„Voller Entsetzen“
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„Wir haben uns für eine Produktion entschieden, die zwischen O-Ton-Reportage, politischem Essay und Krimispannung oszilliert.“ So beginnt die Jury-Begründung zum Hörspiel des Monats/Jahres 2024, seit 1977 eine Initiative der öffentlich rechtlichen Sendern aus Deutschland, Österreich. Zum besten Hörspiel gewählt wurde, wie vor wenigen Tagen bekanntgegeben wurde, Im Auge des Sturms - Das Kapitol am 6. Januar 2021, von Maxi Obexer. „Es ist nicht von der Hand zu weisen“, heißt es in der Begründung weiter, „dass wir die Wahl auch unter dem Eindruck aktueller politischer Geschehnisse getroffen haben. Der 47. amerikanische Präsident ist mit seiner Amtseinführung im Januar 2025 als erster verurteilter Straftäter im Amt in die Geschichtsbücher eingegangen. Vier Jahre zuvor, im Januar 2021, nahm er bei den Geschehnissen rund um den ‚Sturm aufs Kapitol‘ eine zentrale Rolle ein, als er seine Fans bei einer Kundgebung dazu aufrief, die Pennsylvania Avenue hoch zum Kapitol zu ziehen, um gegen den vermeintlichen Betrug nach seiner verlorenen Wahl zu demonstrieren. Schrecken, Morddrohungen und Chaos waren die Folge, fünf Menschen starben.“
...das ist ein unglaubliches historisches Moment - in mehrfacher Hinsicht.
(Maxi Obexer) -
„Voller Entsetzen natürlich. Aber nicht völlig überrascht“, antwortet Maxi Obexer auf die Frage, wie sie die Trump-Show von vergangenem Montag erlebt habe. „Schon damals, am 6. Januar 2021, zeigte sich, wie fragil die Demokratie ist“, sagt sie, sich auf das nun prämierte Hörspiel beziehend: „Ich spreche von dem, was das Hörspiel nachstellt, nämlich über das, was im Inneren des Kapitols an diesem Tag passierte: die Vereitelung der Wahlbestätigung und Ernennung des Präsidenten Biden durch ständig neue Einsprüche. Das war eine Zerlegung demokratischer Abläufe mit legalen Mitteln. Anstatt also um 11 Uhr zu beginnen und um 13.30 Uhr mit der Abstimmung fertig zu sein wurde hinausgezögert. Um 11 Uhr rief Trump zum Marsch auf das Kapitol. um 14 Uhr wurden die Abgeordneten in die Schutzkeller gebracht, dass die Sitzung fortgesetzt wurde, ist einzelnen Leuten wie Nancy Pelosi und Chuck Schumer zu verdanken. Es hätte auch anders kommen können. So wurde die Abstimmung um 3 Uhr früh beendet.“
Darüber wüssten die wenigsten Bescheid, „dass zum äußeren Angriff zeitgleich ein innerer erfolgte“, ergänzt die Autorin. 2021 war sie die ganze Nacht wachgeblieben und hörte sich die Reden an. „Ich dachte mir, das ist ein unglaublicher historischer Moment - in mehrfacher Hinsicht.“
Mit den gesammelten Eindrücken im Kopf machte sie sich zunächst an ein Theaterstück, für die Münchner Kammerspiele. „Für das Theaterstück hatte ich nur das Protokoll der neunstündigen Sitzung, insgesamt 400 Seiten Kleingedrucktes auf Amerikanisch“, erinnert sich die Autorin. Daraufhin kam die Geschichte zum Westdeutschen Rundfunk (WDR), wo verwendbare Original-Audiomitschnitte dazu genommen werden konnten.
Das dokumentarische Hörspiel zum Sturm auf das Kapitol ist eine genaue Rekonstruktion, mit ausführlichem O-Ton-Material der verbalen Kämpfe zwischen den Abgeordneten (vor und nach dem gewaltsamen Angriff), die auf eindrucksvolle Art und Weise die Bilder, die ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind, ergänzen. „Herausgekommen ist ein dokumentarisches Stück mit Pathos und Drive“ , das „die Funktionsweisen und politischen Denkmuster eines Systems“ vor Augen führt, welches sich „anfällig für Bruchstellen zeigt.“Zum Hörspiel: Im Auge des Sturms - Das Kapitol am 6. Januar 2021
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