Culture | Literatur

„Poesie wird zur Hoffnungsträgerin“

Der Schriftsteller José F.A. Oliver war vor kurzem in Bozen für eine Gesprächsrunde zum Thema „Krieg und Poesie“ geladen. Ein Gespräch im Nachhinein Richtung Zukunft.
War in Words
Foto: Tiberio Sorvillo
  • SALTO: Sie waren vor kurzem als Moderator einer spannenden Gesprächsrunde über Krieg und Poesie in Bozen geladen. Mit welcher Erwartungshaltung sind Sie in das Gespräch gegangen? Wie war ihr Eindruck danach?

    José F.A. Oliver: Angesichts all der gemachten Katastrophen, all der furchtbaren Verheerungen, all der einsamen Hilflosigkeit(en) so vieler Menschen und der mit diesen Ohnmachtsgefühlen einhergehenden Resignation oder einer oft gerade daraus resultierenden Wut in der Welt wollte ich die Sprache, die ich klar zu benennen weiß, in den Mittelpunkt der Podiumsbegegnung stellen. 
     

    „Wir dürfen, das ist mein Credo, die Sprache nicht den Konflikttreiber*innen, Zündler*innen und derzeitigen Kriegsherren überlassen.“


    Die Schreibenden, die sich in Bozen auf der Gesprächs-Bühne zusammenfanden, verbindet auf ganz unterschiedliche Art und Weise (zumindest) das Ringen um die notwendigen Worte in Zeiten der Kriege. Ich glaube dementsprechend, dass die Leidenschaft der „poet(h)ischen“ Lebensentwürfe in Sprache einen schöpferischen Beitrag offenbart, dem es gelingen kann, den Frieden mit zu gestalten und deshalb als aktive Hoffnung bezeichnet werden sollte. 

  • Schriftsteller und Übersetzer: Im Oktober 2022 wurde José F. A. Oliver als Nachfolger von Interimspräsident Josef Haslinger zum Präsidenten des PEN-Zentrums Deutschland gewählt. Anfang September 2024 legte er dieses Amt aus gesundheitlichen Gründen nieder. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und hat viel veröffentlicht. Zuletzt: In jeden Fluss mündet ein Meer. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2023 Foto: Privat
  • Wir dürfen, das ist mein Credo, die Sprache nicht den Konflikttreiber*innen, Zündler*innen und derzeitigen Kriegsherren überlassen. Es käme einer zusätzlichen Niederlage gleich, wenn wir das erlaubten. Wir brauchen die „W:orte“ des Widerstands so dringend wie die beseelten „W:orte“ des Trostes. Eine Haltung, die sich auflehnt und Kraft wird. Das Gedicht vermag uns Beides zu schenken: Trost und Widerstand. Gedichte bedeuten Leben. Leben, das in „Gem:einsamkeiten“ möglich ist! Mehr noch: Jede Erzählung, in der wir uns erkennen, stärkt unsere Alltagssprache; und jeder Bericht, der mit einem „(po)ethischem“ Anspruch recherchiert ist, jede Reportage einer anteilnehmenden Zeugenschaft, die kritisch auf die sich stets verändernden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse blickt, schenken uns differenziertere Argumente, an denen wir uns orientieren können.

    Sie selbst haben ihre Wurzeln in Andalusien, sind in Deutschland geboren und aufgewachsen und betreuen seit Jahrzehnten das Lyrikfestival Hausacher Leselenz. Welche Rolle spielt Krieg eigentlich in der Poesie?

    Unsere spanische Familiengeschichte und damit ein wesentlicher Teil meiner Erziehung schreibt in meinem Werk kontinuierlich mit. 
     

    „Dichterinnen und Dichter können verfolgt, eingesperrt, mundtot gemacht und getötet werden. Ihre Poesie nicht!“

  • Im Gespräch bleiben: José F.A. Oliver (Moderator) mit seinen „schreibenden“ Gästen Yevgeniy Breyger, Kholoud Charaf, Emran Feroz und Daniela Prugger, im Rahmen einer Veranstaltung von „ZeLT“ und „transart“ Foto: Tiberio Sorvillo

