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Allein im Märzengrund

„Isch do wer?“ Die Frage echot in einer abgeschiedenen Ecke des Zillertals wieder. Im Kinosaal befinden sich gleich viele Menschen wie in der Szene zu sehen sind: Einer.
Märzengrund
Foto: Copyright 2022 PROKINO Filmverleih GmbH / Metafilm
Vielleicht bin ich einfach der einzige, den es am Sonntag um 18.15 Uhr in den Kinosaal des Bozner Filmclub zieht, doch dann stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Vorstellung. Ich will mich auch gar nicht darüber beklagen: In „Märzengrund“ geht es über weite Strecken um das ungleiche Begriffspaar allein und einsam, da ist ein leerer Kinosaal das beste Setting, welches man sich wünschen könnte, viel prägnanter als wenn man den Film alleine zuhause ansehen würde. Auch ist „Märzengrund“ die Sorte von Film, die auf die große Leinwand gehört, hat Bilder, die nicht nur Auflösung, sondern auch räumlichen Platz brauchen, um den Mensch als klein und machtlos in der Natur zu zeigen.
Aber gewundert hat es mich schon, als ich den Saal bei laufender Werbung betreten habe und ihn ganz für mich hatte. Nach einem Monat Sommerferien des Filmclubs hatte ich eher mit mehr Publikum als Ende Juli gerechnet und es gäbe schon einige Anziehungspunkte, welche ein Publikum hätten anlocken können. Man nimmt sich ein Stück von Felix Mitterer als Vorlage, der vor kurzem von sich reden lies und lässt ihn am Buch mitschreiben. Man besetzt das Zillertal Psychogramm eines hypersensiblen Bauernsohns Elias (Jakob Mader) mit Harald Windisch und Gerti Drassl als strenge Eltern ideal. Und, zu guter letzt: Der Regisseur Adrian Goiginger ist nach seinem Langfilm Debüt 2017 „Die beste aller Welten“ kein unbekannter mehr, hat große Anerkennung seitens Kritik und Publikum, sowie zahlreiche Preise auf Festivals eingestrichen. „Märzengrund“ konnte sich zudem noch vor dem „offiziellen“ Kinostart im April den Spielfilmpreis des Landes beim Bolzano Film Festival Bozen abholen.
 
 
Parallelen zwischen Goigingers beiden Filmen sind da, wenn auch nur auf Basisebene: Kinder, die ein Elternhaus haben, welches Traumata statt Zuflucht bietet und die Rückzug - in Fantasie oder Abgeschiedenheit - suchen, da ein Kind, dort ein junger Erwachsener. Einfach anzusehen sind beide Filme nicht, hier soll es um „Märzengrund“ gehen. Entschleunigt muss er sein, ein Film, der in die Berge geht und in die Tiefe. Letzteres gelingt ihm manchmal, nicht immer. Vielleicht sind auch Filme über psychische Gesundheit derzeit nicht hoch im Kurs, wo viele Menschen mit ihrer eigenen hadern, oder schon in den Medien „genug“ davon zu hören bekommen.
Was natürlich weder genug noch das selbe, wie eine fiktive Auseinandersetzung ist, aber das Gefühl der Übersättigung kann real sein. Elias - den Jakob Mader, bei den Dreharbeiten 2020 spielte als er gerade mal 18 war - ist eine Figur, die uns als Fremder in ihrem Umfeld präsentiert wird, die nicht passt ins raue Zillertal und an die Erwartungen gestellt werden, die seinen Wünschen entgegen laufen. Elias Mensch, der es mit dem Glück ein Leben lang schwer hat. Lieber sind ihm Bücher als die bäuerliche Arbeit und die geschiedene Frau, die Homo Faber im Bus liest lieber als die gleichaltrigen Mädchen. Die Liebesgeschichte zur „Moid“ (Verena Altenberger) verläuft sich dabei leider und wird als Handlungsstrang zu keinem zufriedenstellenden Ende gebracht.
Wer sich von der, wie heute vielfach mit der Handlung des Films zu freizügigen Trailer-Kampagne des Films retten konnte, weiß dennoch bald, dass wir Elias in zwei Lebensaltern begegnen und wohin ihn sein Lebensweg führte: In eine kleine Hütte in den Bergen, fernab der Menschen. Rasch greift der Film auf dramatische Ironie zurück, zeigt es uns, zwischen zwei durch vierzig Jahre getrennten Erzählsträngen hin und her wechselnd, in welche Richtung das Ende führt. Johannes Krisch, der Elias in seinen 60ern gespielt hat, bekommt es dabei mit einer Rolle zu tun, die im Vergleich zur jungen Version an Komplexität verliert, zeitgleich aber gerade gegen Ende des Films sehr stark das Tabuthema Suizid aushandeln muss. Dabei sei hier eine Warnung ausgesprochen, auch wenn es sich ums Ende des Films handelt, denn dieser Umgang ist sicher nicht die stärkste Seite des Films.
 
 
Man kann sich angesichts des Endes auch die Sinnfrage stellen, Elias tut es in Hinsicht auf sein Leben schließlich auch: „Märzengrund“ ist sicher kein perfekter Film, pendelt zwischen Schwermut und manischer Freude, findet wie beiläufig cineastische Bilder von Bergwelten, die aus ästhetischer Sicht allein schon eine Freude sind. Bei nicht immer konstant in ihren Motivationen und Handlungen schlüssigen Figuren finden doch die Darsteller, allen voran Drassl (die physische Intensität auf die Leinwand bringt, wie man sie sonst nur von der Bühne kennt) und Mader (der gerade volljährig scheinbar die ganze emotionale Bandbreite menschlicher Emotion abzudecken hat) Zugänge, die man auf einer Gefühlsebene annehmen kann. Kitsch (ein als Voiceover gesprochener Brief im hybriden Dialekt-Sprecherdeutsch im Speziellen) und ein bisschen Esoterik, die manchen an Filme wie Terrence Malicks Tree of Life erinnern mag sind eher Ausschweifungen als der eigentliche Ton des Films, der in ruhigen Momenten psychologisch funktioniert. Am spannendsten ist es dann, wenn der Film am ruhigsten und langsamsten ist, dann wenn Elias allein ist, in den Bergen, oder in Erinnerung, nicht wenn er Besuch von Verstorbenen oder deren Projektion aus dem Unterbewusstsein hat. Da sind die Untiefen und das störende am Bild eines Robinson in den Alpen.
Verdient hätte sich der Film, Fehler hin oder her, dass ein Publikum zu ihm findet, das im Anschluss über die Themen gesellschaftlichen Drucks und Erwartungen, Aussteiger, sowie Suizid spricht. Das Kino ist für Gespräche zu schwierigen Themen ein Forum, lassen wir es nicht ungenutzt.