Mögen täten sie schon wollen…
Ich verstehe die Aufregung, die Frau Mair und auch Herr Leitner derzeit medial an den Tag legen, nicht. Die Freiheitlichen treten bei den Parlamentswahlen nicht an. Sie haben sich dafür entschieden, sich nicht der Wahl zu stellen, weil sie laut Fraktionssprecherin Mair „keine realistischen Aussichten auf Erfolg hätten“. Für diese eigene Entscheidung wollen sie nun keine Verantwortung übernehmen und mischen sich stattdessen täglich in die Angelegenheiten der SVP ein. Dabei sollte jeder zuerst einmal vor seiner eigenen Haustüre kehren.
Denn schauen wir uns die Fakten an: Tatsache ist, dass das neue Wahlgesetz für Südtirol eine Sonderregelung in mehrfacher Hinsicht bietet. Für uns gilt die staatsweite 3% Hürde nicht. Das wäre abhängig von der Wahlbeteiligung bis zu einer Million Stimmen – so viele Wähler gibt es in Südtirol natürlich gar nicht. Dahingegen genügen für die Minderheitenparteien 20% in der Region, was in etwa 120.000 Listenstimmen entsprechen wird – also rund 0,4% staatsweit. Neu ist, dass eine Partei auch zwei der sechs Einerwahlkreise gewinnen kann, damit diese Stimmen für die Verhältniswahl zählen. Also sind tatsächlich noch weniger Stimmen nötig – das wird man überall als minderheitenfreundlich begreifen.
Wenn die Südtiroler nicht wählen gehen, weil man sie glauben macht, die Parlamentswahlen seien eh gar keine richtige Wahlen – dann kann auch eine autonomiekritische Liste am meisten Stimmen erhalten.
Falls es bei der Verhältniswahl trotzdem nicht klappt, kann man immer noch einen Sitz in den Einerwahlkreisen holen – ganz ohne Hürde. Wenn Pius Leitner also in einem Einerwahlkreis antreten würde, dann müsste er genau eine Stimme mehr erhalten als ein anderer Kandidat einer anderen Liste, um das Mandat zu bekommen. Dafür wären je nach Wahlkreis etwa 40.000 Stimmen nötig. Diese Regelung ist neu und stellt sogar eine klare Verbesserung für die Opposition dar.
Der Vorschlag hingegen, dass man auch bei den Parlamentswahlen ohne Hürden alle Sitze nach einem Verhältniswahlrecht vergeben sollte – so wie bei den Landtagswahlen – ist völlig irreführend, da sich dafür keine Mehrheit im Parlament findet und zwar einfach deshalb, weil es dem Missbrauch durch andere Listen, die sich als Minderheitenvertreter erklären könnten, Tür und Tor öffnen würde. Abgesehen davon, dass es für eine Minderheit nicht gut ist, nach außen mit zu unterschiedlichen Positionen aufzutreten: Autonomie, Freistaat, Heimkehr – oder nix von alldem.
Für die eigene Entscheidung wollen die Freiheitlichen nun keine Verantwortung übernehmen und mischen sich stattdessen täglich in die Angelegenheiten der SVP ein.
Die aktuelle Verunsicherung kann sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken, eine hohe Wahlbeteiligung ist aber nicht nur demokratiepolitisch sondern eben auch im Sinne des Minderheitenschutzes sehr wichtig. Der Region stehen sieben Sitze im Senat zu, sechs davon werden über die Einerwahlkreise vergeben, den siebten erhält die stimmenstärkste Liste. Die SVP hat gemeinsam mit den Autonomisten aus dem Trentino, dem PATT, eine realistische Chance in der Region stimmenstärkste Liste zu werden und damit den Listenführer, in diesem Fall Dieter Steger, nach Rom schicken zu können. Wenn die Südtiroler nicht wählen gehen, weil man sie glauben macht, die Parlamentswahlen seien eh gar keine richtige Wahlen – dann kann auch eine autonomiekritische Liste am meisten Stimmen erhalten. Das wird wohl nicht im Sinne unseres Landes sein!
Die Freiheitlichen wirken auf mich wie Leute, die im Sinne von Karl Valentin merken: „Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut“ – und nun auf ein mögliches Ausrutschen der anderen hoffen, um scheinbar schuldlos schadenfroh sein zu können.
Es ist wahr, dass das
Es ist wahr, dass das Rosatellum einen gewissen Mehrheitseffekt hat und somit Parteien, die hoch in der Wählergunst stehen, bevorzugt und stärkt. Das ist aber nicht auf dem Mist der SVP gewachsen, sondern hat damit zu tun, dass das neue Wahlgesetz eine zu große Zersplitterung der Parteien im Parlament vermeiden will und damit die chronisch schwache Regierbarkeit in Italien verbessern möchte. Ähnliche Regelungen gibt es übrigens in Deutschland schon lange. Ob man das nun gut oder schlecht findet, sei dahingestellt.
