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Die Sprachigkeit des Kurt Lanthaler

Kurt Lanthaler beantwortet die Frage nach der Südtiroler Literatur in fiktiver Dialogform. Katalogisieren lässt er sich und sein Schreiben nur ungern.

Ein Leser schreibt:

Eine Leserin schreibt mir (und hinförderhin werden, zum Zwecke der Poetisierung, auch eventuell verwendete mündliche Leserfragen unter »Ein Leser schreibt mir« rubriziert. Und: Nur der kleinste Teil der Leser-Fragen sind fiktiv, oder bis zur Unkenntlichkeit anonymisiert.)

 

Ein Leserin schreibt mir: Welcher Literatur fühlen Sie sich zugehörig?

Ich schreibe zurück: Der Literatur. Was auch immer das sei.

 

Ein Leser schreibt mir: Kann man denn davon leben?

Ich schreibe zurück: Sehen Sie sich mal bei Bedarf wie Laune die Fotos ->>> hier  an. Und also: Man kann so sehr davon leben, daß ich dann doch ein paar Kilo zugenommen habe, in der Zeit, die Jahre über, dieses Tuns. (Möcht gar nicht wissen, wie ich aussähe, wär ich HSBCBanker geworden: Gymig gelüftet, eventuell. Eine tripple Schande.)

 

Die Leserin von eben schreibt mir zurück: Ich hatte eigentlich die obligate Frage nach der Südtiroler Literatur im Sinn.

Ich schreibe zurück: Obligate reimt auf Oblate. Wir bewegen uns folglich in den Bereich des Religiösen. E perché no. (Γιατί οχι. Warum nicht.) Iψη ςερδε αβερ γερν ιμ Ερνστ ςειτερφαηρεν, σορρζ, ich werde aber gern im Ernst weiterfahren – sorry, mußte erst die Tastatur von der einen nichtlateinischen auf die andre lateinische umschalten – : Also: Ich lese Ihre Frage so, daß Sie mir die Frage nach der Zugehörigkeit meiner Schriften (und man wird dann gemeinhin ja auch, wuups, als Körper mit vereinnahmt) zur Entität »Südtiroler Literatur« stellen.

(Da eine Frage nach der »Südt.Lit« als solcher wohl mit deutlich größerer Erfolgsaussicht an die entsprechenden Wissenschaftler weitergereicht würde, hier also irrecivibile wäre. Da nix Wissenschaft hier. Nur poiesis. : Wobei manche Wissenschaft durchaus poiesis: Ich sach mal: LHC. Nicht zu verwechserln mit LCB. Insofern, Umkehrschluß, poiesis unter Umständen manchsmal auch Wissenschaft. Rocket science.)

 

Ein Leser schreibt: Ich sehe auf Ihrer homepage das ganze griechische »Zeug«, wegen »Entscheidungen« bzw. »Verhandlungen« und »EU«, z.T. bis ins Detail, und dabei warte ich eigentlich, wenn schon, auf einen neuen »Roman« von Ihnen (lassen Sie das mit den »Gedichten« besser bleiben). Deshalb meine Frage: Warum das »Zeug«?

Ich schreibe zurück: Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Übertragungen aus dem Notizbuch eines Schriftstellers, der in Thessaloniki an einem Roman arbeitet. Kaum zum Arbeiten kommt. Aber zum Dokumentieren. (Was der Beginn einer literarischen Arbeit sein mag, und ihr Ende. Eventuell auch ihr καρδιά. Ihr Herz.) Was wiederum meine eigenen Texteerzeugungen betrifft: Ich fürchte, ich habe da eine schlechte Nachricht für Sie, lieber Leser. Zur Zeit werden hier ausschließlich Gedichte geschrieben.

 

Eine Leserin schreibt: Muß Ihnen sagen, daß ich eben das Parmigiana-Rezept aus Ihrem Roman nachgekocht habe, und schon ist mir, als exilierte Sizilianerin, das Herz etwas wärmer geworden in diesem sehr kalten schweizer Winter.

Ich schreibe zurück: Sehr geehrte Frau X.: Das wiederum nun ist das schönste Kompliment, den dieser Roman bis jetzt erhalten hat. Ich darf mich bei Ihnen in seinem Namen herzlich bedanken.

