Società | Affäre Kuhn

Erlkönig im freien Fall

Acht bei den Tiroler Festspielen beschäftigte Männer bestätigen die Vorwürfe gegen Gustav Kuhn. Zudem kommen jetzt erstmals auch Übergriffe in Lucca zur Sprache.
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Foto: Tiroler Festspiele Erl
Es sind nur sieben Zeilen.
Die wenigen Worte wiegen aber schwer.
Erstmals haben sich in der Affäre um den Dirigenten und Intendanten der Tiroler Festspiele Erl, Gustav Kuhn, Musiker und Beschäftigte der Festspiele zu Wort gemeldet um öffentlich die Missbrauchsvorwürfe gegen den Maestro zu bestätigen und den betroffenen Frauen ihre Solidarität auszusprechen.
In der auf den 28. September 2018 datieren „Solidaritätserklärung“ heißt es:

 
„Auch wir Männer, die wir als Künstler und Mitarbeiter unter Gustav Kuhn in Erl tätig waren, haben dort übergriffiges Verhalten in vielerlei Hinsicht und strukturelle Gewalt gegenüber Frauen und Männern erlebt.
Wir solidarisieren uns daher mit den Verfasserinnen des „Offenen Briefes“ vom 25. Juli 2018 und unterstützen die Forderung nach definitiver Entlassung Gustav Kuhns aus allen Funktionen des Festspielbetriebs von Erl.“
 
Unterzeichnet ist das Schreiben von den Trompetern Vjeran Jezek, Tobias Karall, Johannes Lugger, den Volinisten Alfons Puschej und Philipp Weschke, sowie dem Bassisten Martin Snell. Zu den sechs international bekannten Musikern finden sich auf dem Papier aber auch die zwei Unterschriften hochkarätiger Erler Mitarbeiter. Christoph Ziermann hatte von 2011 bis 2015 in Erl die Leitung der Abteilungen Marketing und Kammermusik über. Jan Hax Halama war von 2012 bis 2015 Chefbühnenbildner in Erl.
 
Ziermann und Halama haben offen mit der Profil-Redakteurin Edith Meinhart gesprochen, die in der aktuellen Ausgabe des österreichischen Wochenmagazins unter dem Titel „Hier spricht der Erl-König“ eine große Geschichte über die Machenschaften von Gustav Kuhn verfasst hat. Dabei geht es nicht nur um einen „Einblick in das Reich eines Despoten“, sondern zwei Sängerinnen erheben erstmals namentlich detaillierte, schwere Missbrauchsvorwürfe gegen den Maestro.
 

Die Affäre

 
Die Chronik der Affäre ist bekannt. Im Februar 2018 beginnt Markus Wilhelm auf seiner Seite „dietiwag.org“ ersten Enthüllungen über Gustav Kuhn und Erl zu veröffentlichen. Neben Lohndumping ist dabei von Anfang an von sexuellen Übergriffen des Maestro die Rede. Lange Zeit werden die Vorwürfe anonym erhoben.
Gustav Kuhn und dessen Mäzen, der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner überziehen den Tiroler Blogger Wilhelm daraufhin mit über einem Dutzend Strafanzeigen und Zivilklagen. Ein Großteil der Verfahren ist noch vor dem Landesgericht Innsbruck anhängig. Zudem ermittelt seit über einem halben Jahr die Staatsanwaltschaft Innsbruck. Seit einigen Wochen beschäftigt sich auch die Gleichbehandlungskommission im Wiener Bundeskanzleramt mit dem Fall.
Am 25. Juli 2018 treten fünf Musikerinnen dann mit einem „Offenen Brief“ namentlich an die Öffentlichkeit und werfen Gustav Kuhn „anhaltenden Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe“ vor.
Kuhn wird als Intendant der Erler Festspiele beurlaubt. Vor zwei Wochen dann scheidet der Maestro vorerst auch als Dirigent in Erl aus. Gleichzeitig dokumentiert Markus Wilhelm mit neuen Dokumenten, wie man aus dem engsten Umfeld Kuhn versucht, potentielle Zeuginnen einzuschüchtern und Solidaritätsbekundungen für den Maestro zu organisieren.
 
