Prissianer Pulverfass
Es ist ein heikles Thema, das das Dörfchen Prissian dieser Wochen beschäftigt. Und die Dorfgemeinschaft auf eine harte Probe stellt. Seit einiger Zeit sorgt nämlich die Ankündigung, dass noch in den Sommermonaten rund 40 Flüchtlinge in der kleinen Fraktion der Gemeinde Tisens untergebracht werden sollen, für Diskussions- und Zündstoff. Viele Bürger fühlen sich verunsichert und mit ihren Zweifeln und Sorgen alleine gelassen. Mangelnde Informations- und Aufklärungsarbeit und ein Bürgermeister, der nicht für alle spricht, haben einen gefährlichen Stein ins Rollen gebracht.
Wer sich dieser Tage in Prissian aufhält, kommt an dem weißen Blatt Papier kaum vorbei. In fast allen Bars und Geschäften des Dorfes hängt oder liegt dieser Zettel auf. Es ist ein Brief, gerichtet an den Landeshauptmann Arno Kompatscher. In knapp dreißig Zeilen werden darin “Die Bedenken der Tisner Bürger” angesichts der in Prissian entstehenden Flüchtlingsunterkünfte aufgelistet. Wer das Schreiben verfasst hat, ist nicht wirklich klar. Fest steht hingegen, dass sich bei Weitem nicht alle “Tisner Bürger” mit dem Inhalt des Briefes und dem, was sich in Prissian derzeit abspielt, einverstanden erklären. Nachvollziehbar wird dies, wenn man sich das A4-Blatt durchliest.
Dreißig Zeilen Sorgen
“Sehr geehrter Herr Landeshauptmann, mit Bestürzung mussten die Bewohner von Tisens aus den MEDIEN erfahren, dass mitten in Prissian ein Asylantenheim entstehen wird”, so beginnt das Schreiben. Kritisiert wird in erster Linie die fehlende Information und Kommunikation mit den Dorfbewohnern. Die Bevölkerung sei zu keiner Zeit über die Pläne der Landesregierung unterrichtet, geschweige denn befragt worden. Dies habe zu “großer Unsicherheit” geführt. Neben den Bedenken, ob das 500-Seelen-Dorf Prissian wirklich für die Unterbringung und Aufnahme von Flüchtlingen geeignet ist, werden auch schärfere Töne angeschlagen. “Sie platzieren ein Pulverfass in unserem kleinen Dorf, welches durch den kleinsten Funken explodieren kann”, so die Befürchtung, mit der sich “die Bürger der Gemeinde Tisens” an den Landeshauptmann wenden.
Quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten hindurch ist es im Dorf zur Zeit völlig normal, öffentlich gegen Flüchtlinge zu schimpfen. (Carmen*)
Seit Monaten wird der kleine Ort Prissian und die gesamte Gemeinde immer wieder von Einbrechern heimgesucht. In der Ankunft von “Dutzenden illegaler Asylanten” sehen viele ein zusätzliches Sicherheitsproblem. Auch die Wahl des Standortes – das von der Provinz ausgemachte Gebäude neben dem ehemaligen Salus-Center steht nicht weit entfernt vom örtlichen Kindergarten – sorgt für Entsetzen: “Ohne unsere Meinung darüber zu kennen, entsteht direkt neben unserem Kindergarten eine Notunterkunft für illegale Einwanderer. Flüchtlinge, welche die Hölle durchleben, nichts zu verlieren haben und hier auch bestimmt keine Aussichten auf eine bessere Zukunft haben”, so die Verfasser des Briefes.
Proteste, offline und online
Auch im Dorf selbst ist die Skepsis gegenüber den neuen Mitbürgern zu spüren. Bei einem Appell an Arno Kompatscher wollen es die besorgten Tisner nicht belassen. Fleißig werden im gesamten Gemeindegebiet Unterschriften gesammelt. Man will den Landeshauptmann zum Umdenken bewegen. “Wir sind uns sicher, dass Sie unsere Bedenken verstehen, Ihre Entscheidung überdenken und andere, sinnvollere Lösungen finden werden!”, heißt es gegen Ende des Schreibens. Doch lange nicht alle Prissianer erklären sich bereit, ihren Namen auf die Unterschriftenliste zu setzen. Eine davon ist Carmen* (*Name von der Redaktion geändert). Sie möchte nicht, dass ihr Name genannt wird, denn: “Das was hier im Dorf passiert, grenzt fast schon an Mobbing.” Wer nicht unterzeichnet, wird im Dorf darauf angesprochen. Und versucht, zur Unterschrift zu überreden. Doch auch auf Facebook wird gegen die Flüchtlinge mit niederschwelligen Kommentaren und Videos mobil gemacht.
