Grüne Wirtschaft: Samen treiben lassen

Klaus Egger und Christoph Moar von der Grünen Wirtschaft haben bei der Landtagswahl gemeinsam 1.246 Stimmen eingefahren. „Wir mussten ein Projekt von 0 auf 100 schrauben“, sagt Egger zu salto.bz im Interview. "Es ist zu entscheiden, was die Partei will, ein reines Schmuckwerk werden wir nicht sein."

Herr Egger, Ihr zweites erklärtes Wahlziel war ein Platz unter den Top Ten der Partei. Ziel verfehlt. War das Schlagwort Grüne Wirtschaft im Wahlkampf zu wenig greifbar?
Das kann sein, ich weiß es nicht. Spätestens Ende September habe ich zumindest gemerkt, dass dieses Thema medial nicht interessant genug ist. Als wir Anfang September unsere Pressekonferenz mit den Ergebnissen unserer Arbeit präsentierten, hatte ich schon die Hoffnung, dass einige Medien mehr darüber berichten würden. Speziell „Grün“ und „Wirtschaft“ hätte, so dachte ich mir das, doch reizvoll genug sein müssen. Dem war aber nicht so und auch in den darauffolgenden Wochen war es so gut wie unmöglich, mit unseren Themen und Vorschlägen medial präsent zu sein. Ob sich durch mehr Präsenz am Wahlergebnis was geändert hätte, kann ich schwer einschätzen.

Trotzdem – es sind bei diesen Landtagswahlen 1.246 Stimmen für die Grüne Wirtschaft eingegangen. Christoph Moar erreichte Platz 14, Sie Platz 15. Die Grünen sind stark wie nie. Vielleicht gerade weil die Wirtschaft positioniert wurde?
Diese ganzen Stimmen sind für die Partei eine ehrliche Genugtuung. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass jede unserer Stimmen eine Stimme für eine korrekte und faire politische Arbeit war. Im Gegensatz zu manch anderer Partei, die einfach Proteststimmen gegen die SVP eingefangen hat.

Aber…?
Wenn man sich die ganzen Menschen ansieht, die vor Christoph Moar und mir gereiht wurden, dann wurden sicherlich nicht explizit Wirtschaftsnoten verteilt. Das wäre aber auch komplett unlogisch gewesen. Riccardo Dello Sbarbo, Hans Heiss oder Brigitte Foppa wurden für die exzellente Arbeit belohnt, die sie in den letzten Jahren geleistet haben. Und das waren hauptsächlich ökosoziale Themen. Wenn wir den Energiebereich außer Acht lassen.

Ist Ihnen die Zeit im Wahlkampf zwischen den Fingern zerronnen?
Sicherlich, es war verdammt knapp das Projekt in fünf Monaten von null auf hundert zu bringen. Unter anderem auch, weil dieses Vorurteil von Grün und Wirtschaft erst einmal ausgeräumt werden musste. Wir mussten also doppelt arbeiten. Abbau der Vorurteile, Voranbringen der Themen.

Es war verdammt knapp das Projekt in fünf Monaten von null auf hundert zu bringen. Unter anderem auch, weil dieses Vorurteil von Grün und Wirtschaft erst einmal ausgeräumt werden musste.

Sie und Christoph Moar machen sich für eine andere Form des Wirtschaftens stark.
In allen Verfassungen der demokratischen Länder dieser Welt steht geschrieben, dass „die Wirtschaft“ dem Gemeinwohl zu dienen hat. Nun kann man darüber diskutieren, was dieses Gemeinwohl ist, aber sicherlich versteht man darunter nicht ein Auspressen von Menschen und Ressourcen, um am Ende erwirtschaftete Geldmittel in die Finanzwirtschaft zu pumpen. Wir wollen mehr, es soll nicht mehr nur von „der Wirtschaft“ gesprochen werden.

Die „Kleinen“ sollen in den Blickpunkt rücken?
In Europa haben 99 Prozent der Betriebe bis zu 250 Mitarbeitern. Noch verblüffender ist die Tatsache, dass von diesen Betrieben 90 Prozent weniger als zehn Beschäftigte haben. Die Hauptstützen der europäischen Wirtschaft sind somit Klein- und Kleinstunternehmen. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um das bestgehütete Geheimnis der EU. Wie sonst kann man sich erklären, dass die großen Konzerne und die Lobbys das gute und schlechte Wetter machen? Also haben wir in der Realwirtschaft schon mal zwei komplett unterschiedlich laufende Wirtschaftstypen. In Südtirol gehen die Zahlen noch klarer in Richtung Kleinstbetriebe. Die Südtiroler Wirtschaft besteht aus Betrieben, die im Durchschnitt 3,2 Personen beschäftigen. Das heißt jetzt nicht, dass ich gegen größere Betriebe bin. Diese brauchen wir genauso. Diese sind aber nur ein Rädchen im Kreislauf. Wenn wir die Wichtigkeit der kleinen Betriebe erst mal anerkennen, können wir auch die Spielregeln für diese ändern, zum Positiven.

