Essbare Städte und Honig auf den Dächern
Für den Begriff Landwirtschaft gibt es jetzt in Italien ein neues Eigenschaftswort, seit das Gesetz nr. 141 vom 18. August 2015 die “soziale“ Landwirtschaft anerkannt hat.
Nach der Einführung der sozialen Landwirtschaft mit zusätzlichen Aufgaben der Arbeitsintegration könnte man einwenden, dass Sozialgenossenschaften genau dasselbe seit jeher schon betreiben. Das Gesetz, das die “cooperative sociali“ im Jahr 1993 eingeführt hat, sieht für die Arbeitseingliederung benachteiligter Personen für das „training on the job“ nicht nur Industrie und Handel vor, sondern ausdrücklich auch die Landwirtschaft als beschäftigungstherapeutischen Bereich.Auch hierzulande sind einige innovative Genossenschaften bereits in der “sozialen“ Landwirtschaft tätig geworden. Hauptprodukte dieser Betriebe sind nicht die geernteten Früchte, sondern immaterielle Güter wie Beschäftigung, Integration und Gesundheit.
Im Ausland hat man Italien eine echte Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Arbeitsintegration zuerkannt, sogar die bayerischen Promotoren der Sozialgenossenschaften „made in Germany“ haben die Erfahrungen des Südtiroler Modells zur Arbeitsintegration als Vorlage für ihre Vorhaben verwendet.
Wenn wir schon irgendwo gut unterwegs sind, wozu also das Gesetz?
Die Befürworter behaupten, dass die neuen Bestimmungen eine längst fällige Anerkennung der Bedeutung der italienischen Landwirtschaft darstellen. Seit jeher liefern bäuerliche Betriebe unverfälschte Produkte für regionale Kreisläufe, zusätzlich überlassen sie jetzt älteren Mitbürgern Flächen zur eigenständigen Bewirtschaftung, bringen Stadtkindern bei, dass die Kuh nicht lila ist und übernehmen soziale Aufgaben in ländlichen Räumen, wo sie aktive Arbeitsintegration betreiben.
Kritikern des Gesetzes ist nicht entgangen, dass die Lobby der Landwirtschaft den Erfolg der EXPO genutzt hat, um zu unterstreichen, dass ihre Betriebe nicht nur die Grundlage der Ernährungskette sind, sondern sehr wohl eine soziale Verantwortung übernehmen, die man bei der nächsten Förderperiode der EU-Finanzierungen angemessen bewerten sollte.
Das Genossenschaftswesen ist in der Landwirtschaft traditionsgemäß stark vertreten, nicht nur in unserer Region. Der kürzlich veröffentlichte, dritte EURICSE-Forschungsbericht schätzt die Zahl der Mitarbeiter landwirtschaftlicher Genossenschaften im Jahr 2012 auf über 700.000 in ganz Italien und die Wertschöpfung auf fast 30 Milliarden Euro.
Auch unsere einheimische Landwirtschaft hat einige soziale Dienste entwickelt: Kinderbetreuung, naturnahen Unterricht und betreutes Wohnen auf dem Bauernhof gibt es in Südtirol schon seit Jahren, wenn auch vorrangig als Nebenerwerbsquelle für die Bäuerinnen.
Jetzt wird die Latte höher gestellt, die Kategorien der Benachteiligten werden ausgedehnt, Zielsetzungen und Tätigkeiten erweitert, wie aus dem nebenstehenden Wortlaut des Gesetzes hervorgeht.
Man kann noch nicht abschätzen, ob Italien mit diesen neuen Bestimmungen die Formenvielfalt ausländischer Erfahrungen erreichen wird und ob die „agricoltura sociale“ auch solidarisch werden wird, wie zahlreiche Projekte und Initiativen in anderen Ländern.
Wer “essbare Städte“ googelt, kann schnell feststellen, wie viele Gemeinden in deutschsprachigen Ländern öffentliche Flächen durch Nutzpflanzen aufwerten und Parks für die Bewirtschaftung durch Seniorenorganisationen bereitstellen. Wo es in den städtischen Gärten Kartoffelpflanzungen statt Blumenbeete gibt, heißt es “Pflücken erlaubt“ statt “Betreten verboten“.