    Mein kulturelles Gedächtnis beginnt mit meiner Geburt und wurde durch die mir direkt überlieferten Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg eine Wirklichkeit meines Schreibens. Weil meine Eltern aus Andalusien stammen und nicht aus Deutschland. Ich trage sämtliche Widersprüche eines „Geschwisterkrieges“ in mir; all die Fragen, die mit ihm verbunden und nach wie vor unbeantwortet (geblieben) sind; aber ebenso vibriert in mir das legendäre NEIN! einer Pasionaria – Dolores Ibárruri – jenes „¡No pasarán!“. (dt. „Sie werden nicht durchkommen!“).
    Dieses entschiedene Nein aus anderer Zeit, die in meiner Kindheit präsent war, beatmet mein Dichter-Sein. 
    Poesie ist für mich die nicht korrumpierbare, überlebensnotwendige Sehnsucht nach Würde und Frieden. Und zugleich ihre Antwort. Wie gesagt: Widerstand und Trost. Es geht im „Poet(h)ischen“ um die Würde des Menschen. Diese als Dichterinnen und Dichter jederzeit zu verteidigen, heißt Schreiben, Schreiben und nochmals Schreiben! Der Hausacher LeseLenz ist ein Gedicht mehr und ist ein Teil der Spracharbeit, die in den Büchern zum Ausdruck kommt. Und Spracharbeit ist Sozialarbeit. Die Begegnung, vor allem auch mit Schüler*innen ist deshalb eine der wichtigen Aufgaben des Literaturfestivals … Die Würde des Gedichts hängt unmittelbar mit der Würde des Dichtenden zusammen. Dichterinnen und Dichter können verfolgt, eingesperrt, mundtot gemacht und getötet werden. Ihre Poesie nicht!

  • José F.A. Oliver und Dolores Ibárruri: Erinnerungen aus dem Archiv. „Ebenso vibriert in mir das legendäre NEIN! einer Pasionaria – Dolores Ibárruri“ Foto: Privat

    Am Ende des Gesprächs in Bozen zitierten Sie ein Gedicht aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, in welchem von der Poesie als Waffe die Rede ist. Wie gefährlich ist diese Waffe in der heutigen Zeit?

    Ja, das Gedicht ist von Gabriel Celaya: „La poesía es un arma cargada de futuro“ (dt. „Die Poesie ist eine Waffe, die mit Zukunft geladen ist.“). Ein Gedicht, das er, der in Spanien geblieben, aber über Jahre verstummt ist, in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts verfasst hatte. Sprich, Celaya gab niemals auf. Auch nicht im sogenannten „inneren Exil“ seines Lebens. Und Ja: Gedichte waren und sind für Autokraten, Diktatoren und Kriegsherren immer gefährlich (es sind in der Tat mehr Männer als Frauen), weil die Poesie Widerstand bedeutet und weil man sie nicht einsperren oder zum Schweigen bringen kann. Ein Gedicht sagt, benennt und lügt nichts um – wie es schon Hilde Domin formulierte. Ein Gedicht verlangt Mut gegen jegliche Form von Gewalt … Ein Gedicht besingt indes im selben Augenblick auch die Demut, macht das Vergängliche erkennbar: Mut ins Leben und Innehalten zugleich.

    Wie haben Sie als Dichter in jungen Jahren von Deutschland aus auf das bis in die Mitte der 1970er Jahre faschistische Spanien geblickt? Wie unterdrückt war die Literatur unter dem totalitären Franco-Regime?

    Ich habe versucht zu begreifen, was allein in unserer Familie zwischen 1936 und 1939 geschehen ist. Ich habe versucht, zu verstehen, weshalb sich Menschen, die im Falle unserer Familie Geschwister waren, gegenseitig ermordeten, indem sie verblendet irgendwelchen Herrschern folgten, die ausschließlich von Machtgier, totalitärem Narzissmus und tödlicher Selbstüberschätzung besessen waren. In Spanien mussten viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller ins Exil fliehen und das freie Wort war über Jahrzehnte nicht mehr möglich. Leider konnten nur wenige nach Francos Tod ins demokratische Spanien zurückkehren. Seine Diktatur dauerte zu lange und die meisten starben im Exil …

  • José F.A. Oliver und Rafael Alberti: „Demokratie und die Freiheit des Wortes müssen jeden Tag aufs Neue eingeübt, erlebt und verteidigt werden.“ Foto: Privat

    War die Situation vergleichbar mit Osteuropa vor der Wende?

    Ich glaube schon. Die totalitären Regime in Osteuropa waren, soweit ich mich erinnere, geschwächt. Und deshalb schlug für viele die Stunde der Befreiung. Endlich war ein Aufstand möglich. Allerdings musste die Freiheit dann erst (wieder) erlernt werden. Ein derartiger Lernprozess braucht aber Zeit. Sehr viel Zeit. Und eine kritische Begleitung auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen. Die Demokratie und die Freiheit des Wortes müssen jeden Tag aufs Neue eingeübt, erlebt und verteidigt werden. Freiheit und Demokratie sind keine Selbstverständlichkeit. Und vor allem: Freiheit lässt sich nicht verordnen. Niemals. Das wurde und wird bisweilen vergessen. Nicht nur in Osteuropa, sondern auch in Spanien …  Unterschiedliche Kulturen brauchen auch unterschiedliche demokratische Konzepte. 

