Politica | Nachruf

Gewissen des Landes

Am 29. Oktober 2015 verstarb Franz Thaler im Alter von 90 Jahren. Anlässlich seines ersten Todestages, der Nachruf zur Erinnerung.
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Foto: Othmar Seehauser

Allein durch seine Existenz und seine Art hat er diesem Land und seinen dunklen Seiten den Spiegel vorgehalten. Eine Würdigung.

Lassen Sie mich ganz zu Beginn unbescheiden sein. Ich bin ein bisschen stolz. Immer dann, wenn wir uns getroffen haben, hat er gelächelt und mit seiner ungewöhnlich hohen Stimme und dem breiten Sarner Dialekt gemeint: „Na, der Franceschini, grieß di“.
Es war nicht der stuffierte, scheinheilige Ton der Politiker oder Wichtigtuer, mit denen man es alltäglich zu tun hat, sondern die Freude war echt. Auch im hohen Alter blinzelten seine Äuglein noch so wach wie sonst nur bei jungen Menschen.
Jedes Mal, auch beim Schreiben dieser Zeilen, denke ich an die erste Begegnung mit Franz Thaler. Es ist fast 30 Jahren her. Mitgenommen hat mich der Mann, der für Franz Thaler und die Wiedergutmachung in diesem Land mehr getan hat als alle Politiker und Betbrüder zusammen: Leopold Steurer.
Die Stube in Reinswald und Franz Thalers Worte, die so einfach und so schwer gleichzeitig waren. Vor allem aber seine Haltung: nicht verbittert, hasserfüllt oder desillusioniert, sondern lebensfroh, nach Verzeihung suchend. Aber gleichermaßen wachsam und klar und linear, das jedes Wort wie ein Rasiermesser schnitt.
Das war die Stärke dieses hageren Federkielstickers aus dem Sarntal. Seine stille, stoische Haltung. Allein sein Sein, das jahrzehntelang diesem scheinheiligen und verlogenen Land den Spiegel vorgehalten hat. Franz Thaler war das lebende Mahnmal für die schrecklichen Sünden, die auch Südtirol und die Südtiroler fünfzig Jahre zuvor begannen hatten. Er war das schlechte Gewissen für alle jene, die so zahlreich den Nazis nachgelaufen waren.
Und das hat man ihn Zeit seines Lebens spüren lassen.

„Er war das schlechte Gewissen für alle jene, die so zahlreich den Nazis nachgelaufen waren. Und das hat man ihn Zeit seines Lebens spüren lassen.“

Heute ist Franz Thaler einer der wichtigsten Südtiroler. Er ist ein Held. Doch das sind die letzten 25 Jahre seines Lebens. Davor wurde er in und von diesem Land behandelt wie der letzte Dreck.
Nach dem Krieg hieß es zusammenhalten. Es galt die Reihen wieder zu schließen. Magnagos Devise „lei net rogeln“ war ein Dogma. In der SVP saßen der Widerständler Fried Volgger und der SOD-Mann und Nazi Franz Runge Schulter an Schulter in Landtag und Parteiausschuss. Verfolgter und Verfolger. Jetzt vereint im Volkstumskampf gegen Rom. Plötzlich waren wieder die Ritterkreuzträger an der Macht.
Für einen wie Franz Thaler war da kein Platz. Er sollte still sein und ja nicht auffallen. Das offizielle Südtirol tat alles, damit diese Menschen, die einiges über manche Teilnehmer der honorigen Gesellschaft im Nachkriegssüdtirol erzählen konnten, keine Stimme bekamen.
Die Athesia, die sich seit Jahren als Gralshüter des Südtiroler Widerstandes positioniert hat, war damals Garant dafür, dass sich keiner der Südtiroler Widerständler aus seiner Stube traute. Josef Rampold und seine Gesinnungsgenossen prügelten jahrzehntelang in Randbemerkungen und auf den Leserbriefseiten auf Franz Thaler & Co ein. Im medialen preußischen Stechschritt wurden jeder niedergewalzt, der auch nur ansatzweise die „damalige Pflichterfüllung“ in Frage zu stellen wagte.
Kaum jemand stand damals diesen Menschen bei, die damit ein zweites Mal öffentlich verhöhnt wurden.
Das hat man anscheinend alles vergessen.

Vergessen hat man auch, wer für die Rehabilitation von Franz Thaler gesorgt hat. Ähnlich wie bei Josef Mayr-Nusser sind plötzlich alle da, um den großen Südtiroler zu würdigen. So als hätten sie Seite an Seite mit ihm gegen das Unrecht gekämpft.
Doch die großen Verlage, die Politik und alle jene, die Geld und Macht hatten, interessierten sich für Franz Thaler und seine Geschiche 40 Jahre lang überhaupt nicht. Es waren ausgerechnet ein paar junge Linke, die aus dem Südtiroler Kulturzentrum hervorgegangene „edition sturzflüge“, die 1988 Franz Thalers Lebensgeschichte herausbrachten. Dominikus Andergassen, David Casagrande, Georg Engl und allen voran Leopold Steurer haben dem KZ-Häftling und Deserteur jenen Raum gegeben, in dem er seine Geschichte erzählen konnte.

„Josef Rampold und seine Gesinnungsgenossen prügelten jahrzehntelang in Randbemerkungen und auf den Leserbriefseiten auf Franz Thaler & Co ein.“

Dass es Jahre später der kleine neugegründete Raetia-Verlag ist, der Thaler „Unvergessen“ wieder auflegt und „zum wichtigsten Buch der Südtiroler Nachkriegsgeschichte“ (Heinrich Schwazer) machte, sagt mehr über das offizielle Südtirol aus, als es den heutigen Krokodilstränen-Vergiesern recht sein dürfte.

Franz Thalers große Lebensleistung ist es, dass er sich als 17jähriger gegen ein totalitäres Regime aufgelehnt hat. Dass er am Rande des Todes in Dachau und Flossenbürg sich Menschlichkeit und Überlebenswillen bewahrt hat. Bewundernswert ist aber auch die Distanz und Gelassenheit, mit der er seine plötzliche Beförderung zur Ikone des Südtiroler Widerstandes mitgemacht hat.
Franz Thaler ist der einfache, direkte und humorvolle Mensch geblieben, der er war. Der Mensch hatte zuviel erlebt und mitgemacht, als dass er sich von zu viel Weihrauch betören ließ.
Arno Kompatscher hat sich als erster Landeshauptmann bei den Südtiroler Wiederstandkämpfern und -kämpferinnen bedankt und verneigt. Franz Thaler hat diesen Schritt des offiziellen Südtirol noch miterleben dürfen.
Das ist ein Trost. Denn der einfache Mann aus dem Sarntal hat für diese Südtirol weit mehr getan, als ganze Politikergenerationen zusammen.
Franz Thaler hat gezeigt, dass man nicht immer den Schafen nachlaufen darf, sondern es auch einen anderen Weg gibt, der ans richtige Ziel führt. Man muss nur den Mut aufbringen, diesen zu gehen,
Danke und Pfieti Franz!

„Franz Thaler hat gezeigt, dass man nicht immer den Schafen nachlaufen darf, sondern es auch einen anderen Weg gibt, der ans richtige Ziel führt.“

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Karl Trojer Sab, 10/31/2015 - 11:03

Dieser Franz Thaler hat viel Liebe ausgestrahlt, gelebt und gegeben. Er war demütig, verantwortungsvoll und nicht nachtragend. Ihm in Sarnthein und in Bozen einen Platz oder eine Straße zu widmen, erschiene mir angemessen. Danke Franz !

Sab, 10/31/2015 - 11:03 Collegamento permanente