Innsbruck ist das nächstgelegene Beispiel für das “urban gardening“, eine innovative Form der Kulturlandschaft, in der Gartenflächen mitten in der Stadt den Bürgern für eine landwirtschaftliche Nutzung überlassen werden, so dass Nahrungsmittelproduktion, ökologisches Gleichgewicht und Erholung zu einer neuen Synthese vereint werden.
Noch vielversprechender ist die Berliner Initiative, mit der die Dächer von Wohn- und Bürohäusern in der deutschen Hauptstadt für Bienenvölker zur Verfügung gestellt werden, die im städtischen Gebiet, wo keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, einen besseren Honig produzieren als auf dem Land.
München macht’s der Hauptstadt nach und bietet seit einem Jahr den „Opernhonig“ von der Imkerei, die ihre Bienenstöcke auf den Dächern der Bayerischen Staatsoper hält. Etwas teuer und somit wenig sozial, wenn es erlaubt ist, einen Kritikpunkt anzumerken, aber dafür im Opernshop in eleganter Aufmachung erhältlich.
Seit dem Beginn der Imkerei in den Städten und dem Verkaufserfolg des Honigs von den Dächern ist die Biene nach Rind und Schwein das wichtigste Nutztier in Deutschland geworden.
Die vielseitigen solidarischen Experimente einer innovativen Landwirtschaft, die zum Teil auch schon zu erfolgreichen dauerhaften Initiativen geworden sind, wie das Münchner Kartoffelkombinat, fasst man mit dem englischen Begriff “Community Supported Agriculture “ zusammen.
C.S.A. ist eine Interpretation der Landwirtschaft, bei der sich die ganze Gemeinschaft einsetzt, um eine gemeinwohlorientierte Struktur für die regionale Lebensmittelversorgung zu schaffen. Diese Partnerschaft unterstützt eine lokale Produktion für eine lokale Ernährung und schafft eine konkrete Annäherung zwischen Produzenten und Konsumenten. Verbraucher und Familien aus dem städtischen Raum kooperieren mit den Landwirten in der Umgebung, denen sie Monate im Voraus Abnahmegarantien geben oder Anzahlungen auf die zukünftige Ernte leisten. So kann der Landwirt besser planen und zielgerechter investieren, aber vor allem fühlt er sich verpflichtet, den “Städtern“ Einblick und Einfluss zu gewähren.
Vorfinanzierungen des Verbrauchers an den Landwirt ermöglichen die Wiederbelebung von stadtnahen Hofstellen oder die Umstellung auf ökologische Produktion. Das beste Beispiel dafür haben Südtiroler Konsumenten geliefert, als sie durch die Bezahlung auf Jahre im Voraus der zukünftigen Käseproduktion des Biobauern Alexander Agethle den Wiederaufbau einer Hofkäserei entscheidend mitfinanziert haben.
Legge 18 agosto 2015, n. 141
Disposizioni in materia di agricoltura sociale
(Gazzetta Ufficiale n. 208 dell’8/09/2015 – in vigore dal 23/09/2015)
La Legge definisce agricoltura sociale le attività esercitate dagli imprenditori agricoli e dalle cooperative sociali dirette a realizzare:
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inserimento socio-lavorativo di lavoratori con disabilità e di lavoratori svantaggiati, di persone svantaggiate e di minori in età lavorativa inseriti in progetti di riabilitazione e sostegno sociale;
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attività sociali per le comunità locali con risorse dell'agricoltura per promuovere lo sviluppo di inclusione sociale e lavorativa, di ricreazione e di servizi utili per la vita quotidiana;
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servizi che affiancano le terapie mediche, psicologiche e riabilitative finalizzate a migliorare le condizioni di salute e le funzioni sociali, emotive e cognitive anche attraverso l'ausilio di animali allevati e la coltivazione delle piante;
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l'educazione ambientale e alimentare, la salvaguardia della biodiversità nonché la diffusione della conoscenza del territorio attraverso l'organizzazione di fattorie sociali e didattiche per bambini in età prescolare e persone in difficoltà sociale, fisica e psichica.