Economia | Erneuerbare Energie

„Ein absolutes Versäumnis“

Südtirol setzt mit seinem Klimaplan auf erneuerbare Energien wie Wasserkraft, Fernwärme und Solar-Energie. Eine Ressource wurde allerdings „vergessen“, nämlich Biogas.
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Foto: Armin Huber
Vor Kurzem ist in der Biogasanlage Wipptal bei Sterzing die Produktion von LNG angelaufen, der Treibstoff wird derzeit nach Deutschland geliefert, unter anderem deshalb, weil die hauseigene Tankstelle zwar betriebsbereit ist, sich die Genehmigungsprozedur allerdings wesentlich verzögert hat, wie Manfred Gius, seit 2021 Geschäftsführer der biwi, im Interview mit Salto berichtet. 
 
salto.bz: Herr Gius, vergangene Woche haben Sie die erste Lieferung von Bio-LNG nach Deutschland geliefert. Für wen produzieren Sie? 
 
Manfred Gius: Das Bio-LNG ist für den deutschen Gas-Distribuenten GasCom Equipment GmbH bestimmt, der unter anderem die Europäische Raumfahrtbehörde beliefert, und zwar mit Treibstoff für die Ariane-Raketen. Bis das im Wipptal produzierte LNG aber tatsächlich als Raketen-Treibstoff verwendet werden kann, müssen noch einige Qualitätsprüfungen vorgenommen werden. Übrigens haben wir nicht nur den ersten Tanklastwagen mit LNG ausgeliefert, sondern auch die erste Lieferung von CO2, das in der Lebensmittelproduktion verwendet wird.
 
 
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Biogasanlage Wipptal: Aus Gülle und Mist werden Energie, LNG, CO2 und Dünger hergestellt. (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Die Anlage funktioniert bereits mit voller Auslastung? 
 
Die Anlage funktioniert inzwischen reibungslos und zur vollen Zufriedenheit, allerdings noch nicht mit der vollen Auslastung. Wir sind ungefähr bei 70 Prozent der möglichen Kapazität. Auch unsere Produktionsschritte müssen noch optimiert werden. Zwar haben wir seit vergangenem Jahr 35 neue Lieferverträge mit Bauern aus dem Wipptal, aber auch aus der Brixner Gegend, aus Natz-Schabs und Vintl abschließen können, die volle Verarbeitungskapazität haben wir aber noch nicht ausgeschöpft. Interesse ist aber vorhanden, was man auch an den Anfragen ablesen kann. Deshalb sehen wir der Zukunft sehr zuversichtlich entgegen.
 
 
Wir sind ungefähr bei 70 Prozent der möglichen Kapazität.
 
 
In Ihrer Pressemitteilung kritisierten Sie die schleppende Bürokratie. 
 
Seit rund einem Jahr arbeiten wir daran, die Benutzungsgenehmigung für die betriebsbereite Tankstelle zu erhalten. Ursprünglich wäre geplant gewesen, eine öffentliche Tankstelle zu errichten, von der Gemeinde Pfitsch haben wir allerdings nur die Genehmigung für eine Haustankstelle erhalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die biwi über fünf eigene Fahrzeuge verfügt, die mit LNG betankt werden können – die wir aber nicht haben. 
 
Sowohl Iveco Gasser als auch die Frächterfirmen TransBozen und Fercam sind an der biwi beteiligt. Zählt der Fuhrpark der Gesellschafter nicht? 
 
Leider nein. Deshalb haben TransBozen und Fercam eine eigene Genossenschaft gegründet, an welche die Tankstelle nun verpachtet wurde. Damit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, eine entsprechende Lizenz zu beantragen. Vor enorme Herausforderungen haben uns aber auch die Bestimmungen zum Brandschutz und die Arbeitssicherheit gestellt. Aufgrund der hohen Lagerkapazität von LNG wurden wir in dieselbe Kategorie wie große Raffinerien und Gas-Speicherwerke eingestuft. Um die Brandschutzbescheinigung zu erhalten, war ein erheblicher Aufwand notwendig. Aber nun sind wir auf der Zielgeraden. 
 
Ursprünglich im Wipptal heftig kritisiert, scheint das Interesse und die positive Stimmung an der Biogasanlage zuzunehmen. Ernten Sie nun die ersten Früchte der Aufklärungsarbeit? 
 
