Politics | Notunterkunft

Bozner Kälte

Landesregierung und die Stadt Bozen haben eine Meinungsverschiedenheit rund um die Neuregelung von Kälte-Notunterkünften. Gegen gewisse Auflagen wehrt sich Bozen strikt.
sgombero novembre 2024
Foto: Comune di Bolzano
  • In der Debatte um die Neuregelung der Winternotunterkünfte in Südtirol stehen sich Stadt Bozen und Landesregierung mit konträren Positionen gegenüber. Während das Land von klar abgestimmten Maßnahmen spricht, sieht sich Bozen übergangen und überfordert. Streit gibt es vor allem um die neuen Kriterien für die Aufnahme obdachloser Menschen.

  • Bozen warnt vor Systemüberlastung

    Die Stadt Bozen übte in ihren Pressekonferenzen am 5. und 7. August scharfe Kritik an den geplanten Änderungen. Bürgermeister Claudio Corrarati und Sozialstadträtin Patrizia Brillo warnten davor, dass der aktuelle Vorschlag der Landesregierung gegen Vereinbarungen verstoße, die in vorherigen Arbeitsgesprächen mit Landesvertretern getroffen worden seien.

    Besonders die Abschwächung der Zugangskriterien wird von der Stadt als sicherheitspolitisch bedenklich eingestuft: Künftig soll ein Aufenthalt in Südtirol von vier Wochen als Vorzugskriterium genügen – bisher waren fünf Monate nötig. Die bislang verpflichtende Vorlage gültiger Ausweisdokumente und die Überprüfung von Personen auf laufende Strafverfahren, solle entfallen. In Bozen sieht man das als sicherheitspolitischen Rückschritt.

    Zudem sei vorgesehen, die Notunterkünfte früher zu öffnen – bereits am 1. November (am 1. November sei eine derartige Kälte noch nicht gegeben, wie Brillo anmerkt) statt wie bisher am 15. – und die Bettenzahl von 70 auf 90 zu erhöhen, diese weiteren 20 seien für extrem kalte Nächte gedacht. Bozen sieht hierin eine Verschiebung der Zuständigkeiten: Die Landeshauptstadt werde einmal mehr zur Hauptlastträgerin für ein komplexes, dynamisches Problem, ohne dass die Rahmenbedingungen mitgetragen oder abgestimmt worden wären.

    Bozen sei nicht gegen Solidarität oder Integration, wolle aber klare, praktikable und faire Rahmenbedingungen. Der Vorschlag des Landes, neben den 70 fixen Unterbringungsplätzen noch 20 weitere Plätze für „kalte Nächte“ bereitzustellen, stößt in Bozen auf Ablehnung. Es habe dabei Unklarheiten zwischen Corrarati und Landeshauptmann Arno Kompatscher gegeben, was Extremsituationen angeht. Laut Corrarati wäre das nicht Kälte allein, sondern Fälle wie Überschwemmungen, Erdbeben oder rekordhaft kalte Winter. Diese 20 weiteren Plätze wären demnach für „außergewöhnliche Notfälle“ vorgesehen, Kälteschutz sei eine Zweckentfremdung. Eine Notlage sei in erster Linie ein zeitbegrenzter Zustand. Die Stadt verweist auf Erfahrungen der letzten Jahre, bei denen aus temporären Notlösungen faktisch dauerhafte Strukturen entstanden seien. Das widerspreche dem eigentlichen Sinn von Notunterkünften. Bereits jetzt halten sich über 120 obdachlose Personen in Bozen auf, die im Freien schlafen. Die 70 geplanten Notunterkunft-Plätze seien damit bereits bei Beginn der Saison ausgeschöpft. Zusätzliche Zuweisungen lehnt die Stadt ab. Die Stadt will notfalls bei Vollauslastung des „Kältenotquartiers“ Ex-Lemayr, also ab dem 71. Fall, die Verantwortung an das Land übergeben, etwa durch Transport in andere Gemeinden oder durch Zuweisung an Landesstrukturen. Die Lösung für diese 20 weiteren Notplätze soll gemeinsam mit der Provinz gefunden werden.

  • Von links: Sozialstadträtin Patrizia Brillo, Bürgermeister Claudio Corrarati, Mobilitätsstadträtin Johanna Ramoser und Umweltstadtrat Marco Caruso: In der heutigen (7. August) Pressekonferenz kritisierte die Stadt Bozen abermals die angedachten, neuen Kriterien zwecks Notunterkünfte Foto: nmr/SALTO
  • Regelung wurde gemeinsam erarbeitet

    Soziallandesrätin Rosmarie Pamer widerspricht dieser Darstellung deutlich. Die neue Regelung sei in Abstimmung mit der Stadt Bozen entstanden, so Pamer. Es habe Sitzungen mit Bürgermeister Corrarati und Stadträtin Brillo sowie deren technischen Mitarbeitern gegeben. Die neuen Kriterien seien Ergebnis dieses Dialogs, nicht einseitige Entscheidung.

    Die 20 zusätzlichen Plätze sollen bei Extremsituationen wie Eiseskälte aktiviert werden. Der Zivilschutz könne dann temporäre Unterkünfte einrichten, wenn alle regulären Plätze ausgeschöpft seien. Jede Gefahr für Leib und Leben – etwa bei Minustemperaturen – müsse als Notstand betrachtet werden. Die Landesrätin äußerte Unverständnis über die nun öffentlich geäußerte Kritik der Stadt, nachdem vorherige Gespräche Einigkeit signalisiert hätten. Dennoch hoffe sie auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.

  • Soziallandesrätin Rosmarie Pamer: Neue Kriterien bei Notunterkünften seien Ergebnis eines Dialogs Foto: Andy Odierno/SALTO
  • Dezentrale Unterbringung als gemeinsames Ziel – Umsetzung offen

    In einem Punkt herrscht jedoch weitgehender Konsens: Die dezentrale Unterbringung in Wohnungen in Dörfern und Bezirken gilt als nachhaltigere Lösung für Obdachlosenunterbringung allgemein. Sie sei kostengünstiger, ermögliche Integration und entlaste die Ballungszentren. Laut Pamer gebe es bereits Projekte, bei denen Bezirksgemeinschaften leerstehende Wohnungen anmieten, um Menschen in schwierigen Lebenslagen unterzubringen. Auch Bozen betont diesen Weg – und fordert mehr Unterstützung, sowohl strukturell als auch finanziell.

    Dennoch bleibt das Klima angespannt. Die Stadt verweist auf die massive Belastung ihrer Systeme, sieht in den neuen Vorschlägen eine langfristige Überforderung und kündigte an, die 70-Plätze-Grenze einzuhalten. Personen, die darüber hinaus Unterkunft benötigen, sollen künftig an andere Gemeinden oder an Landesstrukturen übergeben werden. Die Stadt sieht in der Neuregelung nicht bloß einen inhaltlichen Dissens oder Polemik sondern einen Hilferuf, sich künftig fair und realistisch mit Aufgaben, Ressourcen und Zuständigkeiten auseinanderzusetzen.

    Pamer verweist auf getroffene Vereinbarungen und sieht die Stadt in der Pflicht. Weigerung einzelner Gemeinden würde nur über kurz oder lang die Zusammenarbeit zwischen Provinz und Gemeinde stark erschweren.

    Mitte August soll der Beschlussantrag zu den Neuregelungen der Notunterkünfte genehmigt werden. Offen bleibt, ob sich bis dahin die Situation nochmal anspannt.