Cultura | Salto Weekend

Bildhaft sprechen

Die Dolmetscherin Julia Gamper hat den Film "(All)täglich Gehörlos" gestaltet. Ein Gespräch über eine Sprache die in Italien nicht anerkannt ist. Auch nicht in Südtirol.
Alltäglich Gehörlos4
Foto: Omega

salto.bz: Was ist Ihr Lieblingswort in der Gebärdensprache?

Julia Gamper: Begreifen. Es sieht aus als würde man vor dem Kopf einen Apfel packen und ihn, dann Richtung Stirn ziehen. Bildhaft gesprochen, schnappt man sich eine Information und legt sie in den Kopf.

Demnächst wird Ihr Film "(All)täglich Gehörlos" im TV gezeigt. Was will er sichtbar machen?

Der Film (All)täglich Gehörlos soll in erster Linie zeigen, dass gehörlose Personen ein selbstbestimmtes Leben führen können, wie „alltäglich“ die Gehörlosigkeit für sie ist. Ich wollte den Menschen einerseits diese „andere“ Welt zeigen, in der Hoffnung, sie können ihr in Zukunft auch etwas mehr Verständnis entgegen bringen. Andererseits aber auch aufzeigen, dass diese fremde Welt, gar nicht so anders ist. So konnte ich für die kurzen Interviews eine tatkräftige, junge Frau gewinnen, die Erziehungswissenschaften studieren möchte, eine kleine Familie, die ihr zweites Kind erwartet und einen kultivierten Herrn mit mehr als 70 Jahren Lebenserfahrung, der sich über sein erstes Enkelkind freut.

 

Wie vernetzt sind die verschiedenen Gehörlosen Südtirols? Gibt es Austausch zwischen den Sprachgruppen?

Die meisten Gehörlosen sind grundsätzlich sehr gut vernetzt, auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Es ist aber auch ihre gemeinsame Erfahrung, die sie zusammenschweißt und mit scheinbar fremden Gehörlosen schnell ein Gesprächsthema finden lässt. Natürlich gibt es in Südtirol auch Austausch zwischen den Sprachgruppen, bei Gebärdenden vielleicht auch, weil oberflächliche Gespräche zwischen österreichischer und italienischer Gebärdensprache etwas leichter fallen als in den Lautsprachen.
Ansonsten ist das von Mensch zu Mensch verschieden.

 

Sie sind Dolmetscherin für Gebärdensprache. Wieviel Dolmetscher gibt es in Südtirol und wie kann man sich dazu ausbilden lassen?

Da DolmetscherIn kein geschützter Beruf ist, kann sich eigentlich jeder so nennen. Tatsächlich geprüfte GebärdensprachdolmetscherInnen gibt es in Südtirol bisher keine.
In Österreich gab es bisher drei Möglichkeiten sich ausbilden zu lassen: Eine Vollzeitausbildung in Linz, ein Masterstudium in Graz oder eine Seminarreihe in Wien, welche auf bereits erworbene Sprachkenntnisse aufbaut. Bei allen drei wird jeweils anschließend eine Berufseignungsprüfung verlangt.
Die Seminarreihe in Wien hat mit 7 Durchgängen voraussichtlich ihren letzten Durchgang beendet. Stattdessen gibt es seit vergangenem Herbst in Innsbruck ein Bacherlorstudium.
Mein Kollege Roman Kiebacher und ich haben die Ausbildung in Wien absolviert, müssen aber auch erst die Prüfung machen. Meines Wissens gibt es weitere vier oder fünf Personen, die zur Zeit in Innsbruck das neue Bachelorstudium für Gebärdensprachdolmetschen besuchen. Soweit zum deutschsprachigen Teil. Italienische KollegInnen gibt es in Trient, in Südtirol ebenfalls keine. Zu ihrer Ausbildung weiß ich leider nichts Genaueres.

Wie unterscheidet sich die Gebärdensprache italienischer Gehörlosen von der Gebärdensprache nach österreichischem Muster?