    Wie beobachten Sie das Aufkommen totalitärer Strömungen in vielen europäischen Ländern. Gehen wir unpoetischen Zeiten zu?

    Im Gegenteil! Die Poesie wird zur Hoffnungsträgerin und damit zur Nahrung des seelischen wie geistigen Widerstands. Sie ist ein existentieller Teil der DNA menschlichen Überlebens. Auch deshalb müssen wir z.B. die „Poesie der Straße“ wiederentdecken. Eine Poesie, die zu den Menschen geht. Wir müssen wieder von Neuem lernen, dass jeder Mensch Poesie in sich birgt und unerwartete Räume für diese Poesie schaffen. Auch im Gespräch, im einladenden Dialog.

  • Dreharbeiten in Andalusien: Am Set mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow für die Doku „Oasen der Freiheit“ Foto: Privat

    Sie waren bis vor wenigen Monaten Präsident des PEN-Clubs in Deutschland und haben dieses Amt nach turbulenten Diskussionen, Austritten und Neugründungen übernommen. Konnten Sie einigermaßen Ruhe in den „Literaturladen“ bringen? Wie sieht die aktuelle Situation aus?

    Ich hoffe, dass ich in den fast zwei Jahren meiner Amtszeit gemeinsam mit dem geschäftsführenden Vorstand und dem Präsidium ein paar Akzente für den offenen Dialog und seinen gesellschaftlichen Beitrag leisten konnte. Zum einen durch eine stärkere, öffentliche literarische Präsenz der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im PEN, zum anderen durch den inneren Dialog im PEN-Zentrum Deutschland selbst. Beispielsweise nicht mit Presse-Mitteilungen um sich zu werfen, sondern abzuwägen, mit vielen Mitgliedern ins Gespräch zu kommen, bevor sie formuliert werden. 
     

    „Auch hier ist ein entschiedenes NEIN! gegen alles, was ideologisch zerstört, vonnöten.“ 


    Das Ergebnis war mehr Ruhe, ist mehr Ruhe und eine Art positiver, nicht unbeteiligter Gelassenheit. Darüber hinaus sind auch Gespräche mit einigen Autorinnen und Autoren, die sich im PEN Berlin engagieren, geführt worden. Und: ich habe über ein Jahr daran gearbeitet mit jungen Schriftsteller*innen und Literaturvermittler*innen, die an der Universität Tübingen studieren den „Jungen PEN“ auf den Weg zu bringen – mit Dichter*innen aus beiden PEN-Verbänden, dem PEN-Zentrum Deutschland und dem PEN Berlin. Im Augenblick sind die Türen also (erstmals wieder) offen. Nun ist eine jüngere Generation gefragt, verantwortliche Positionen zu übernehmen. Jüngere, die sich kritisch den Herausforderungen unserer Zeit stellen und, ohne die Vergangenheit zu vergessen, die Grundüberzeugungen des PEN, der sich der Freiheit des Wortes verpflichtet und für den Frieden einsteht, in die Aktualität und in die Zukunft zu übersetzen. Künftiges, das die Dinge und Verhältnisse dort mit Gehalt in Frage stellt, wo es unumgänglich ist, und Konzepte und Visionen entwickelt, in denen wir uns klarer und freier erkennen. Sprich: perspektivische Inhalte arrangiert. Auch hier ist ein entschiedenes NEIN! gegen alles, was ideologisch zerstört, vonnöten. 
    Leider musste ich mein Amt dieser Tage aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig niederlegen. Jetzt sind andere aufgefordert, den Weg ins Offene weiterzubauen.

    Ist das Ringen um Worte und Rhythmen, auch irgendwie Krieg mit sich selbst? Führt die finale Setzung der Worte in einem Gedicht zu innerem Frieden?

    „Das Ringen um Worte und Rhythmen“ sucht die Glaubwürdigkeit und Harmonie im Widerspruch auf. Jenseits und trotz unserer persönlichen Grenzen und manch größerer oder kleinerer Unzulänglichkeiten. Dieses „Ringen“ ist niemals Krieg, sondern es ist ein Privileg. Das wunderbare Privileg, der Würde des Menschen dienen zu dürfen. Das schafft auch den inneren Frieden und Halt!

  • wars in words Krieg und Poesie. Scrivere la guerra: Wie und was vermag Literatur über Krieg, Gewalt, Flucht und Exil auszusagen? Vermag sie das Schreckliche begreiflicher und von daher umgänglicher zu machen? Foto: Tiberio Sorvillo