Wir setzen uns eingehend mit dem Thema Aufklärung auseinander, so bieten wir interessierten Schulklassen Führungen an. Meiner Meinung nach beginnt alles bei der Sensibilisierung und bei der Aufklärung im Schulalter. Natürlich legen wir unser Hauptaugenmerk auf die Schulen mit landwirtschaftlicher Ausrichtung, sei es Viehwirtschaft wie auch Obst- und Weinbau. Diese Schüler werden in ihrem späteren Leben nämlich direkt mit dieser Materie konfrontiert sein, aber auch anderen Interessierten stellen wir gerne unsere Anlage vor. So hatten wir vor Kurzem einen interessanten Austausch mit einer Bauern-Ortsgruppe aus Bozen-Gries, in welchem es vor allem um die Düngung bzw. die Ausbringung des Düngers in den Obst- und Weinbaufeldern ging. Wir produzieren nämlich nicht nur Biogas und Co2, sondern auch Dünger in fester und flüssiger Form. 
 
 
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Manfred Gius, Geschäftsführer der biwi: „Es wäre wünschenswert, wenn die Bedeutung der Produktion von Biogas auch im Klimaplan ihren Niederschlag finden würde.“ (Foto: Armin Huber)
 
 
In Südtirol soll die Ausbringung von mineralischem Kunstdünger zukünftig verboten werden, spüren Sie bereits die Auswirkungen? 
 
Unser Resümee für die heurige Frühjahrssaison fällt positiv aus. Es ist zwar noch Luft nach oben, die Verkaufszahlen sind im Vergleich zu den letzten Jahren aber deutlich gestiegen. Natürlich kommt uns dabei auch zugute, dass die Bauern weg vom Kunstdünger wollen bzw. müssen. Schwierig wird es allerdings, wenn man einerseits eine Veränderung will, aber man nicht von alten Gewohnheiten abrücken möchte. Hier müssen wir sicherlich auch noch bei den Bauern viel Aufklärungsarbeit leisten. 
 
Inwiefern besteht hier Aufklärungsbedarf? 
 
Manche Bauern wollen nach wie vor den Dünger auf gewohnte Art und Weise ausbringen, indem sie ihn mit einem Düngerstreuer auf ihren Obstwiesen und Weinfeldern verteilen. Bei einem Feld mittlerer Größe benötigen sie dafür rund zwei Stunden. Die Ausbringung unseres Düngers ist allerdings zeitintensiver und kann schon rund einen halben Tag in Anspruch nehmen. In den Diskussionen sind einige der Meinung, dass das ein zu hoher Aufwand ist, andere wiederum sind sich sehr wohl im Klaren darüber, dass, wenn man Veränderung will, irgendwo anfangen muss bzw. dass man bei sich selbst anfangen muss. 
 
Jüngst hat sich der Südtiroler Energieverband SEV dafür ausgesprochen, Biogas als erneuerbare Energieform auch in den Klimaplan mit aufzunehmen. 
 
Die Biogasanlagen haben in Südtirol keine Lobby, der Energieverband ist das einzige Sprachrohr, mit dem sie Anliegen an die Öffentlichkeit bringen können. Die Biogasanlage Wipptal ist wie alle anderen Anlagen Mitglied im Südtiroler Energieverband. Ich bin als Sprecher der Biogas-Anlagen im Beirat vertreten, wo ich versuche, mein Wissen und meine Erfahrungen einzubringen. In der Stellungnahme zum Klimaplan, die allen zuständigen Landesämtern übermittelt wurden, habe ich meinen Input eingebracht. Es wäre wünschenswert, wenn die Bedeutung der Produktion von Biogas auch im Klimaplan ihren Niederschlag finden würde. Das wäre die Basis bei zukünftigen Investitionen in puncto Nachhaltigkeit und Klimaschutz und den entsprechenden Landesförderungen. 
 
 
Überspitzt formuliert zeigt sich hier auch die Inkompetenz der Verfasser.
 
 
 
Ihrer Meinung nach ein Versäumnis der Landesregierung? 
 