Gebärdensprachen sind ebenso vielfältig, wie die Lautsprachen. Sie haben verschiedenste Dialekte und unterschiedliche Grammatiken. Bei der österreichischen (ÖGS) und italienischen Gebärdensprache (LIS) handelt es sich um zwei europäische Sprachen, sodass sich die Grammatik nicht so stark unterschiedet. Der Wortschatz kann sich bis zu einem Drittel ähneln. Dabei handelt es sich um Gebärden wie Essen, Trinken oder Hören, wo beispielsweise auf den Mund oder das Ohr gezeigt wird – eben Dinge, die wohl auch ein Nicht-Gebärdensprachler verstehen würde.
Unterschiede gibt es im Mundbild, weil da ja das lautsprachliche Wort nachgeahmt wird, sowie hauptsächlich – auch in den Dialekten innerhalb der österreichischen oder italienischen Sprachgemeinschaft –, bei Monatsbezeichnungen oder Wochentagen. Ein weiterer Unterschied steckt im Gebärden von Zahlen. Beispielsweise die Zahl 23 in ÖGS mit DREI-ZWANZIG gebärdet, in LIS allerdings wie die lautsprachliche Entsprechung ZWANZIG-DREI (venti-tre).
Als Nicht-Muttersprachlerin empfand ich es anfangs aber sehr schwierig die andere Sprache zu verstehen, auch wenn sich einige wenige Gebärden ähneln, ähneln sich eben auch welche, die verschiedene Dinge bedeuten. Eine Anekdote dazu: Ich habe mich gewundert, warum mich eine liebe gehörlose Frau jedes Mal aufs Neue fragt, wo ich wohne, obwohl ich es ihr bereits vor einer und vor zwei Wochen erklärt hatte. Bis mich dann nach einem Monat ein zweisprachiger Gehörloser darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Frau italienisch gebärdet und mich fragt, wie es mir geht.

 

Sie haben vor fünf Jahren begonnen die Gebärdensprache zu erlernen. Was waren die Gründe?

Ich habe in Innsbruck Sprachwissenschaft studiert und empfand, dass Sprachen zwar unterschiedlich sind, aber allen eine ähnliche Struktur zugrunde liegt: Ein Wort für eine Person, ein Wort für die Tätigkeit und gegebenenfalls ein paar bestimmte Buchstaben, um zu verstehen, dass die genannte Person und die Tätigkeit zusammengehören oder um anzumerken, dass dies schon früher passiert ist. Ich wollte etwas ganz Neues und Anderes kennenlernen. Und da wurde ein ÖGS-Kurs angeboten. Zwar weiß ich inzwischen, dass auch Gebärdensprachen so ähnlich funktionieren und nur statt der Buchstaben den Blick oder den Oberkörper nach hinten lehnen, aber es hatte eben doch diese Faszination, die mich jetzt fünf Jahre später immer noch fesselt.

Allerdings sollte doch gerade das Land Südtirol verstehen, wie wichtig die Anerkennung der eigenen Muttersprache ist...

Wie beobachten Sie die Situation der Minderheit der Gehörlosen in Südtirol? In Italien ist die Sprache immer noch nicht anerkannt...

Ja, leider konnte bisher weder Südtirol noch Italien diesen Schritt der Anerkennung gehen. Einige Regionen sind inzwischen schon ihren eigenen Weg gegangen. Schämenswerterweise ist Italien der letzte Staat der EU, der es weiterhin versäumt. Malta und Luxemburg waren die letzten, die den Absprung geschafft haben.
Die Gehörlosengemeinschaft ist sehr heterogen, von Männern und Frauen, Reichen und Armen, über UniversitätsabgängerInnen und AnalphabetInnen bis hin zu reinen Gebärdensprachlern, Schwerhörigen und Gehörlosen, die überhaupt nicht gebärden können, ist alles mit dabei. Somit ist es umso schwieriger eine starke Interessensvertretung zu bilden, die nicht nur den beiden Sprachgruppen, sondern der gesamten Gemeinschaft gerecht wird. Zudem sprechen wir von „nur“ ca. 300 Personen südtirolweit, die mit ihrer Zahl kaum Druck auf die Politik ausüben können. Allerdings sollte doch gerade das Land Südtirol verstehen, wie wichtig die Anerkennung der eigenen Muttersprache ist, nicht nur für die Akzeptanz in der Gesellschaft, sondern vor allem für die eigene Identität und Wertschätzung.

 

Inwieweit ist die Gebärdensprache im medialen Alltag präsent?

Die Gebärdensprache selbst ist in der Südtiroler Medienlandschaft leider so gut wie gar nicht zu beobachten. Die Untertitelung der Tagesschau war für die deutschsprachigen Gehörlosen ein großer Meilenstein. Lichtblicke bieten schriftliche Artikel oder kurze Reportagen zum Thema. Doch auch diese dienen eher dazu, die Hörenden zu informieren, indem die Gebärdensprache gedolmetscht wird. Umgekehrt, dass gesagte Informationen gebärdet werden, gab es im vergangenen Jahr nur bei den Pressekonferenzen während des Lockdown. Momentan sucht man danach wieder vergeblich.

Welche Worte sollten alle Südtirol*innen in der Gebärdensprache „sprechen“ können?

Ich glaube, die meisten könnten schon mehr Gebärden als sie ahnen. Sie sollten nur den Mut aufbringen gegenüber einer gehörlosen Person den eigenen Händen freien Lauf zu lassen. Ein freundliches Nicken hat wohl den gleichen Effekt wie ein gebärdetes „Ja, gerne!“.