„Auf der Erde von Nutzen“
Josef Aschbacher leitet als Generaldirektor seit März 2021 die Europäische Weltraumorganisation (ESA). Zuvor arbeitete der österreichische Meteorologe und Geophysiker unter anderem beim EU-Erdbeobachtungsprogramm „Copernicus“. Anlässlich des Starts der ESA Mission Minerva diese Woche im US-Bundesstaat Florida ist Aschbacher in die USA gereist.
salto.bz: Herr Aschbacher, welche Bedeutung hat die ESA Mission Minerva für die Erforschung des Weltraums?
Josef Aschbacher: Die Mission Minerva ist eine sehr wichtige Mission, unter anderem wird ESA-Astronautin Samantha Cristoforetti in der Raumstation über 35 Europäische und noch weitaus mehr internationale Experimente durchführen, zum Beispiel zur Luftqualität in geschlossenen Räumen. Das entsprechende Gerät haben wir bereits im Dezember 2021 installiert, es heißt ANITA (Analysing Interferometer for Ambient Air). Dieses Instrument analysiert die Luftqualität regelmäßig und alarmiert die Astronaut:innen bei Auffälligkeiten. Weitere von Samantha Cristoforetti durchgeführte Experimente werden sich mit der Weltraumbiologie, der Medizin und der Materialwissenschaft beschäftigen. Außerdem arbeitet sie mit der internationalen Osteoporose-Stiftung zusammen, um das gesunde Knochenwachstum zu erforschen. Denn im Weltraum besteht die Gefahr, dass sich sowohl Muskeln als auch Knochen abbauen. Deshalb ist das Thema Osteoporose sehr wichtig. Dabei ist auch sie selbst Versuchsobjekt.
Samantha Cristoforetti ist eine ausgezeichnete und hochqualifizierte Astronautin.
Wie hängt die ESA Mission Minerva mit der übrigen Arbeit der ESA zusammen?
Die ESA Mission Minerva ist die dritte und letzte Mission einer Serie von Flügen, damit arbeitet die ESA das erste Mal insgesamt über fast eineinhalb Jahre zusammenhängend in der Internationalen Raumstation ISS. Das hat für uns auch eine symbolische Bedeutung, da wir viele Experimente durchführen können – die ISS und die internationale Partnerschaft im Weltraum ist für uns sehr wichtig. Der französische ESA-Astronaut Thomas Pesquet arbeitete dort für sechs Monate, aktuell ist der deutsche ESA-Astronaut Matthias Maurer noch auf der ISS und nun wird er von der Italienerin Samantha Cristoforetti abgelöst.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es also darum herauszufinden, wie man im Weltraum gut leben kann.
Genau, wir wollen herausfinden, wie man im Weltraum leben und forschen kann, hier ist zum Beispiel die eben erwähnte gute Luftqualität wichtig. Die Erkenntnisse sind aber nicht nur im Weltraum anwendbar, sondern die Methodik kann auch auf der Erde angewandt werden, zum Beispiel in U-Booten oder Flugzeugen. Auch in diesen geschlossenen Räumen gibt es keinen Luftaustausch und die Luft zirkuliert innerhalb des Raumes.
Wieso heißt die Mission ‚Minerva‘?
Der Name der Mission ‚Minerva‘ kommt aus der römischen Mythologie. Minerva war die Göttin der Weisheit, der Kunst und des Handwerks. Das ist sehr bezeichnend, weil es auch in dieser Mission auf Weisheit und handwerkliche Fähigkeiten ankommt.
Wieso haben Sie sich für Samantha Cristoforetti als Missionsleiterin entschieden?