Die ersten Zeilen des Briefes an Landeshauptmann Kompatscher. Der volle Wortlaut des Schreibens kann hier nachgelesen werden.
“Ich bin über das Ausmaß der Aggression, mit der im Dorf online wie offline im Moment gehetzt wird, sehr erschüttert”, gesteht Carmen. “Die größte Frechheit ist aber, dass dieser Brief im Namen aller Bürger der Gemeinde Tisens verfasst wurde.” Sie hat das Thema in ihrem Bekanntenkreis angesprochen. Dort wurde ihr bestätigt, was sie selbst spürt: “Das Schockierende an der derzeitigen Situation ist, wie gesellschaftsfähig das Hetzen über Flüchtlinge und Ausländer geworden ist. Das heißt, quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten hindurch ist es im Dorf zur Zeit völlig normal, öffentlich gegen Flüchtlinge zu schimpfen. Das rassistische Hetzen geht also nicht mehr von ein paar Jugendlichen oder Randgruppen aus, sondern ist absolut salonfähig geworden.”
Die Präsenz der Flüchtlinge wird als Hindernis für den Aufenthalt der Gäste gesehen. (BM Matscher)
Immer wieder Aber
All jenen Bürgern, die sich nun gegen eine Flüchtlingsunterkunft im Dorf aussprechen, Rassismus zu unterstellen, das wäre wohl ein gewagter Schritt. Doch die Verunsicherung und die Zweifel, aber auch die Wut der Prissianer sind nicht zu überhören. “Was sollen diese Menschen in einem Dorf wie Prissian machen? Wie sollen sie ihre Zeit verbringen? Wer kümmert sich um ihre Integration?” Fragen über Fragen. Immer wieder Aussagen wie: “Wir haben nichts gegen Flüchtlinge, aber nicht hier bei uns. Prissian ist zu klein.” Oder: “Diesen Leuten muss geholfen werden, sie kommen aus Gebieten, wo Krieg und Verfolgung herrscht. Aber es gibt sicher geeignetere Orte als unser Dorf.” In diese Kerbe schlagen auch die – anonymen – Verfasser des Briefes an den Landeshauptmann: “Eine Notunterkunft in einem 500-Seelen-Dorf wie Prissian ist nicht der geeignete Platz. Wir hoffen, Ihnen ist bewusst, zu welchen Problemen und folgeschweren Auswirkungen dies in ähnlichen Situationen bereits führte.” Eine Erklärung, worauf die Anspielung abzielt, bleiben die Schreiber schuldig.
Sie platzieren ein Pulverfass in unserem kleinen Dorf, welches durch den kleinsten Funken explodieren kann.
Bürgermeisterliche Bedenken
Es herrscht ein fühlbar ungutes Klima im Dorf. Den Menschen wird nicht das Gefühl gegeben, ernst genommen zu werden. Einer, dessen Aufgabe es wäre, für ein sicheres und gutes Zusammenleben zu sorgen, ist der Bürgermeister. Seit 2014 ist Christoph Matscher im Amt. Aber auch er meldet Bedenken an. “Die Zahl der Flüchtlinge, die in Prissian unterkommen soll, droht, das Dorfbild und das soziale Leben zu beeinträchtigen”, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem Alto Adige. Und weiter: “Ich persönlich stehe der Ankunft dieser Personen nach wie vor skeptisch gegenüber. Aber ich muss mich an die Entscheidungen der Provinz halten.” Gleich wie zahlreiche seiner Bürger sei er zu spät und nur unzureichend über die Pläne des Landes, in einem seiner Dörfer Flüchtlinge unterbringen zu wollen, in Kenntnis gesetzt worden. Die Frage taucht auf, ob der Widerstand und die Proteste angesichts der mangelnden Information nicht vorhersehbar und nachvollziehbar sind? “Ich sehe jetzt den Bürgermeister in der Pflicht, die Bevölkerung zu beruhigen”, kontert Carmen. “Es liegt an ihm, Informationen zu liefern und ein Konzept zu erstellen, wie die Menschen am besten integriert werden können. Er muss seinen Bürgern klar machen, dass hier Menschen ins Dorf kommen und dass man zusammen halten und gemeinsam helfen muss”, ist sie überzeugt. Von den Aussagen ihres Bürgermeisters ist sie hörbar enttäuscht: “Im Gegenteil, er spielt den Verunsicherten. Was insofern verständlich ist, als dass er mit seiner Haltung die Mehrheit der Dorfbevölkerung hinter sich weiß.”
