Cultura | Nachruf 2
Nicht nur Tannen und Fichten
Foto: Lorena Munforti
Ende März hatte mir Joseph geschrieben, er sei endlich aus dem Krankenhaus entlassen worden und hoffe, am Palmsonntag für die Ukraine-Benefizveranstaltung im Bozner Stadttheater fit zu sein. Er sollte einen Text von Serhij Zhadan lesen, doch dann mußte er leider aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen.
Wir simsten zuletzt noch am Montag, vor drei Tagen, ich hatte ihm gute Besserung gewünscht, weil ich erfahren hatte, daß seine Lyriklesung in Lana abgesagt worden war. Joseph antwortete auf meine SMS, was mich wiederum beruhigte – ich sah ihn schon auf dem Weg der Besserung. Wir hatten ja ausgemacht, daß ich ihn im Sommer in Terenten besuchen würde, nun kann ich ihn nur noch in seinen Büchern besuchen.
Wir simsten zuletzt noch am Montag, vor drei Tagen. Joseph antwortete auf meine SMS, was mich wiederum beruhigte – ich sah ihn schon auf dem Weg der Besserung.
Als junge Schriftstellerin war mein Verhältnis zu seiner Autorengeneration naturgemäß ein kritisches, für den Roman „Die Walsche“ (1982) fand ich damals nicht nur lobende Worte, manches war mir zu offensichtlich gezeichnet, die Darstellung der italienischen und deutschsprachigen Welt zu wenig differenziert. Er wiederum hatte meinen Debütroman „Aushäusige“ mit den Worten kommentiert: „Habe ich alles schon geschrieben.“
Es ist fraglos Joseph Zoderers Verdienst, für die Südtiroler Wirklichkeit, die interethnischen Konflikte, nicht nur in dem Roman „Die Walsche“ eine literarische Sprache gefunden zu haben, welche diese Thematik einem größeren, internationalen Publikum näherbringen konnte, wenngleich er dafür auch (auf Druck des Verlages?) sprachliche Zugeständnisse, beispielsweise an das Bundesdeutsche, in Kauf genommen hatte. Viele Leser und Leserinnen in Italien aber auch in anderen Ländern (der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt) wurden erst durch „Die Walsche“ für die spezifischen Lebensrealitäten des mehrsprachigen italienischen Nordens sensibilisiert. Freilich war das schon durch den Roman „Das Glück beim Händewaschen“ geschehen, der fünf Jahre zuvor erschienen war, der aber nicht diese Reichweite erfahren hatte und sollte auch noch im Roman „Der Schmerz der Gewöhnung“ (2002) und in der Erzählung „Wir gingen“(2004) eine Fortsetzung finden.
Die ernsthafte Auseinandersetzung mit Texten ist die einzige ehrliche Form der Anerkennung.
Die ernsthafte Auseinandersetzung mit Texten ist die einzige ehrliche Form der Anerkennung, das konstatierten wir beide, während wir im April 1999 – Anlaß war eine gemeinsame Lesereise - durch Niedersachsen reisten. Zum ersten Mal hatten wir genug Zeit, um einander persönlich kennenzulernen und offen über uns und unsere Texte zu sprechen. „...am liebsten denke ich an unser Lachen im Zug durch Norddeutschland“ schrieb er mir noch viele Jahre später in seinen 2007 erschienen Gedichtband „Liebe auf den Kopf gestellt“.
Sein Humor, seine Belesenheit, seine Kommentare zu den politischen Ereignissen jener Zeit, zum Kosovo-Krieg, zu unseren damaligen Lektüren, sie haben mich, die um eine Generation jüngere, die erst ein schmales Buch publiziert hatte, beeindruckt und für ihn eingenommen.
Damals, in Braunschweig oder Lüneburg, erfuhr ich auch, daß das f in seinem Vornamen erst in den Siebziger Jahren aus Bewunderung für Joseph Conrad zu ph wurde, daß er sich als österreichisch geprägten deutschsprachigen Autor mit italienischem Paß sah und daß es ihn zurecht störte, daß man ihn aufgrund des Erfolges der „Walschen“ in erster Linie als „Südtiroler Schriftsteller“ bezeichnet hatte.
