-Jahre, so Unterberger, galten „Ehrenmorde“ an Ehefrauen als strafmildernde Umstände. „Es war ein langer und steiniger Weg, bis die Gleichstellung im Gesetz ankam“, so die Senatorin. Doch auch heute gebe es gravierende Lücken – etwa beim strafrechtlichen Schutz vor Hassverbrechen aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung. „Die italienische Strafgesetzgebung kennt Diskriminierung nur in wenigen, traditionellen Kategorien: Rasse, ethnische Herkunft, Religion, nationale Zugehörigkeit“, erläuterte Unterberger. Wer Frauen, Homosexuelle, trans Personen oder Menschen mit Behinderung angreift, begeht damit juristisch gesehen kein Hassverbrechen – außer die Attacke ist gegen eine bestimmte Person gerichtet, die daraufhin Strafantrag stellen kann.

    Ein Gesetzesentwurf, die sogenannte Legge Zan, den Unterberger mitverfasst hatte und der genau diese Lücke schließen sollte, wurde in der vergangenen Legislaturperiode abgelehnt. Er sah vor, die Geschlechtsidentität, das soziale Geschlecht und die sexuelle Orientierung in den Straftatbestand der Hassverbrechen einzubeziehen. Doch die politische Mehrheit blockiert das Vorhaben. Insbesondere die Erwähnung der Geschlechteridentität im Gesetzesentwurf habe in konservativen Kreisen massive Gegenwehr ausgelöst. „Die Rechten behaupten, man wolle damit das biologische Geschlecht abschaffen. Dabei ging es um etwas ganz anderes“, betonte Unterberger. Die Diskussion um trans Personen sei bewusst instrumentalisiert worden, um das gesamte Gesetz zu Fall zu bringen – mit Erfolg.

  • Gewalt an Frauen: Ein neuer Gesetzesvorschlag sieht nicht nur die lebenslange Haft bei Femizid vor, sondern auch härtere Strafen bei Misshandlung, Stalking, sexueller Gewalt und Rachepornos. Foto: Sydney Latham/Unsplash
  • Ein eigener Straftatbestand für Femizid

    Besondere Bedeutung misst Unterberger der Einführung eines eigenständigen Straftatbestandes für Femizid bei – also der Tötung von Frauen weil sie Frauen sind. Wie berichtet, hat der Senat vor wenigen Tagen den Gesetzesvorschlag der Regierung Meloni zu Femiziden einstimmig verabschiedet. Das Gesetz sieht nicht nur die lebenslange Haft bei Femizid vor, sondern auch härtere Strafen bei Misshandlung, Stalking, sexueller Gewalt und Rachepornos. Bis dato wurden Femizide lediglich als gewöhnliche Tötungsdelikte mit möglichen Erschwernisgründen verfolgt, etwa „besondere Grausamkeit“ oder „niedrige Beweggründe“. Doch diese seien Interpretationssache – mit oft fragwürdigen Ergebnissen. Unterberger nennt das Beispiel eines Richters, der die Ermordung von Giulia Cecchettin mit 75 Messerstichen nicht als Ausdruck besonderer Grausamkeit, sondern als „Unerfahrenheit“ des Täters wertete. „Solche Urteile offenbaren eine eklatante Blindstelle im Rechtssystem. Wer aus patriarchaler Besitzlogik heraus tötet, begeht ein ideologisch motiviertes Verbrechen“, so die Senatorin, die zu diesem Straftatbestand einen eigenen Gesetzesentwurf eingebracht hatte. In der Debatte habe Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, so Unterberger, auf ihre Nachfrage zur Strafbarkeitslücke ausweichend geantwortet: Man müsse genau abwägen, „wo die Meinungsfreiheit aufhöre und wo strafbarer Hass beginne“. Für die Senatorin ist das eine Ausrede: „Wer den Holocaust leugnet oder Frauenhass verbreitet, beruft sich oft auf die Meinungsfreiheit. Aber keine Freiheit darf dazu benutzt werden, andere systematisch zu entwürdigen.“

  • Digitale Gewalt – eine unterschätzte Bedrohung

    Besonders drastisch äußert sich diese Entwürdigung im Internet. Laut Daten der kürzlich veröffentlichten 8. Ausgabe der „Mappa dell’ Intolleranza“ sind rund 50 Prozent aller dokumentierten Hassbotschaften gegen Frauen gerichtet. Weitere Hauptziele seien Journalistinnen und politische Aktivistinnen. Täter operieren oft anonym, mit dem Gefühl der Straffreiheit. Unterberger schilderte in diesem Zusammenhang eindrücklich, wie ihre eigene Tochter, die Meraner Bürgermeisterin Katharina Zeller, nach dem „Trikolore-Skandal“ mit Hetze überzogen wurde. Mittlerweile wurde ein Strafverteidiger beauftragt, der inzwischen Dutzende Anzeigen gegen anonyme Hetzer erstattet hat – ein aufwändiger, aber notwendiger Weg, wie die Senatorin betonte. 