Das ist ein absolutes Versäumnis, wenn man es mit dem Klimaplan ehrlich meint. Überspitzt formuliert zeigt sich hier auch die Inkompetenz der Verfasser. Man kann nicht einen Klimaplan formulieren, den Status quo darin beschreiben bzw. jene Projekte beschreiben, die ohnehin realisiert werden, aber einen Sektor, in dem sehr viel Potential steckt, einfach ignorieren. In welchen Bereichen kann Südtirol sein Potential an regenerativen Energien ausschöpfen? Der Wasserkraftsektor ist mittlerweile bereits sehr gut ausgebaut. Einiges an Potential ist sicher noch vorhanden, das würde allerdings massive Eingriffe in die Umwelt nach sich ziehen. Auch im Bereich der Solarenergie wäre viel Potential vorhanden, zieht man die Industrieflächen in Betracht. Aber auch im Biomasse- und Bio-Energie-Sektor gibt es noch viel ungenutztes Potential. Dass sich das im Klimaplan nicht wiederfindet, halte ich schlichtweg für leichtfertig. Eine wichtige erneuerbare Energiequelle wird ignoriert, wie auch die Tatsache, dass sie einen doppelten Nutzen bringt. Wir erzeugen nicht nur Energie, sondern sind in der Lage, die schädlichen Umweltbelastung der Landwirtschaft zu reduzieren und damit vor allem der Milchwirtschaft einen enormen Vorteil zu verschaffen. Wir streben diesbezüglich auch eine Zusammenarbeit an, weil wir uns sehr wohl der Problematik rund um die intensive Viehhaltung und den daraus resultierenden Problemen wie beispielsweise dem Nährstoffüberschuss bewusst sind. Wir können sicher nicht alle Probleme lösen, wir hätten aber die Möglichkeit, Teil der Lösung zu sein. Viele Umweltproblematiken, die durch die Landwirtschaft verursacht werden, könnten mithilfe von Biogas-Anlagen gelöst werden. 
 
 
Viele Umweltproblematiken, die durch die Landwirtschaft verursacht werden, könnten mithilfe von Biogas-Anlagen gelöst werden. 
 
 
Hätten die Weichen für eine positive Sichtweise auf Biogas-Anlagen bereits vor Jahrzehnten gestellt werden müssen? Bevor sich die Südtiroler Berglandwirtschaft ausschließlich auf die Milchproduktion konzentriert hat und eine Eigendynamik in Gang gesetzt wurde, die zu einem hohen Viehbesatz und hohe Futtermittelzukäufe geführt hat? Mittlerweile sind Biogasanlagen mit dem Ruf behaftet, Nutznießer von Massentierhaltung zu sein. 
 
Worum geht es eigentlich in der ganzen Diskussion rund um den Viehbesatz oder den Futtermittelzukäufen? Diese Frage haben wir auch schon mit Vertretern der Sennereien erörtert. Wir wollen uns als Biogas-Anlage nicht zu politischen Entscheidungen wie der flächenbezogenen Landwirtschaft äußern. Sämtlicher Mist und sämtliche Gülle, die wir verarbeiten und energetisch nutzen – egal ob sie von einem Bauern mit einem geringen oder mit einem hohen Viehbesatz kommt – ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Durch die Vergärung in der Biogas-Anlage kann nicht nur das Nitratproblem reguliert werden – Nitrat führt im Übermaß ausgebracht zu einer Belastung des Bodens –, sondern auch das Methan-Problem. Daraus stellen wir nämlich unser Bio-LNG her. Durchschnittlich produziert eine Milchkuh 24 Tonnen Gülle pro Jahr, aus der 400 Kilogramm Methan bzw. LNG gewonnen werden können. Das ist beinahe exakt eine Tankfüllung für einen LKW, der damit 1.500 Kilometer weit fahren kann. Was die energetische Nutzung betrifft, und die ist für uns der Maßstab, spielt es keine Rolle, ob sich die Lieferanten an die Regeln des Flächenbesatzes halten oder nicht – wir können und wollen den Bauern nicht vorschreiben, wieviele Kühe sie halten sollen und wir werden uns dahingehend auch nicht äußern. Wenn ein Bauer morgen seine Stalltür schließt, dann ist das seine Entscheidung, wenn er sich fünf Kühe mehr anschafft und akzeptiert, dass er dann mit Konsequenzen rechnen muss, ist das auch seine Entscheidung. Darauf können wir keinen Einfluss nehmen. Hinterfragt man jedoch den Zweck der Nitrat-Richtlinie und die darauf fußende Viehbesatz-Regelung, muss man unweigerlich zum Schluss kommen, dass diese doch mehr als erfüllt ist, wenn der Bauer die Gülle nicht mehr in intensivem Maße ausbringt, sondern nur noch das, was das Grünland zum Wachsen benötigt und das ist das Hauptaugenmerk unserer Biogasanlage von Beginn an.
Bild
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Josef Fulterer Gio, 06/01/2023 - 06:05

Wie sieht die Klima-Bilanz der BIOGAS WIPPTAL aus, wenn man:
die unsinnigen Transporte der Grundfutter-Mittel über mehrere 100 km,
den Bau der im Verhältnis zur Futterfläche viel zu großen Ställe einbezieht,
die Transporte für das Einsammeln und die Verteilung der Gülle rechnet,
den Bau und den Betrieb der Anlage mit E C H T-D a t e n bewertet,
auch die öffentlichen Beiträge in der Berechnung einsetzt,
das erzeugte Gas für u n s i n n i g e s T r e i b e n in der Luft einsetzt???

Gio, 06/01/2023 - 06:05 Collegamento permanente