Die Hauptstützen der europäischen Wirtschaft sind somit Klein- und Kleinstunternehmen. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um das bestgehütete Geheimnis der EU.

S​üdtirol verkennt seine Stärken?
Wir haben in Südtirol eine unglaublich große Chance. Durch unsere ganz spezielle Geschichte haben wir eine dezentrale Wirtschaftsstruktur aufgebaut. Die Gesetze des Staates und der EU konnten lange Zeit wenig bei uns anrichten. Durch die Krise hat sich alles geändert und die Mauern bröckeln. Durch unsere Ausgangslage hätten wir aber nun die Riesenchance der Welt zu zeigen, was wirklich ehrliche, regionale Kreisläufe sind. Denn Vieles von dem, was uns Marketing und Politik in Südtirol vorzeigen, ist nicht regional. Viele unserer Qualitätsmarken „aus Südtirol“ sind perfekt verpackte Mogeleien. Wenn das Grundprodukt aus Holland kommt, ist es nicht regional. Wenn das Kraftfutter für die Kuh aus Peru kommen muss, ist das nicht regional. Wenn die Bäcker Fertigteigmischungen aus Osteuropa benutzen dürfen, ist das nicht „Südtiroler Qualität“.

Südtiroler Schummeleien?
Hier wird gezogen und geschoben, um eine Idylle aufrechtzuerhalten, die es, wenn wir nicht aufpassen, bald nicht mehr gibt. Dann braucht man eine EOS, mit Steuergeldern finanziert, die es diesen Betrieben ermöglicht in die Welt hinaus zu exportieren. Da läuft doch etwas falsch! Wir hätten zu wahrer Regionalität alle Voraussetzungen, müssten aber mal damit beginnen ehrlicher mit uns umzugehen.

Einmal mehr Unehrlichkeit im Land? Es fehlt das Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben?
Es gibt Menschen in unserem Lande, die an uns glauben und das ist ein unglaublich schönes Gefühl. Die unsere Auffassung von Wirtschaft teilen. Die große Frage ist, ob wir irgendwann die kritische Masse erreichen, um Änderungen herbeizuführen. Genau genommen wäre das der Auftrag der Wählerstimmen, auf diesen Moment hinzuarbeiten. Ob wir das auch können, steht auf einem anderen Blatt.

Sie klingen etwas resigniert. Aufgeben – oder weiterziehen?
Wenn wir von der Arbeitsgruppe „verdECOnomia – Grüne Wirtschaft“ sprechen, kann und will ich diese Frage nicht beantworten. Die Arbeitsgruppe gehört ja nicht mir. Wenn die Partei diesen Flügel weiter aufbauen möchte, könnte sie das auch ohne mich machen. Für mich persönlich ist die Frage heute auch noch ein wenig schwierig. Nachdem das Wahlwunder ja nicht geklappt hat, sind die zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten ja weiterhin die, die sie vorher waren. Und somit ist eine Arbeit in Ausmaß der letzten Monate schwer möglich. Ich betreibe ja noch zwei weitere Firmen und meine Familie hatte die letzten Monate auch nicht gerade viel von mir. Dann kommt noch hinzu, dass ich gewisse Tätigkeiten meiner Kommunikationsfirma, wie zum Beispiel die politischen Interviews, die politischen Coachings, nicht mehr machen könnte. Ich würde also auf Vieles verzichten für einen unsicheren Ausgang. Und trotzdem, der Reiz weiter zu machen ist schon da, das kann ich nicht leugnen.

Nachdem das Wahlwunder ja nicht geklappt hat, sind die zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten ja weiterhin die, die sie vorher waren. Und somit ist eine Arbeit in dem Ausmaße der letzten Monate schwer möglich.

Eine klare Positionierung der Partei steht an?
Ja, es ist zu klären, welchen Stellenwert die Grüne Wirtschaft innerhalb der Partei Verdi Grüne Vёrc bekommt. Ist die Partei bereit, weiter von links in die Mitte zu rücken? Ist sie bereit, auch bei kritischen Wirtschaftsthemen, sich zuerst intern abzustimmen, um dann vielleicht auch mal einen Konsens zu suchen, der auch ein Stück weit weg von den gängigen Antworten sein kann? Denn eines ist klar: Wenn die Grünen die Grüne Wirtschaft wollen, müssen sie auch gewisse wirtschaftliche Realitäten besser und stärker wahrnehmen. Ein reines Schmuckwerk werden wir nicht sein. Die Fragen stehen in den nächsten Tagen und Wochen an. Mit uns als Arbeitsgruppe und mit der Partei. Dann sehen wir weiter.