Staatsangehörigkeitsreform schmort im Senat
Nach dem noch geltenden Gesetz haben Migrantenkinder, die in Italien geboren sind, nach der Vollendung des 18. Lebensjahres ein Jahr Zeit, um die italienische Staatsangehörigkeit zu beantragen. Wer als Kind eingereist ist, bekommt als Minderjähriger die Staatsangehörigkeit nur, wenn einer der Elternteile sie bereits besitzt. Volljährige Migranten können sie beantragen, wenn sie seit zehn Jahren einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel und ein Einkommen vorweisen, das über dem Sozialhilfesatz liegt.
„Jus soli“ mit Einschränkungen
Die in erster parlamentarischer Instanz bereits beschlossene Reform sieht die Einführung eines „bedingten jus soli“ vor. Damit erlangen in Italien geborene Kinder automatisch die italienische Staatsangehörigkeit, wenn mindestens ein Elternteil eine „langfristige Aufenthaltserlaubnis“ von fünf Jahren besitzt. Außerdem können Minderjährige, die in Italien geboren sind oder vor der Vollendung des 12. Lebensjahres einreisten, die Staatsangehörigkeit erhalten, wenn sie mindestens fünf Jahre die Schule „mit positivem Ausgang“ besucht haben („jus culturae“).
Neben PD und NCD hatten auch Teile von Berlusconis „Forza Italia“ der Reform zugestimmt. Dagegen stimmten die übrigen FI-Abgeordneten sowie natürlich die Lega und „Fratelli d‘ Italia“. Grillos „5-Sterne-Bewegung“, die sich beim Thema Einwanderung schon immer zweideutig verhält, enthielt sich der Stimme.
Der Gesetzesentwurf, der zunächst noch liberalere Bestimmungen im Sinne eines „jus soli“ vorsah, war auf Druck der mitregierenden NCD (Mitterechts) schon etwas restriktiver formuliert worden. Dennoch: Wenn auch verwässert, stellt die Reform einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar – würde sie denn im Senat endlich beschlossen. Doch der lässt sich viel Zeit. Dabei hatte der gerne twitternde und postende Ministerpräsident nach der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer im Netz großmundig verkündet: „Die Reformen werden gemacht. Italien ändert sich. Volle Fahrt voraus, entschlossener denn je!“.
„Volle Fahrt voraus“ heißt im vorliegenden Fall: ein Jahr „Parken“ im Senatsausschuss. Die dafür vorgebrachten Begründungen überzeugen nicht: Es liege am fortwährenden Boykott der Lega, die schon 7000 Änderungsanträge eingereicht habe, heißt es. Ein schwaches Argument. Denn bei anderen Vorhaben hat es die Regierung doch in flottem Tempo geschafft, sogar Millionen von Änderungsanträgen des Lega-Senators Calderoli (der dafür eigens einen „Algorithmusexperten“ engagierte) vom Tisch zu kriegen und Gesetze durchzubringen, die ihr wichtig waren.
Wahrscheinlicher ist es, dass das Thema für die Regierung und die sie tragende Parteien einerseits nicht prioritär ist und andererseits zu sehr in der Gefahr steht, in der öffentlichen Meinung und zwischen den politischen Lagern für Spannungen zu sorgen. Angesichts des nahenden Referendums über die Abschaffung des „perfekten Zweikammersystems“ und der politischen Auseinandersetzung darüber kann die Regierung die Eröffnung zusätzlicher „Fronten“ wohl nicht gebrauchen.
Notstandsverwaltung ist noch keine Integrationspolitik
Wenn das der Grund für die Verzögerung der überfälligen Reform ist, wäre es ein weiterer Beleg dafür, dass die Renzi-Regierung zwar verdienstvolle Anstrengungen zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise leistet (im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern), von einer strukturell angelegten und nachhaltigen Integrationspolitik jedoch weit entfernt ist.
Das Verschleppen der Staatsangehörigkeitsreform ist dafür nur ein Beispiel. Auch in Renzis Schulreform „La buona scuola“ fehlt ein Konzept zur verbindlichen flächendeckenden Förderung von Migrantenkindern und interkulturellem Lernen. Die „10 Empfehlungen“, die den Schulen hierzu vom Bildungsministerium zugeleitet wurden, sind zwar grundsätzlich richtig, aber recht allgemein und unverbindlich. Und die dafür bereitgestellten Ressourcen von 1 Mio. Euro sind angesichts der Zahlen (ca. 850.000 Schüler aus Migrantenfamilien) ein Witz. Zum Vergleich: Während meiner Tätigkeit im niedersächsischen Kultusministerium verwendete allein dieses Land 35 Mio. Euro jährlich für die schulische Sprachförderung von ca. 50.000 Schülerinnen und Schülern aus Migrantenfamilien. Inzwischen dürfte die Summe aufgrund der hohen Zahl von Flüchtlingskindern erheblich höher liegen.
Auch bei der Arbeitsmarktintegration und beruflichen Weiterqualifizierung gibt es – von lobenswerten Einzelinitiativen in einigen Kommunen abgesehen – meines Wissens kein Integrationskonzept, geschweige denn konkrete Programme. Ähnliches gilt für die interkulturelle Öffnung von Verwaltung und anderen öffentlichen Institutionen.
Dies alles könnte man verstehen, wenn Einwanderung in Italien ein „neues“ Phänomen wäre. Was bekanntlich nicht der Fall ist. Siehe die Schüler der zweiten und dritten Migrantengeneration, deren Zahl sich inzwischen einer Million nähert. Auch der Zustrom von Flüchtlingen aus Krisengebieten findet nicht erst seit Kurzem statt, sondern seit Jahrzehnten (wenn auch mit Phasen unterschiedlicher Intensität).
Mailands Bürgermeister fordert nationalen Integrationsplan
Es ist daher sehr zu begrüßen, dass der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala (PD) vor einem Monat in einem offenen Brief die Regierung aufforderte, eine nationalen Integrationsplan zu entwickeln und einen zentralen Stab zu dessen Realisierung einzusetzen. Allerdings beschränken sich die von Sala angeregten – sicherlich wichtigen – Maßnahmen im Wesentlichen auf Fragen der „gerechten“ Verteilung auf die Kommunen und den Ausbau von niedrigschwelligen Sprachangeboten für Neuzuwanderer. Die Bereiche Schulbildung, berufliche Integration und Staatsangehörigkeit werden von ihm nicht explizit angesprochen.
Dennoch ist es richtig, wenn Sala mahnt, man müsse über das Verwalten eines „permanenten Notstandes“ hinauskommen, hin zu einer nachhaltigen Integrationspolitik. Von nennenswerten Reaktionen auf Salas Brief seitens der Regierung hat man bisher nicht gehört. Die längst überfällige Verabschiedung der Staatsangehörigkeitsreform im Senat könnte eine erste Antwort sein.