Einige der Musikerinnen, die sich an die Öffentlichkeit gewandt haben, haben plötzlich Schwierigkeiten Engagements zu erhalten. Das dürfte jetzt auch den Ausschlag für den Solidaritätsbrief der acht Männer gegeben haben.


Das Angebot

 
Dass Gustav Kuhn langsam aber sicher die Leopardenfelle davonschwimmen, dass wird an einer anderen bisher kaum bekannten Episode deutlich.
Bereits im Frühsommer 2019 hat der Anwalt und kurzzeitige österreichische FPÖ-Justizminister Michael Krüger, er vertritt Gustav Kuhn, Hans Peter Haselsteiner und die "Tiroler Festspiele Erl Bertriebs mbH", dem Ötztaler Aufdecker MArkus Wilhelm einen Generalvergleich vorgeschlagen.
 
 
Krüger hat dem Anwalt Wilhelms eine „Vertraulichkeitsvereinbarung“ vorgelegt. Der Inhalt: Keine weitere Berichterstattung über die unhaltbaren Zustände bei den Festspielen Erl. Im Gegenzug werden alle Klagen gegen Wilhelm zurückgezogen.
Markus Wilhelm spricht von einem „Maulkorb“ und einem „Knebelvertrag“. Der Tiroler Blogger unterzeichnet die Vereinbarung selbstredend nicht und veröffentlicht das Schrifstück vergangene Woche auf seiner Homepage.
 

Tatort Lucca?

 
Die Profil-Reporterin Edith Meinhart recherchiert seit Monaten zur Causa Kuhn. Von Anfang ist die Journalistin dabei auch mit Julia Oesch und Manuela Dumfart in Kontakt. Die deutsche Mezzosopranistin Oesch und die oberösterreichische Opernsängerin Dumfart sprechen jetzt im Profil-Artikel erstmals über die Vorfälle, die sich in Italien ereignet haben sollen.
Gustav Kuhn ist seit vielen Jahrzehnten in Italien tätig. Bereits 1987 gründete er in Montegridolfo bei Pesaro die „Accademia di Montegridolfo“, einen Ausbildungsstätte für junge Sänger und Sängerinnen. Fünf Jahre später benennt er die Akademie in „Accademia di Montegral“ um und übersiedelt im Jahr 2000 in das malerische „Convento dell'Angelo“ in Lucca in der Toskana.
Oesch und Dumfart schildern im Profil sexuelle Übergriffe, die sich in Lucca ereignet haben sollen. Die Schilderungen werden dem Wochenmagazin auch von Zeugen bestätigt.
Spätesten damit aber wird die Causa Kuhn auf eine neue Ebene gehoben.
 

Schweigen in Südtirol

 
Auffallend ist: In Südtirol wird zur Affäre Kuhn eisern geschwiegen.
Dabei galt der Maestro jahrzehntelang auch in Südtirol als kulturpolitische Lichtgestalt. Gustav Kuhn war von Januar 2003 bis Dezember 2012 künstlerischer Leiter des Haydn-Orchesters von Bozen und Trient. Und er gründete auf Anregung des damaligen Landeshauptmannes Luis Durnwalder 2010 auch die Festspiele Südtirol in Toblach, die der Karajan-Schüler bis 2012 dann auch leitete.
 
Kann es sein, dass Gustav Kuhn sich in Erl und in Lucca so benommen hat, in Bozen aber den Vorzeigeknaben gab? Wohl kaum. Hinter vorgehaltener Hand gibt es auch Erzählungen und Schilderungen ähnlicher Vorfälle rund um das Haydnorchester. Nur niemand traut sich bisher an die Öffentlichkeit.
Dasselbe gilt für Lucca. Gustav Kuhn war Jahrezehnte lang fixer Bestandteil der Südtiroler Bussi-Bussi-Gesellschaft. Südtirols Hautevolee ging und geht im „Convento dell'Angelo“ ein und aus. Dutzende Südtiroler Sänger und Sängerinnen und Kulturtreibende waren im Kuhn Kloster in den vergangenen 18 Jahren zu Gast.
Gesehen oder gehört hat dabei aber anscheinend niemand etwas.