Cultura | Salto Afternoon

Murmuration / Stillstand

Zwei Ausstellungen und zahlreiche Programmpunkte widmen sich im Festival „Quo vadis?“ in Bozen, Leifers und Meran Südkoreanischer Kunst und Kultur. Im Centro Trevi: Stare
Still Life
Foto: Privat
Eine fast obsessive Pandemie-Erfahrung, jene der in Seoul geborenen, in einem Vorort Rio de Janeiros aufgewachsenen Künstlerin Sun Hee Moon setzt sich, verklausuliert über das Symbol von Ton-Staren, mit der Dualität von Einzelnem und Kollektiv auseinander. Kuratiert wurde die Ausstellung von Nicolò Faccenda. Im Foyer des Centro Trevi eröffnet die erste von 16 Arbeiten in Öl auf Leinwand der Künstlerin gemeinsam mit einer Videoarbeit eines Niederländischen Filmers und Fotografen, Jan Van Ijken der sich an der Grenze zwischen Dokumentation und Kunst bewegt. „The Art of Flying“ führt ein für die Ausstellung essenzielles Motiv ein: Den fast lautlosen Himmelstanz von Starschwärmen, der im Englischen die klingende Begrifflichkeit „murmuration“ (dt. Murmeln, Raunen) hat. Neben der Bezeichnung für die charakteristischen Schwarm-Bewegungen meint „murmuration“ im Englischen auch das Kollektiv, die Schar. „A murmuration of starlings“ ist Teil der im Englischen erfreulich poetischen Collective-Nouns, ein Kollektivum, das einer bestimmten Tiergruppe zugeschrieben wird.
 
 
Sun Hee Moon bricht dieses Kollektivum - eine Verschränkung von Bewegung und Gruppe - auf. Still Life“ zeigt, von der Videoarbeit eines anderen Künstlers abgesehen, die Stare im Stillstand, als Bilder in Gruppen (eingangs: „#Hashtag“ in zu erwartender Form, auch hier ließe sich die Verbindung zwischen Kommunikation und Vogel einfach herstellen), Grüppchen und einzeln. Dabei lehnt sie sich, in den zwischen 2020 und 2022 entstandenen Bildern an verschiedene Motive an: Die einfachen Objekte haben etwas Archaisches, die Bildkompositionen sind zu einem guten Teil an Alltagsobjekte angelehnt, aber auch an klassische Posen der Malerei: „The Bride“ erinnert stark an die Olympia Manets.
 
 
An den Wänden im Ausstellungsraum selbst herrscht ein wenig der Eindruck eines strukturellen Interesses an Malerei an und für sich vor, welches auch, gerade in Kombination mit dem zweiten, nirgends aufgeschlüsselten Symbol des gehängten Löffels an groben Seilen (gemalt und als Objekt), für Studien unmöglicher Perspektiven genutzt wird. Als Form findet der Löffel Entsprechung in den tausenden (keine Übertreibung) Tonvöglchen, welche die Künstlerin  mit eingedrückter Schwanzfeder angefertigt hat und die den Dreh- und Angelpunkt der Ausstellung bilden. Sie stehen, in der Bildebene in Draufsicht auf einer vertikalen Fläche, an welcher die Löffel gehängt sind oder rasten in unmöglicher Balance auf einer Seite eines horizontal ausbalancierten Löffels, ohne Gegengewicht.
 
 
Die Unmöglichkeit dieser Konstellation erleben wir auch haptisch: Jedem Ausstellungsbesucher wird ein Tonvogel geschenkt, das Gewicht in der Hand wird spürbar. Diese, den Ausstellungskontext verlassenden Vögel erfüllen eine doppelte Funktion: Sie werden von einem Ende der titelgebenden Installation „Still Life“ abgeschnitten, welche eine eingefrorene „murmuration“ zeigt: Die Wellenbewegung von Tonvögeln ist als Hängung von der Decke mit Fischerschnüren (Im Kontrast mit dem groben Seil der Löffel) realisiert, die durch den Wechsel des Betrachtungspunktes als Illusion in Bewegung kommt. Von einer Seite wird je ein Star abgeschnitten und ausgehändigt.
Zum einen ist das Schenken eine wichtige kulturelle Praxis von Südkorea, zum anderen entkommt das „Vögelchen“ dadurch auch dem Stillstand der Installation. Aus den Lockdowns heraus entstanden, kann man die Objekte auch als Sinnbild für den gesellschaftlichen Stillstand sehen: Vereinzelt aber doch gemeinsam haben wir darin eine das Kollektiv verändernde Erfahrung gemacht. Der Vogel, der ein Kollektiv verlässt, bildet ein neues. Er ist ein Souvenir derer, die - zu verschiedenen Zeiten - am selben Ort waren.