Es ist nicht wahr, dass die lokale Bedingungen undemokratisch sind – ganz im Gegenteil: Da es de facto nur eine Hürde von 0,4% gibt. Es handelt sich ja um Parlaments- und nicht Landtagswahlen. Diese Verwechslung sollte man nicht machen. Außerdem muss ja nicht einmal diese Hürde genommen werden, da der Sieg in einem Einerwahlkreis genügt: Und da treten die Kandidatinnen und Kandidaten „face to face“ an – was heißt, dass eine einzige Stimme mehr zum Mandat reicht. In der Kammer werden 54,5% der Sitze so vergeben, im Senat sogar 85,71%. Das ist dann eigentlich urdemokratisch: Schließlich soll doch der oder die Meistgewählte den Sitz erhalten.
Zudem wird vergessen, dass jede lokale Partei mit einem nationalen Partner ein Wahlbündnis eingehen kann und dann gelten die nationalen Hürden – so wie beispielsweise für die Grünen. Also kann von Ausschluss sicherlich keine Rede sein. Auch wenn das einige glauben machen wollen, die Wählerinnen und Wähler werden diesen falschen Argumenten nicht folgen.
Der Vergleich mit Bulgarien ist sowieso absolut deplatziert: Ist doch bekannt, dass das Land in den letzten Jahrzehnten Schauplatz einiger der schlimmsten Exzesse gegen ethnische Minderheiten war. Der Minderheitenschutz ist in Bulgarien - trotz einiger Fortschritte - leider noch völlig unzulänglich.
In risposta a Es ist wahr, dass das di zeno christanell
Sorry Herr Christanell, aber
Sorry Herr Christanell, aber diverse Aussagen können nicht unwidersprochen bleiben:
* "das Rosatellum einen gewissen Mehrheitseffekt hat und somit Parteien, die hoch in der Wählergunst stehen, bevorzugt und stärkt" - stimmt nicht, denn die Partei, die in allen Umfragen am höchsten in der Gunst der Wähler liegt, nämlich die 5-Sterne-Bewegung, wird durch das Rosatellum bewusst, sagen wir mal, "im Zaum gehalten" und wird (wetten wir), obwohl stimmenstärkste Partei in Italien, lediglich die 2.stärkste Fraktion im Parlament bilden; Mehrheitswahlkreise stärken stark territorial verankerte Parteien, diese müssen - wie die Lega oder die Volkspartei - insgesamt gesehen aber nicht unbedingt einen Höhenflug erleben, um massiv davon zu profitieren.
* "Ähnliche Regelungen gibt es übrigens in Deutschland schon lange" - stimmt nicht, denn dort sind die Einer-Wahlkreise dazu da, eine Beziehung zwischen Bundestagsabgeordneten und Wählern herzustellen und NICHT um Mehrheitsverhältnisse zu verändern. Für die (relative) Sitzverteilung der Parteien im Bundestag zählt allein die Stimmenvergabe für das Verhältniswahlrecht (Zweitstimme). Wenn eine Partei viele Direktmandate erorbert, muss durch Vergabe an Überhangmandate an die anderen Parteien das Verhältnis wieder hergestellt werden;
* "Es ist nicht wahr, dass die lokale Bedingungen undemokratisch sind ... da der Sieg in einem Einerwahlkreis genügt" - Wenn wir von den bestehenden Kräfteverhältnissen im Lande ausgehen (LTW 2013: SVP 45,7% F 17,8% Grüne 8,7% STF 7,2% etc.) und die SVP in Rom entscheidend auf ein Wahlgesetz hinwirkt, das entweder 20% auf regionaler Ebene verlangt werden, um überhaupt an der Sitzvergabe nach dem Verhältniswahlrecht teilzunehmen oder in Einer-Wahlkreisen die SVP bzw. SVPD geschlagen werden muss, dann riecht das aber so was nach Maßschneiderei. Es war nämlich im Reformprozess auch schon von 10% auf regionaler Ebene die Rede, was - angesichts der genannten Kräfteverhältnisse - natürlich sogleich zu verhindern gewusst wurde.
* Während in ganz Italien lediglich 36% der Sitze nach dem, die auf dem Territorium übermächtigen Parteien stark bevorzugenden, Mehrheitswahlrecht vergeben werden, sind es in unserer Region 55% in der Kammer und 100% im Senat - denn was anderes ist ein Verhältniswahlrecht mit einem einzigen zu vergebenden Sitz anderes als ein Einer-Wahlkreis mit größerem Einzugsgebiet?