Samantha Cristoforetti ist eine ausgezeichnete und hochqualifizierte Astronautin. Früher war sie Pilotin der italienischen Air Force. Sie spricht Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch und auch Chinesisch. Als Astronautin muss man zudem die Fähigkeiten haben, um in Extremsituationen schnell die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Außerdem ist es notwendig, ein guter Botschafter der Weltraumforschung zu sein, um zu erklären, was wir machen und so in der Gesellschaft Begeisterung zu wecken. Samantha Cristoforetti ist hier sicher ein Vorbild, was sie macht ist einzigartig. Sie hat sich dabei auch dafür engagiert, junge Frauen anzusprechen. Von daher ist sie eine hervorragende Kandidatin aus Italien. Die Tatsache, dass sie einen deutschen Astronauten ablöst, hat symbolischen Charakter, da Deutschland und Italien zwei wichtige Mitgliedsstaaten der ESA sind. Zuvor war der französische Astronaut Thomas Pesquet auf der Station. Durch die Reihenfolge Frankreich, Deutschland, Italien sind die großen Unterstützer der ESA vertreten.
Wie geht die ESA bei der Gleichstellung der Geschlechter vor?
Dieses Thema ist mehr sehr wichtig. Bei der ESA arbeiten viele Ingenieur:innen und Wissenschaftler:innen, die in der Weltraumtechnologie arbeiten. Allerdings ist der Frauenanteil bereits in der Ausbildung an den Universitäten gering, deshalb bewerben sich bei uns auch weniger Frauen auf offene Stellen. Dennoch will ich den Frauenanteil und die Diversität in der ESA erhöhen, das ist Teil der von mir als Generaldirektor vorgelegten Strategie Agenda 2025. Die erste große Entscheidung betraf das obere Management. Vor wenigen Monaten habe ich zwei Frauen und einen Mann als Direktor:innen ernannt. Ein weiteres Beispiel zur Erhöhung des Frauenanteils ist unser Aufruf für Bewerbungen als Astronaut:innen im Frühjahr 2021. Wir erhielten knapp 23.000 Bewerbungen für vier bis sechs offene Stellen. Von diesen 23.000 waren ein Viertel Frauen. Dies sind bereits 10 Prozent mehr als vor zehn Jahren, als wir den letzten Aufruf hatten. Aus diesen Bewerbungen sind derzeit noch etwa 400 in der engeren Auswahl, darunter 40 Prozent Frauen. Quer durch die ESA – nicht nur bei Astronauten und Direktorinnen – sollen Frauen sehr gute Chancen haben. Deshalb ist das ein Schwerpunkt bei Neueinstellungen.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Mission Minerva?
Es gibt sehr viele Herausforderungen im Rahmen einer Weltraummission. Die Astronaut:innen haben nicht nur die Aufgabe, Experimente durchzuführen, sondern sie sind auch für die Sicherheit auf der Station verantwortlich. Samantha Cristoforetti wird die Leiterin des so genannten US Operational Segments sein, die aus den Modulen und dem System der USA, Japans, Kanadas und Europas bestehen. Damit ist sie mitverantwortlich für das Management der Station. Daneben müssen Astronaut:innen viele Routinearbeiten durchführen, um die Sicherheit und Instandhaltung der Station zu gewährleisten. Um den Muskel- und Knochenschwund zu reduzieren, machen sie außerdem täglich für etwa zwei Stunden Fitness Training auf einem Laufband.
Die Weltraumstation wird durch Solarenergie betrieben, viel wird recycelt.
Es scheint ein ziemlicher Aufwand zu sein, im Weltraum zu leben.
Ein Astronaut zu sein, ist kein Touristenausflug. Sie haben einen vollen Arbeitsplan sechs Tage pro Woche. An einem Tag haben sie frei, nutzen ihn aber sowohl für Privates als auch für die Öffentlichkeitsarbeit. Da die Raumstation 16-mal pro Tag die Erde umrundet, wird nach der Koordinierten Weltzeit (Coordinated Universal Time - UTC) gearbeitet. Somit richtet sich die Schlafenszeit also nicht nach der Dunkelheit, sondern nach der Weltuhrzeit, da es durch die Umlaufbahn der Raumstation 16 Sonnenauf- und -untergänge gibt.