Er war ein Poet, ein genauer Beobachter, ein literarischer Zeitzeuge der letzten vier Jahrzehnte.
Nicht nur die zahlreichen Übersetzungen seiner Bücher bezeugen: Er war weit mehr als das, er war ein Poet, ein genauer Beobachter, ein literarischer Zeitzeuge der letzten vier Jahrzehnte, dessen umfangreiches Werk bei den frühen Dialektgedichten „S‘ Maul auf der Erd“ und „Pappendeckelgedichte“ in den Siebzigern seinen Ausgang genommen hat und über die literarisch-historische Beschäftigung mit Südtirol hinaus sich unterschiedlichsten Themen und Landstrichen widmet: In dem Roman „Lontano“ befinden wir uns mit dem männlichen Protagonisten in den USA, es ist ein Blick von einem anderen Kontinent auf die Verhältnisse, die die Figur in Südtirol zurückgelassen hat, der Versuch einer Selbstwahrnehmung im fremden Kontext, wo der Vorgang des Reisens eine Art Verwandlung und Erkenntnis herbeiführt.
In „Das Schildkrötenfest“ (1995) entführt uns Zoderer nach Mexiko, und obwohl auch hier die Hauptfigur deutscher Muttersprache ist und einen italienischen Paß besitzt, spielt Südtirol keine Rolle mehr. Den Roman las ich damals bei Erscheinen wie einen Befreiungsschlag, wie den Versuch Zoderers, die Zuschreibung „Südtiroler Autor“ abzuschütteln. Manche Leser und Leserinnen, die seine „Südtirol“-Bücher lieben, verziehen ihm seine Streunereien in die amerikanische Hippiekommune von Mexiko nicht.
Es wäre falsch, Zoderer, das früh entwurzelte Optantenkind, auf den Kontext Südtirol zu reduzieren oder ihn aufgrund seiner bis zuletzt ausgestrahlten Jugendlichkeit und Lebendigkeit nicht als das zu sehen, was er war: ein Vertreter der vor dem Zweiten Weltkrieg Geborenen. Die von ihm beschriebenen Abgründe in Liebesbeziehungen müssen im historischen Kontext gesehen werden, ebenso seine labilen und oftmals zerrissenen Figuren,
die keinen rechten Platz in der Welt finden, sie sind geprägt von ihrer Zeit, von einer anderen Sozialisation als es meine Generation ist oder die Generation der Millennials.
Es wäre falsch, Zoderer, nicht als das zu sehen, was er war: ein Vertreter der vor dem Zweiten Weltkrieg Geborenen.
„Meine Bäume im Zimmer / erzählen mir von der Zärtlichkeit des Windes“ steht in seinem letzten Gedichtband „Bäume im Zimmer“(2022). Das lyrische Ich zweifelt, ob diese Bäume Wald werden.
Ich bin mir sicher: Sie sind Wald. Zoderers Poetische Wälder.
Es sind prachtvolle Wälder, die nicht nur aus Tannen und Fichten bestehen, sondern auch aus Kokospalmen, Kakteen, aus Avocado- und Mangobäumen – es ist eine üppige Landschaft, die sich auftut.
Durch die werde ich, werden wir weiter gehen, mit großer Dankbarkeit und Staunen.
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Grazie Sabine cara. Il tuo
Grazie Sabine cara. Il tuo intervento su Joseph (come in grandissima parte anche i commenti ospitati in un altro articolo pubblicato qui oggi 2 giugno, Aldo Mazza per primo) ha grande un peso specifico (amicale, critico, letterario). Se credete, abbandoniamo però frasette come "Joseph ci mancherà...". Lui è ancora qui, non solo con i suoi libri. Un abbraccio forte a Sandra e ai ragazzi, dopo le nostre telefonate.
Eine feine Hommage. Danke.
Eine feine Hommage. Danke.
Zoderer hätte ja für sein großartiges Werk schon lange den Büchnerpreis bekommen müssen, wahrscheinlich war er dafür zu weit dem Frankfurter Literaturbetrieb entfernt.
Einer seiner besten Romane ist für mich "Die Farben der Grausamkeit". Die Zerrissenheit des Liebenden, dann die Stadt/Landbilder und das Ringen um/mit neuer Architektur beim Umbau des alten Hauses. Einfach großes Kino.