Gradmesser für Menschlichkeit

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13.000 Menschen, in etwa so viele Menschen haben in Südtirol Demenz. Der Umgang mit Menschen mit Demenz stelle einen Gradmesser für Menschlichkeit und gesellschaftliche Werte innerhalb der Gesellschaft dar, sagt Ulrich Seitz der Präsident der Alzheimer-Gesellschaft Südtirol (ASAA).
Weil der Umgang mit Demenz eine immer größere Herausforderung wird, luden am heutigen Montag, 16. Juni, ASAA, die Landesrätin für Soziales Rosmarie Pamer und der Landesrat für Gesundheit Hubert Messner zur Pressekonferenz ein. Auch die Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa (Grüne) und Maria Elisabeth Rieder (Team K) nahmen an der Veranstaltung teil.
ASAA-Präsident Ulrich Seitz erklärte, man sei heute weit mehr als eine Patientenorganisation – man verstehe sich als zentrale Anlaufstelle für Familien und Angehörige. ASAA arbeite eng mit Partnern aus sieben europäischen Ländern zusammen. Gemeinsam habe man in Broschüren konkrete Lösungsansätze erarbeitet. In Luxemburg etwa würden Pflegekräfte interkulturell geschult, in Österreich pflegende Angehörige angestellt und in Deutschland unterstützten Unternehmen Beschäftigte, die die Pflege von Angehörigen übernehmen.
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Der Hintergrund: Zusammenarbeit mit europäischen Demenz-Organisationen intensiviert
Der Verein Alzheimer Südtirol Alto Adige (ASAA) pflege seit vier Jahren enge Kontakte zu den deutschsprachigen Alzheimer- und Demenzorganisationen (DADO) in Europa. Unter der Leitung von ASAA-Präsident Ulrich Seitz sei es gelungen, im Rahmen eines Erasmus+-Programms länderübergreifend zentrale Anliegen von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen zu erarbeiten.
Im Fokus stünden dabei insbesondere die Themen Demenz vor dem 65. Lebensjahr, finanzielle wie nichtfinanzielle Unterstützungen für häusliche Pflege und Betreuung bei Demenz sowie Diversität – Herausforderungen bei Demenz. n Südtirol leben viele Menschen mit Migrationshintergrund, deren kulturell geprägte Pflegebedürfnisse oft nicht ausreichend berücksichtigt würden. Die Broschüren zu diesen Themenschwerpunkten finden Sie hier. Aus diesen internationalen Impulsen würden nun auch neue Initiativen für Südtirol entwickelt.Der aktuelle Forderungskatalog der ASAA umfasst unter anderem:
Eine Neuausrichtung der Pflegeeinstufung für Demenzkranke
Finanzielle Unterstützungsmaßnahmen sowie Ausgleichszahlungen bei langen Wartezeiten
Ein verbesserter Zugang zu sozio-sanitären Diensten und flächendeckende Entlastungsangebote
Eine echte Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
Die Anerkennung der Pflegearbeit zuhause im Rentensystem
Die Einrichtung einer Task-Force für Menschen mit Demenz im jungen Alter
Die rechtliche Anerkennung eines Berufsbildes für häusliche Pflege
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Pflege der Zukunft
Angesichts des zunehmenden Mangels an Pflegepersonal setze Südtirol verstärkt auf die Stärkung der Pflege im häuslichen Umfeld, erklärt Soziallandesrätin Rosmarie Pamer gegenüber SALTO. Ein zentrales Ziel der kommenden Jahre sei der Ausbau der Pflegeversicherung, die ergänzend zum bestehenden Pflegegeld vor allem pflegende Angehörige finanziell entlasten soll. Besonders wichtig sei die Versorgung von Menschen mit Demenz, die möglichst lange zu Hause betreut werden sollen.
Bereits bestehende Maßnahmen wie die rentenrechtliche Absicherung pflegender Angehöriger oder der Ambulante Betreuungsdienst könnten intensiviert werden. Eine Kampagne solle über kaum genutzte Unterstützungsleistungen den Beitrag für rentenmäßige Weiterversicherung informieren, so Pamer.
Dazu seien die Stunden des ambulanten Betreuungsdienst massiv erhöht worden. Tagespflegeplätzegehören zu den weiteren Entlastungen, die Plätze der besonderen Betreuungsformen seien um 30 Prozent erhöht worden und finanziell unterstützt werden. Mit dem neuen Kompetenzzentrum in Margreid entstehe zudem ein Modellprojekt zur Entlastung und zur Fortbildung pflegender Angehöriger und Pflegekräfte. Im Landessozialplan 2030 werde von vier Kompetenzzentren für Demenz in Südtirol gesprochen.
Ein weiteres Handlungsfeld betrifft die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Während der öffentliche Dienst bereits großzügige Freistellungsregelungen bietet, sind neue, flexible Arbeitszeitmodelle in der Privatwirtschaft gefragt. Diese sollen pflegende Angehörige unterstützen, indem Beruf und Pflegealltag besser koordiniert werden können.
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Betroffene in Südtirol
In Südtirol betreuen derzeit rund 11.000 Personen Menschen aus dem direkten familiären Umfeld, die an Demez erkrankt sind.
Diese Situation stelle viele Familien vor große Herausforderungen. Die Einstufungsverfahren für Pflegeleistungen nähmen viel Zeit in Anspruch, während es an finanzieller Unterstützung und an praktischen Entlastungsangeboten fehle. Auch die Zahl der Kurzzeitpflegeplätze in Seniorenwohnheimen sei seit Jahren unzureichend.
Zusätzlich entstehe Verunsicherung durch unklare gesetzliche Regelungen, etwa im Hinblick auf die Übernahme von Gesundheitsleistungen für schwerkranke Menschen in Pflegeeinrichtungen. Auch wenn die strukturelle Realität in Südtirol von jener im restlichen Italien abweiche, sei es notwendig, klare rechtliche Grundlagen zu schaffen.
Nur etwa 20 Prozent der Menschen mit mittlerer Demenz könnten stationär versorgt werden. Die Belastung sei hoch, die Wartezeiten lang, Entlastungsangebote fehlten. Es brauche etwa schnellere Pflegeeinstufungen, finanzielle Hilfen sowie ein Modell zur Anerkennung pflegender Angehöriger – etwa nach dem Vorbild pensionierter Pflegekräfte in Deutschland.
Zudem sei der respektvolle Sprachgebrauch entscheidend, denn die Würde von Menschen mit Demenz sei zu achten, und das beginne bei der Sprache. -
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