* "jede lokale Partei mit einem nationalen Partner ein Wahlbündnis eingehen kann und dann gelten die nationalen Hürden – so wie beispielsweise für die Grünen" - natürlich kann man das, aber um den Preis das eigene Logo und den eigenen Namen aufzugeben, von einer gewissen Anzahl von Wählern nicht gefunden zu werden, ganz zu schweigen von den Notwendigkeit, sich mit ständig wechselnden Listen und Logi zusammen zu tun, was so ungefähr das Gegenteil von Fidelisierung der Wählerschaft durch eine starke Corporate Identity darstellt. Zudem kommen nationale Partner für die patriotische Oppositionsparteien kaum in Frage und für viele ihrer Wähler ebensowenig eine Wahl der Grünen gerade wegen der notwendigen Verbindung mit eben solchen nationalen Parteien.
Zu guter Letzt: Der Sinn des Minderheitenschutzes steht außer Frage, aber ob diese Minderheit lediglich auf die Vermittlung durch deren stärkste Partei reduziert werden darf, auf einem anderen Blatt. Es stimmt, manche frühere Wahlgesetze waren auch nicht besser, aber diesmal hatte ein Vertreter der SVP so großen Einfluss auf das Wahlrecht in Südtirol und als Ergebnis wird der Wähler vor vollendete Tatsachen gestell - keine Auswahl bei der Vorwahl und alle 6 Nominierten durchgewunken.
In risposta a Es ist wahr, dass das di zeno christanell
Wie soll die Hürde
Wie soll die Hürde Zersplitterung verhindern, wenn über die Einmannwahlkreise »jede/r« ins Parlament kommen kann? *So* ist die Hürde einfach *nur* eine Behinderung der kleineren Parteien…
Herr Christanell versucht
Herr Christanell versucht krampfhaft, wohl aufgescheucht durch die verpatzen "Basiswahlen" der SVP, das Wahlgesetz schönzureden. Schon bei diesen SVP-internen "Basiswahlen" hielt sich offensichtlich die Lust von Bewerbern, als "Sparingspartner" (O-Ton Karl Zeller) zur Verfügung zu stehen, in sehr engen Grenzen. Dasselbe gilt für dieses Wahlgesetz, das seine Partei mit tätiger Mithilfe von PD-Unterstaatssekretär Bressa ersonnen hat: eine Sperrklausel von 40% auf Landesebene mag zwar für die SVP angenehm sein, kann aber auf keinen Fall als "minderheitenfreundlich" angesehen werden. Hier ist der Vergleich mit einer "lex bulgara", den ein Salto-User zu Recht anstellte, durchaus treffend. Zudem geht der Verweis, man könne sich ja "Partner auf nationaler Ebene" suchen, ins Leere: dies trifft wohl nur für diejenigen Partein zu, die sich gerne zu Handlangern nationaler Parteien machen. Ein für eine Minderheit gefährliches Spiel, indem man deren politische Vertretungen zwingt, sich an nationale Parteien zu ketten. Zudem für die Wähler ein ungustiöses Schauspiel: genau diese, von der SVP und dem PD gewollten "Zwangsehen" führen dann in Bozen / Unterland / Überetsch zu den bekannten Ergebnissen, dass dort nationale PD-Größen kandidieren, die mit Südtirol nichts am Hut haben. Mit Bozen / Überetsch / Unterland schon gar nichts. Und die zudem auch noch fragwürdige Einstellungen zur Autonomie offenbaren: die Aussagen von Maria Elena Boschi wurden ja schon ausgiebig thematisiert. Doch lohnt auch ein Blick auf die Aussagen von Gianclaudio Bressa auf "Salto" zu den Autonomiebestrebungen in der Lombardei und im Veneto (https://www.salto.bz/de/article/24102017/bolzano-aiuta-litalia-piu-del-…). Sämtliche wesentlichen Forderungen der Veneter und Lombarden, etwa nach Steuerautonomie, werden von PD-Bressa rigoros abgelehnt. Und diesen Herrn sollen die deutschen Wähler in Bozen / Überetsch / Unterland ins Parlament schicken? Man darf das Lamento des Herrn Christanell auch getrost als Krokodilstränen begreifen. Denn man kann sich jetzt schon ausmalen, was los gewesen wäre, wenn wir Freiheitliche, trotz dieses SVPD-Wahlgesetzes, kandidiert hätten: da hätte Herr Christanell vermutlich von "Spalter" bis auf "jede Stimme verloren" bis auf "zusammenhalten" jedes sattsam bekannte Register gezogen, um diese Kandidatur zu bekämpfen. Nun, diesmal kam es eben anders. Herrn Christanell beliebt es, in Bezug auf uns Freiheitliche Karl Valentin zu zitieren. Ihm sei angesichts der Winkelzüge seiner Partei Erich Kästner in Erinnerung gerufen: "Was immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken."