Von den Heuschrecken lernen
Petra Kranebitter ist Insektenkundlerin. Seit rund 15 Jahren ist sie den Heuschrecken in Südtirol auf der Spur. 85 verschiedene Heuschreckenarten konnte sie in Südtirol festmachen. Zwei Arten, stellte Kranebitter fest, sind dabei etwas ganz besonderes in den Alpen. Sie kommen nur oberhalb der Waldgrenze und dort auch nur ganz fragmentiert vor. Anonconotus italoaustriacus und Aeropedellus variegatus haben deshalb europaweiten Schutzstatus erlangt. Nun stehen sie stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojektes: „Alpine Heuschrecken im Spannungsfeld von Isolation und Klimawandel“. Petra Kranebitter untersucht gemeinsam mit dem Nordtiroler Biologen Philipp Kirschner die Genetik dieser seltenen Arten, um daraus auch Rückschlüsse auf andere bedrohte Arten zu ziehen.
„Heuschrecken sind gute Modellorganismen, um Fragestellungen der modernen Evolutionsbiologie zu beantworten“, sagt Kirschner. „Sie kommen meist in höheren Dichten vor und sind im Feld einfach zu sammeln und zu bestimmen. Die gute Datenlage in Südtirol und in den angrenzenden Ländern macht ein Forschungsprojekt dieser Art überhaupt erst möglich,“ ergänzt Kranebitter. Die Daten zeigen, wo in den Alpen diese beiden Heuschrecken vorkommen und wo sie, trotz geeigneter Bedingungen, nicht vorkommen. „Für uns beginnt hier die evolutionsbiologische Forschungsfrage,“ so Kirschner, „wie lange ist die Population schon dort auf diesem Berggipfel? Und wie kam sie dort hin?“
Für die Beantwortung ihrer Fragestellungen sammeln Kranebitter und Kirschner aus den Populationen in den verschiedenen Gebieten jeweils einzelne Individuen ein. Anschließend entnehmen sie den Tieren Gewebe zur Extraktion und Sequenzierung der DNA. Über die
„Hochdurchfluss-Sequenzierung“, die z.B. auch für die Sequenzierung von Coronaviren verwendet wird, erhalten die Forscher von jedem untersuchten Heuschreckenindividuum einen genetischen Fingerabdruck mit mehreren Millionen Genschnipseln. Diese geben Aufschluss über hunderttausende Jahre Evolutionsgeschichte. „Das Forschungsfeld “Conservation genomics” ist deshalb interessant, weil wir hier nicht nur verwandtschaftliche Analysen erstellen oder die Vergangenheit rekonstruieren können. Wir erkennen damit auch, wie wichtig einzelne Populationen für den Fortbestand einer Art sind und ob einzelne Vorkommen somit noch besser geschützt werden müssen,“ erklärt Kirschner.
Der Vergleich von Millionen von Genschnipseln ermöglicht es, Antworten zu finden auf die Frage, wie sich Arten gebildet haben und welchen Einfluss Eiszeiten, Geografie, Umwelt und Klima auf diesen Prozess hatten. „Heuschrecken sind nicht die einzigen isolierten Arten in den Alpen,” betont Kirschner, „die Erkenntnisse aus unserer Studie werden uns Rückschlüsse auf die Biologie anderer isoliert vorkommender Alpenbewohner erlauben.”
Was passiert mit Arten, wenn sie über längere Zeit isoliert sind? Sind sie überhaupt isoliert oder gibt es an und wann einen Austausch zwischen den isolierten Teilpopulationen? Mit Antworten auf diese Fragestellungen hoffen die beiden Forscher, wichtige Erkenntnisse über die Populationsbiologie alpiner Arten zu gewinnen, auch im Hinblick auf die bevorstehenden Herausforderungen des rapiden Klimawandels für alpine Arten und Veränderungen von Lebensraumstrukturen. Schlussendlich hoffen sie auch auf eine praktische Anwendung – nämlich dem Naturschutz neue, wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlagen zu liefern.