Cultura | Ausstellung

Existenz und Zweifel

Installation von Benjamin Tomasi in Brixen

Brixen, Kloster Neustift, Engelsburg. Das imposante Anwesen des Augustinerstiftes, die ihn umgebenden Rebstöcke, die Wirtschaftsgebäude, all das strahlt Herrschaftlichkeit und Ordnung aus. Hier regieren immer noch die Chorherren wie im Mittelalter, und doch ist es ein Ort geworden, der viel Weltliches birgt: neben Kursen und Fortbildungen gibt es dort eine Mittelschule und ein Schülerheim. Ein Café und ein Klosterladen vermarkten die Idee des Klosterlebens geschickt: "Vom einfachen Leben mit der Natur. Persönliche Einblicke in Klosterwelten" heißt ein Buch, das auf hoch aufgestapelt im Geschäft angeboten wird. Mit den Tees, selbstgemachten Marmeladen und Kosmetika aus anderen Klöstern sowie den Weinen aus der hauseigenen Kellerei rollt der Rubel. In diesem klösterlichen Erlebnispark steht ein rundes Gebäude aus romanischer Zeit, die "Engelsburg". Früher hatte sie ihre Funktion als Hospizkapelle oder schützende Torkapelle und als Pilgerziel, heute ist sie umfunktioniert zum Präsentationsraum zeitgenössischer Kunst.
Ebendieser erreicht BesucherInnenzahlen, von denen Galerien und andere Kunsträume nur träumen können: seit der Eröffnung im Juli zählte die Ausstellung von Benjamin Tomasi 2323 Gäste.

Mit Sicherheit war es eine Herausforderung, diesen Raum zu bespielen. Die eingeladenen KünstlerInnen müssen sich an einen "gewissen Rahmen" halten, dh. die bauliche Substanz, das Gebäude selber nicht zu sehr in den Hintergrund drängen. Benjamin Tomasi (*1978, Bozen) hat dies in sensibler Manier gelöst. Seine dreiteilige Installation drängt sich dem Raum nicht auf, sondern schmiegt sich an, hält sich dezent. Sie spielt mit den Elementen, die zum Edelsten des klösterlichen Lebens gehören, der Meditation, dem Geistigen, der Suche nach Spiritualität.
Auffällig viele runde Formen hat der Künstler in dieser Ausstellung verarbeitet. Der Kreis, den das Gebäude bereits vorgibt, wird innen verdoppelt, vervielfacht. Konzentrische Kreise symbolisieren im Buddhismus die Stufe der höchsten Erleuchtung, die Harmonie aller geistigen Kräfte. Im Christentum steht er für die Unendlichkeit, das Ewige.


                                         Ausstellungsansicht

Von den materialisierten Sinnbildern des gedrehten Seilstranges zu den im Kreis angeordneten, mit Moos bedeckten Eisenbänken schraubt sich die Ausstellung hoch und hinein in den für die Ausstellung zentralen Raum, wo der/die BesucherIn zuallererst nichts sieht. Die Anweisung von Andreas war am Eingang, "man muss mindestens 6 Minuten in dem Raum verbringen, und dabei auf seine Gefühle achtgeben." Naturgegebenermaßen halten sich Menschen ungern an solche Ratschläge, besonders wenn sie nichts in sich zu suchen und zu finden gedenken, wie man den durchhastenden Touristen unterstellen könnte - aber das muss man auch nicht unbedingt. Denn Tomasi spielt mit allen unseren Sinnen, die Erfahrung verbindet das Außen mit dem Innen.

Vor allem wirkt anfänglich die Verwirrung des Visuellen. Die Ausmaße des Raumes sind mit den Augen nicht erkenntlich, die einzige Lichtquelle ist ein schmaler Streifen, der wiederum in Längsteile gebrochen ist und sich im bewegten Flimmern entzieht. Bei näherem Hinblick erzählt er die Geschichte eines fernen, allzu fernen Horizonts. Dazu kommt ein pochendes Geräusch, das wie eine Art Projektor in der Ferne klingt, viel schneller als der eigene Herzschlag, unruhig. Die Geschichte vom platonischen Höhlengleichnis drängt sich auf, das ferne Licht, die Unschärfe der Wahrnehmung, das Höhlenartige des Raumes.

Tomasi bietet uns hier an, eine Erfahrung zu machen, die jenseits von angenehm liegt. Dunkelheit, Unwissenheit, die gleichzeitige Aktivierung der oft so vernachlässigten Sinne wie Tast- und Hörsinn. Hier drinnen wird nicht entspannt, und auch nicht erlöst. So könnte der Anfang oder das Sprungbrett aussehen einer Selbstsuche auf der Welt - denn ist es nicht so, dass nur die reale Erfahrung von Dunkelheit und Verlorenheit uns zur Erkenntnis von Höherem verhelfen? Oder es könnte ein Moment sein im mittendrinnen, oder im schlimmsten Fall dem Ende oder eines der möglichen Enden dieser Suche: Gott hat sich verzogen, jetzt stehen wir alleine im Dunkeln.

Es ist ein Raum, der den Zweifel materialisiert. Schon Augustinus (4./5.Jh. n. Chr.), der Urvater auch dieses Stiftes, hat sich über den Zweifel Gedanken gemacht: "Wenn ich mich nämlich täusche, dann bin ich. Denn wer nicht ist, kann sich natürlich auch nicht täuschen; und demnach bin ich, wenn ich mich täusche. Weil ich also bin, wenn ich mich täusche, wie sollte ich mich über mein Sein irren, da es doch gewiß ist, gerade wenn ich mich irre. Also selbst wenn ich mich irrte, so müßte ich doch eben sein, um mich irren zu können, und demnach irre ich mich ohne Zweifel nicht in dem Bewußtsein, daß ich bin. Folglich täusche ich mich auch darin nicht, daß ich um dieses mein Bewußtsein weiß. Denn so gut ich weiß, daß ich bin, weiß ich eben auch, daß ich weiß." Gezweifelt wurde damals zwar am Selbst, an Gott aber (offiziell) noch nicht.

Als Kontrastprogramm lassen die Lichtstrahlen die Farben des wenig entfernten Kirchenschiffes in der barocken Stiftskirche leuchten. Die Säulen an dessen Eingang sind aus farbigem Stein, zartes Rot, Gelb, Blau, genau wie das dicke Seil von Tomasi. Mit Salzkristallen überzogen, glitzert es unter den Lampen fast wie Edelsteine. Gleichzeitig klebt es wie eine Verunreinigung daran. Assoziationen an einen DNA-Strang oder dem Salz als Vanitas schlägt der Künstler vor.
Einen Stock höher kommt ein anderes natürliches Material zum Einsatz: das Moos, jetzt leider getrocknet, sodass sogar der Geruch verschwunden ist, aber in konserviertem Grün schimmernd. Suspendiertes Moos. Würde man es gießen, würde es wieder zum Leben erweckt werden, so Andreas. "Moos stirbt nicht". Damit sind wir also ein weiteres Mal beim Unendlichen angelangt, bei der Idee des Göttlichen. Gleich im Anschluss empfängt den/die BesucherIn der Raum des Zweifels.

Die Ausstellung ist noch bis zum 11.10. geöffnet.
Mo-Sa 11-17 Uhr
Augustiner Chorherrenstift Neustift in Brixen - Engelsburg
Kuratorin: Susanne Barta