Politica | EU und Wahlen 2017

Europäisches Schicksalsjahr

Die Europäische Union feiert heuer gleich zwei Jubiläen. Seit der Eurokrise befindet sie sich aber auf dem Prüfstand. 2017 steht ihr eine besondere Bewährungsprobe bevor.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Eu im freien Fall?
Foto: EUObserver

Großbritannien wird Verhandlungen über den EU-Austritt einleiten, während in einigen wichtigen Mitgliedsstaaten Wahlen anstehen, die über die Zukunft Europas und der EU entscheiden könnten.

Vor 60 Jahren, am 25. März 1957, wurden die Römischen Verträge unterzeichnet. Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande haben beschlossen, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen und einen gemeinsamen Markt aufzubauen. Damals entstanden die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft, aus denen später die Europäische Gemeinschaft (EG) hervorging. Damit war der Grundstein für die Entwicklung der EU gelegt. Vor 25 Jahren, am 7. Februar 1992, wurde aus der wirtschaftlichen Gemeinschaft dann auch eine politische. Die Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht gilt als die Geburtsstunde der Europäischen Union (EU). 12 Staaten unterzeichneten den Vertrag: neben den Gründungsmitgliedern der EWG, auch Dänemark, Großbritannien, Irland, Griechenland, Spanien und Portugal. Sie verpflichteten sich eine Wirtschafts- und Währungsunion einzuführen, die auf freiem Personen- und Warenverkehr basiert, und in der Kriminalitätsbekämpfung, sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik enger zusammenzuarbeiten. Die Mitgliedsstaaten haben einen Teil ihrer Entscheidungskompetenzen an die EU-Institutionen abgetreten, wodurch u.a. das Europäische Parlament gestärkt wurde. Und ihre Staatsbürger wurden zu EU-Bürgern, die sich frei innerhalb der EU bewegen und an EU-Wahlen teilnehmen durften.

Seit ihrer Gründung vor 25 Jahren hat sich die EU weiterentwickelt und ist stark gewachsen. Derzeit umfasst sie 28 Mitgliedsstaaten, noch. Denn mit Großbritannien wird erstmals ein Staat aus der EU austreten. Die Verhandlungen zum Austritt Großbritanniens werden voraussichtlich Ende März beginnen. Dass sich im vergangenen Juni eine knappe Mehrheit der Briten gegen einen Verbleib in der EU ausgesprochen hat, kann als Symptom für die anhaltende Krise gesehen werden, in der sich die EU derzeit befindet. Es entspricht aber auch der weltweiten Tendenz, dass nationalistische, populistische Bewegungen momentan starken Zulauf erfahren. 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge ist der Nationalismus nach Europa zurückgekehrt und europakritische Stimmen nehmen zu. Deshalb sind die bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland besonders bedeutend. Alle drei Staaten haben als Gründungsmitglieder der EWG wesentlich an der Einigung Europas mitgewirkt. In allen drei Ländern könnten europafeindliche Parteien heuer deutlich an Stimmen zulegen. In den Niederlanden und Frankreich gab es sogar Prognosen, wonach diese als Wahlsieger aus den Wahlen hervorgehen könnten. Auch wenn neueste Umfragen dies nun relativieren, könnte es ein knappes Rennen werden. Am 15. März wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Umfragen zufolge könnte die Partei der Freiheit (PVV) des Rechtspopulisten Geert Wilders 20 Prozent der Wählerstimmen für sich gewinnen, wobei die rechtsliberale Partei VVD des amtierenden Regierungschefs Mark Rutte knapp an zweiter Stelle läge. Offen ist, wie sich die vielen unentschlossenen Wähler, immerhin 40 Prozent, entscheiden werden, ob deren Stimmen eher Wilders zu Gute kommen, oder ob viele strategisch wählen, um Wilders zu verhindern. Am 23. April finden dann in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt. Kann kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen, kommt es am 7. Mai zur Stichwahl. Laut aktuellen Umfragen dürfte Marine Le Pen vom Front National im ersten Wahlgang die Nase vorn haben, aus der Stichwahl könnte aber Emmanuel Macron, der als Mann der Mitte gilt, als Sieger hervorgehen. Seit der Alt-Politiker François Bayrou seine Kandidatur zurückgezogen hat, um Macron zu unterstützen, konnte dieser deutlich an Stimmen zulegen. Der konservative Kandidat François Fillon hat unterdessen mit sinkenden Umfragewerten zu kämpfen. Am 24. September finden schließlich auch die Deutschen Bundestagswahlen statt. Seit Martin Schulz seine Kandidatur für die SPD bekannt gegeben hat, konnte sie in den Umfragen erstmals die CDU überholen. Beide vereinen rund 30 Prozent der Stimmen auf sich. Auch die AfD hat seither an Stimmen eingebüßt und dürfte derzeit auf rund 9 Prozent der Stimmen kommen.

Sowohl in Frankreich, als auch in Deutschland haben die Europakritiker seit kurzem Konkurrenz bekommen, und zwar durch zwei klare Europabekenner. Während Marine Le Pen angekündigt hat, Frankreich aus der EU führen zu wollen, unterstreicht Emmanuel Macron die Bedeutung der EU und der deutsch-französischen Kooperation. Die EU müsse aber reformiert werden, um nicht auseinanderzubrechen. In Deutschland tritt mit dem ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz gleichzeitig ein Kanzlerkandidat an, der die EU wohl wie kein zweiter verkörpert. Macron und Schulz stehen aber auch für Wandel. Schulz ist ein erfahrener Europapolitiker, hat die Bühne der nationalen Politik aber erst vor kurzem betreten. Der Jungpolitiker Macron hat zuletzt kurze Zeit als Wirtschaftsminister gearbeitet und nun für die Präsidentschaftswahlen eine eigene Bewegung („En marche!“- zu Deutsch „Auf geht‘s!“) ins Leben gerufen. Beide stehen für Veränderung und geben der Unzufriedenheit vieler Bürger somit eine alternative, europafreundliche Stimme.

Es bleibt abzuwarten, wer letztendlich als Sieger aus den Wahlen hervorgeht. Sollten proeuropäische Kräfte die Wahlen gewinnen, wäre dies noch kein Bekenntnis zu Europa, höchstens ein Etappensieg. Aber es könnte eine Chance auf Erneuerung der EU darstellen. Würde es gelingen der EU eine Neuausrichtung zu geben, könnte sie gestärkt aus den Krisen der letzten Jahre hervorgehen. Vor 60 Jahren wurden die Römischen Verträge unterzeichnet, in der Hoffnung, Frieden und Demokratie in Europa zu stärken. Die EU bleibt, trotz aller Probleme, ein unverzichtbares Instrument, um aktuelle Herausforderungen bewältigen zu können. Dies haben die EU Staats- und Regierungschefs bei einem Treffen im September 2016 bekräftigt.

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Karl Trojer Ven, 03/03/2017 - 15:51

Vielen Dank für diesen interessanten und umfassenden Beitrag und Ihr Bekenntnis zur Weiterentwicklung der Europäischen Union, die, trotz aller Unzulänglichkeiten einen Lebensraum umschließt, der weltweit der zukunftsfähigste und menschengerechteste ist. Eine weiterentwickelte EU kann für andere Kontinente Stütze für deren friedlichen Fortschritt sein.

Ven, 03/03/2017 - 15:51 Collegamento permanente