Eine Schweizer Urlauberin gibt auf Twitter Entwarnung.
“Ich kann meine Bedenken nicht verbergen”, gesteht Christoph Matscher. Es hätten sich unter anderem bereits zahlreiche besorgte Eltern gemeldet, deren Kinder den Kindergarten in der Nähe des Ex-Salus-Centers besuchen. Dazu kommt laut Matscher noch der touristische Aspekt. Der Fremdenverkehr ist in Prissian ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ob auch die Flüchtlinge etwas von der viel gepriesenen Gastfreundschaft der Ferienregion abbekommen, wird sich zeigen. “Es bring nichts, die Tatsachen zu verschleiern”, so der Bürgermeister: “Die Präsenz der Flüchtlinge wird als Hindernis für den Aufenthalt der Gäste gesehen.” Die Tourismustreibenden befürchten Einbußen, sollte erst einmal bekannt werden, dass in der kleinen Tisener Fraktion Flüchtlinge untergebracht werden. Und während die Touristen nach wie vor als Gäste willkommen geheißen werden, machen sich doch einige Prissianer Sorgen, was die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft erwarten könnte. Wie Carmen: “Die Flüchtlinge werden in Prissian auf keine nette Begegnungen stoßen”, befürchtet sie. Doch sie will ihr Vertrauen in die Dorfgemeinschaft und deren Solidarität nicht aufgeben. Und vielleicht glätten sich die Wogen, sind die Menschen einmal angekommen. Innerhalb August soll es so weit sein. Zu dieser Zeit ist auch der Kindergarten noch in Sommerpause. Es gäbe also genügend Zeit, sich zu treffen, kennenzulernen und Vorurteile abzubauen. Und wer weiß, vielleicht wird dann auch der Bürgermeister die Flüchtlinge gleich begrüßen, wie es sein Vorgänger Urban Mair in der aktuellen Informationsbroschüre der Ferienregion Tisens-Prissian mit den Feriengästen macht: “Im Namen der Gemeindeverwaltung heiße ich Sie herzlich willkommen.”
Schade dass es solche Artikel
Schade dass es solche Artikel über diese Perle (meinen Geburtsort) geben muss. Ich zähle mich persönlich nicht zu den Befürwortern solcher Schreiben und ja, der Verfasser darf sich leider nicht verallgemeinernd auf alle ("die Tisner Bürger") beziehen. Das stimmt so nicht.
Bedenken kann und darf es geben, aber das ist sicher kein Grund Menschen die vor Krieg und Hunger flüchten von vornherein die Nase vor der Türe zuzuschlagen.
Schnell wird dabei vergessen, dass der eigene Unmut eigentlich auf anderem gründet: die Leute sind von Bürokratie, gefühlter (oder echter) Ungerechtigkeit, Vettern- und Misswirtschaft und dis-funktionaler Executive überfordert. Diesbezüglich muss ich auch manchmal tief durchatmen, aber leider führt es oft und bei vielen dazu, dass man sich den falschen Sündenbock sucht. Die Diebstähle hier in der Gegend sind sicher professioneller Natur, das hat aber mit Kriegs- und Wirtschaftsflüchtigen aus dem Nahen Osten und Afrika (noch) nichts zu tun. Um Flüchtlinge in Zukunft erfolgreich zu integrieren, bräuchte es allem voran schnellere Verfahren um diese Menschen in geregelte Arbeitsverhältnisse zu bringen, was bei den heutigen Zuständen noch ein schwieriges Thema ist. Nur dann kann die Integration für alle einen normaler Lauf annehmen, sodass (a) möglichst keiner auf die schiefe Bahn kommt und (b) bei der eigenen Bevölkerung kein Neid aufkommt (siehe Ohnmacht oben, das ergibt dann das Rezept für "wir werden gemolken, die anderen bekommen alles geschenkt").