 

Die Leserin von vorher schreibt:

Ich warte noch auf Ihre Antwort;-)

Ich schreibe: Ich stelle gerade fest, daß ich tatsächlich Ihre Frage nach der »Südtiroler Literatur« wohl doch nicht zur Gänze beantwortet habe. Und erlaube mir daher, noch ein paar Zeilen nachzulegen. Also:

Erstens, das mit der »Literatur« und eventuellen Zugehörigkeiten soll jeder und jede halten wie er will, und das tun sie wohl auch, die Autorenkolleginnen. (Darunter: Der Literatur. Der Deutschsprachigen Literatur. Der Österreichischen Literatur. Der Literatur des Sudtirolo. Usf.)

Zweitens. Solche Zugehörigkeit wär jetzt nicht die Frage Nr1, die sich mir im Zusammenhang mit Literatur stellt. Eher so Zone Abstiegskandidaten in der Bundesligatabelle.

Drittens: In concreto habe ich mal, wenn ich mich recht entsinne, auf einer Hamburger Bühne (war's Wuppertal?) im Beisein, also im Neben-einem-meiner-Verleger-Sitzen, auf ebensolche aus dem Auditorium gestellte Frage: Welcher Literatur ich mich denn dann zugehörig fühle?, gesagt: Ich bin ein italienischer Schriftsteller. Der meist auf Deutsch schreibt. Apriti cielo, mein Verleger sank kurz vom Stuhl. Bildlich. (Er hat an seinen Autoren Contenance gelernt.) Und ich denke, die Antwort befriedigte niemanden im Saal. Bis auf mich.

Viertens: Ich würd mich ungern (außer jemand müßte es unbeding tun, da er wissenschaftlich Karteikarten subkategorial abzulegen hätte), also: Ich würd mich eher ungern einer »Südtiroler Literatur« zugeordnet sehen.

Südtirol auch nicht. Ich komme (seit Jahrzehnten) gern als Tourist nach Südtirol (Wetter, Essen, Mountainbike …: ich scherze. Ich kann nichtmal Normalrad gradausfahren übers Tempelhofer Feld. Und seit Bonos, dem Gleichaltrigen, Unfall im Central Park, der mit multiplen Knochenbrüchen endete und dem von seinen Bandkollegen erfreut zur Kenntnis genommem Ende seiner Karriere als AuchGitarrist: s'è chiuso il discorso. Endgültig.)

Aber ich komme nicht als Südtiroler nach Südtirol, und ich würde da auch als solcher nicht mehr bleiben wollen. Kurz begründet: Mir wird mit dem Zufallsglück (als ein einem zufallendes) der Sprachigkeit (mein Wort für das verhunzt wie überbenutzte: Mehrsprachigkeit, das recht eigentlich die Situation beschreibt. Irgendwas mit Mehr. Hauptsache Mehr.),

… mir wird also – und das kann freilich nur meine Sicht sein, eine Einzelstimme also – mit dem Zufallsglück der Sprachigkeit in den allerweitesten Teilen des Lebens und Strebens des Landstriches resp. seiner Bewohner dauerhaft dermaßen unaufmerksam, undankbar, uninspiriert, unfreundlich und unmusikalisch umgegangen, daß ich es nicht aushielte. Mich dem länger auszusetzen.

Sagt halt einer, nel suo piccolo, dem die Sprachigkeit das ist, was Literatur eigentlich ausmacht.

(Neben einer gewissen Aufmerksamkeit der Poesie ebenso wie den sozioökonomischen Rahmenbedingungen des Neokapitalismus samt der mit ihm einhergehenden ReFeudalisierung und ReNationalisierung gegenüber.)

Ich darf Ihnen am Ende zitieren, was vor 125 Jahren im Der Burggräfler zu lesen stand:

Neumarkt, 1. Oktober 1889: Heut hat uns ein Ortkind, der sehr tüchtige Bau- und Möbeltischler Josef W., verlassen, um sich über das Meer zu den goldenen Bergen hinüber zu begeben. Dessen Auswanderung wäre eigentlich nicht notwendig gewesen, denn für ihn war sein eigener Heimatsort in Anbetracht der ausgezeichnet schönen Verdienste, die er sich hier mit Leichtigkeit erwarb, das schönste Amerika in vollem Sinn des Wortes. Aus diesen Gründen versuchte einer seiner Freunde, ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Aber für all die gut gemeinten Ratschläge hatte er nur die eine Antwort: »Ich bin ein Anhänger der sozialistischen Partei und mag hier nicht bleiben.«

Kurt Lanthaler, geboren 1960 in Bozen, lebt seit den 80er-Jahren als Schriftsteller in Berlin. Schrieb Romane, Prosa, Lyrik, Theater und Libretti. Installationen. Übersetzungen aus dem Italienischen.

www.lanthaler.info