  • Katharina Zeller: Die Bürgermeisterin von Meran und Tochter von Senatorin Unterberger ist selbst prominentes Opfer von Hass und Hetze. Foto: Tgr Rai Alto Adige
  • Hass als strukturelles Machtinstrument

    Dass Hass gezielt gegen Frauen eingesetzt wird, sei kein Zufall, sondern Ausdruck einer sozialen Hierarchie, die sich dem Gleichheitsanspruch widersetzt. „Wenn Frauen sich öffentlich äußern, Machtpositionen einnehmen oder schlicht ein selbstbestimmtes Leben führen, reagieren manche Männer mit blankem Hass“, so Unterberger. Sie nannte Beispiele von sogenannten „Incel“-Gruppen, die Frauen als Feindbild stilisieren und deren Slogans offen zur Gewalt aufrufen – etwa: „Dein Körper, meine Entscheidung“. Auch öffentlichkeitswirksame Politiker wie Verkehrsminister Matteo Salvini (Lega) würden gezielt Frauen diskreditieren, etwa durch sexualisierte Bildkommentare oder abfällige Äußerungen auf Social Media. „Sie stellen sich dann selbst als Opfer dar, wenn sie Kritik ernten – das ist Teil der Strategie“, so Unterberger.

  • Julia Unterberger: „Wenn Gesetze Frauen nicht schützen, wenn Plattformen nicht eingreifen und wenn die Gesellschaft schweigt, dann sind wir wieder am Anfang.“ Foto: AT/SALTO
  • Europäische Initiativen – und ihre Grenzen

    Italien sei im europäischen Vergleich im Rückstand, was die Bekämpfung digitaler Gewalt und Diskriminierung angehe. Während Länder wie Deutschland mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Plattformen zur Löschung rechtswidriger Inhalte verpflichten, setze Italien primär auf Selbstregulierung der Anbieter. Eine EU-Verordnung zur Plattformverantwortung, die unter anderem Löschpflichten und Transparenzregeln vorsieht, sei zwar erlassen worden – doch deren Umsetzung in Italien bleibe lückenhaft. Eine nationale Koordinierungsstelle existiere bislang nicht, ebenso wenig ein effektiver Faktencheck-Dienst. Immerhin gebe es, so Unterberger, eine parlamentarische Sonderkommission zur Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Hassverbrechen, deren Mitglied sie sei. „Wir können Empfehlungen aussprechen, aber keine Gesetze erlassen“, stellt sie klar.

  • Kulturkampf um Sprache und Identität

    Gegen Ende ihres Vortrags kam Unterberger auch auf den „Kulturkampf“ um geschlechtergerechte Sprache zu sprechen – ein Feld, das selbst moderate Gleichstellungsforderungen unter Beschuss geraten lässt. „Wenn man jedes Mal ‚Bürgerinnen und Bürger‘ sagt oder ein Sternchen setzt, dann heißt es gleich, man sei ideologisch oder wolle die Sprache umerziehen“, so die Senatorin. Zwar verstehe sie, dass übertriebene Sprachregelungen kontraproduktiv sein könnten, aber wer Gleichstellung ernst meine, müsse auch sprachlich sichtbar machen, dass Frauen gemeint sind.

    Der Vortrag in der Franzensfeste machte deutlich: Juristische Gleichstellung auf dem Papier bedeutet noch lange keine gesellschaftliche Realität. Und Gleichberechtigung ist kein abgeschlossener Prozess, sondern ein fortwährender Kampf – gegen strukturelle Diskriminierung, gegen politische Blockaden, gegen Hass im Netz. „Wenn Gesetze Frauen nicht schützen, wenn Plattformen nicht eingreifen und wenn die Gesellschaft schweigt, dann sind wir wieder am Anfang“, so das Resümee von Julia Unterberger.

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Salto User
Oliver Hopfgartner Ven, 07/25/2025 - 20:09

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eine der wichtigsten Grundlagen für eine funktionierende Demokratie. Es gibt auch schon eine sehr gute Gesetzesgrundlage: Falsche Aussagen, Beleidigungen und Verleumdungen sind bereits heute klagbar.

Natürlich gibt es auch Graubereiche und es ist nachvollziehbar, dass es Leute gibt, die deswegen eine Verschärfung von Gesetzen fordern.
Das Problem dabei ist, dass die menschliche Kommunikation zu facettenreich ist und auf zu vielen Ebenen stattfindet, als dass man eindeutige und klare Grenzen ziehen könnte.

Ich mache zwei konkrete Beispiele: Manche Menschen behaupten, es sei rassistisch und übergriffig, wenn man jemanden nach seiner Herkunft fragt. Wie soll ein Gericht urteilen, wenn jemand von einem Migranten wegen rassistischer Diskriminierung angezeigt wird, nachdem er gefragt hat woher der Migrant komme? Schuldig oder nicht schuldig? Hat dieser Mensch ein Hassverbrechen begangen?

Ein "Frauenhass"-bezogener Fall könnte wie folgt ausschauen: Eine Frau treibt ab und ein Mann sagt zu ihr: "Also ich finde es unmoralisch, wenn ein ungeborenes Leben ohne Not beendet wird." Diese Aussage ist klar als Meinungsäußerung formuliert, kann aber ohne Zweifel die adressierte Person schwer betroffen machen und negative Emotionen hervorrufen. Aber ist sowas etwas, das man unter Strafe stellen kann?
Wenn jemand halbwegs intelligent ist, wird er immer Wege finden, um Mitmenschen auf legale Art und Weise mit Worten zu verletzen, daher halte ich nicht viel von solchen Eingriffen.
Ich halte es für zielführender, wenn man daran arbeitet, die Wertschätzung untereinander zu fördern.

Ven, 07/25/2025 - 20:09 Collegamento permanente