Welche Forschungsfelder betreut die ESA?
Unsere Forschungsfelder sind sehr vielseitig, von der Beobachtung der Erde bis hin zur Erforschung des Weltraums. Ein wichtiger Punkt ist dabei, die Zerbrechlichkeit der Erde durch den Weltraum zu sehen und zu kommentieren. Samantha Cristoforetti wird, wie ihre Kolleginnen und Kollegen auch, viele Videokonferenzen mit Schulklassen, Medien und der Öffentlichkeit machen. Das ist immer sehr beeindruckend. Wie unsere Astronaut:innen mir erzählen, ist es faszinierend, die Erde und ihre dünne, zerbrechliche Atmosphäre zu beobachten. Man realisiert, wie schön und fragil die Erde ist. Deshalb sind sie exzellente Botschafter:innen zu den Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit.
Gleichzeitig verursachen Astronaut:innen aber auch viele Treibhausgasemissionen.
Nicht sehr viele. Abgesehen vom Abflug auf der Erde in den Weltraum sind unsere Weltraummissionen sehr nachhaltig gestaltet. Die Weltraumstation wird durch Solarenergie betrieben, viel wird recycelt. Mehr als 90 Prozent des Wassers, das in der Raumstation verbraucht wird, wird wiederverwendet. Dazu zählen auch Verdunstungen wie Schweiß und auch Urin. Diese Vorgehensweise ist auch auf der Erde angesichts von Wasserknappheit vorbildlich.
Gibt es Leben außerhalb dieses Planeten Erde?
Wie sieht Ihre Agenda 2025 aus?
In der Agenda 2025 habe ich Nachhaltigkeit stark verankert, bis 2030 sollen 46,2 Prozent (Vergleichsjahr 2019) der Treibhausgase der ESA reduziert werden. Das empfiehlt der IPCC (Weltklimarat, Anmerkung d. R.). Das betrifft alle Bereiche, von dem Strom in den Gebäuden, über Heizungen bis zu Sanierungen. Auch Dienstreisen werden reduziert oder kompensiert (CO2-Emissionen werden bei der Kompensation durch Klimaschutzprojekte ausgeglichen, Anmerkung d. R.). Für die Umsetzung ist ein neu eingerichtetes Büro unter Leitung des ESA Climate and Sustainability Officers zuständig.
Wie hat Sie Ihre vorherige Arbeit im EU-Erdbeobachtungsprogramm bezüglich Nachhaltigkeit geprägt?
Im Erdbeobachtungsprogramm war Klima ein sehr wichtiges Thema. Die Forschung, die wir im Weltraum betreiben, soll den Menschen auf der Erde von Nutzen sein und unser Leben auf der Erde auch in Zukunft sicherstellen.
Was fasziniert Sie am Weltraum?
Der Weltraum ist aus vielerlei Blickwinkeln faszinierend, etwa die bestmögliche Nutzung von Hochtechnologie im Weltraum, um unseren eigenen Planeten zu schützen. Es fasziniert mich bereits mein Leben lang, die Erde aus dem All zu beobachten, um die Klimaveränderungen besser zu verstehen. Um das globale Klima zu messen, gibt es mehr als 50 Klimaparameter, etwa die Luft- und Wassertemperatur, das Abschmelzen des Polareises, der Salzgehalt oder die CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Die Hälfte dieser Parameter kann entweder nur oder am besten mit Satelliten aus dem Weltraum beobachtet werden.
Und was ist mit der Erforschung anderer Himmelskörper?
Natürlich gibt es die Inspiration, auf den Mond oder Mars zu gehen und andere Planeten zu erkunden. Vielleicht auch um die Fragen zu beantworten, wo wir herkommen und wohin wir gehen. Was ist der Ursprung des Lebens? Gibt es Leben außerhalb dieses Planeten Erde? All diese Fragen erforschen wir mit Weltraumtechnologie und das ist wirklich sehr faszinierend.