Wenn wir ehrlich sind diese und andere Ursachen aber auch weit über das Dorf hinaus verbreitet. Mancherorts weniger, mancherorts mehr, in der Summe aber im ganzen Land Südtirol, in Italien, in Europa. Und alle sollten es aufgrund Ihrer eigenen Geschichte eigentlich besser wissen, nennen wir sie mal in umgekehrter Reihenfolge: ganz Europa, Italien, Südtirol und auch die kleine Fraktion Prissian in Tisens.
Problematisch ist an der Sache im Moment, dass in genau dieser Reihenfolge von oben nach unten die Verantwortung abgeschoben wird. Scheinbar ist auch die Politik von der Komplexität unserer Zeit überfordert. Auch scheint Sie vergessen zu haben, wer und was eigentlich die Legislative ist, die die Grundlagen für jede Art von Zusammenleben schaffen sollte.
Man hätte vonseiten der
Man hätte vonseiten der Landesregierung schon ein wenig mehr Taktgefühl erwartet. Die Flüchtlinge müssen ja auch essen, trinken und sich kleiden, die Dorfgemeinschaft hat ja auch was davon wenn die dazu nötigen Geschäfte im Dorf genutzt werden, auch im Winter wenn es keine Touristen gibt.
Mir ist verständlich, dass
Mir ist verständlich, dass sich einige Leute Sorgen machen. Neues und Unbekanntes ist meistens mit Ängsten verbunden. Diese Ängste und Sorgen dürfen aber nicht verstärkt und instrumentalisiert werden, was jetzt anscheinend passiert. Es ist zwar nichts Neues, dass Gemeinden sich wehren, wenn sie etwas übernehmen sollten: z. B. Müll, Psychisch Kranke, u. a. m. Wenn ich mich richtig erinnere, hat Prissian/Tisens - sind ja nur einen Km auseinander - schon einmal eine Reha für Psychisch-Kranke abgelehnt. Dafür kam dann aber die Herz-Reha.
Meines Wissens wird die vorgesehene Struktur von der Caritas geführt. Die wird sicher mit der Pfarrei und den Dorfvereinen zusammenarbeiten. Leute, die gerne für die Mission in Afrika gespendet und dann sich über Fotos von den netten "Negerlein" gefreut haben, können jetzt sich über die inzwischen Erwachsenen Afrikaner freuen, vor denen kein Kindergarten-Kind und auch nicht die Tanten und Mütter Angst haben müssen.
Also bin ich zuversichtlich, dass die Prissianer/Tisner das schon meistern werden. Die Prissianer haben ja eine bestimmte Übung darin: zuerst das Nobelhotel Tirolensis, das dann doch nicht die Erwartungen erfüllt hat und jetzt ein Residenzhotel ist. Dann die Pleite des Parkhotels, das dann das Land angekauft hat. Aber auch Reha-Patienten wollte ihnen anfangs nicht schmecken bis sie gewahrten, dass auch das bezahlenden Gäste sind. Dann wurde auch das Rehazentrum Salus integriert. Nach anfänglicher Skepsis, werden sie auch die Flüchtlinge - die neuen Gäste des Parkhotels - integrieren und sich über die Buntheit freuen. Der Ladenbetreiber wird sehen, dass auch die Neuen Zigaretten u. a. kaufen werden. Und die Urlaubsgäste kennen die internationale Buntheit einerseits von Zuhause und von Massen-Tourismus-Orten am Meer.
Die Gastwirte können sich auch ein Beispiel von den sizilianische Touristenorte Lampedusa und Pozzallo nehmen, wo die meisten Flüchtlinge ankommen, der Tourismus fast zum Erliegen gekommen ist, und sie trotzdem nicht über die Flüchtlinge klagen und weiterhin gastfreundlich bleiben. Ein Beispiel kann sich auch der Bürgermeister von seinem Meraner Kollegen nehmen, der die "neuen Gäste" willkommen heißt. Sicher ist es in der Stadt leichter.
Prissianer/Tisner denkt daran, diese meist jungen Männer kommen nicht als Invasoren, sondern als gebeutelte und verunsicherte "Fremde", die eure christliche Gastfreundschaft bitter nötig haben!