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Le Pen auf dem Weg zur Macht

Der Rassemblement National ist landesweit die stärkste Kraft. Die Stichwahl am 7. Juli könnte die extreme Rechte an die Regierung bringen.
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Foto: Deutschlandfunk
  • Angekündigte Revolutionen finden nicht statt“ lautet der Spruch, angekündigte Katastrophen offenbar schon. Nach seiner krachenden Niederlage bei der EU-Wahl, bei der schon knapp 40% der Stimmen an Parteien der extremen Rechten gingen und keine 15% an die Präsidenten-Partei, ergriff Emmanuel Macron die Flucht nach vorn. Mit der Ausrufung von Parlamentswahlen in nur drei Wochen, hoffte er sowohl die bürgerliche Rechte als auch die Parteien des zerfallenen Linksbündnisses so zu schwächen, dass er sich und seine Partei, wie schon in der Vergangenheit, als einzigen „Damm“ gegen Marine Le Pen inszenieren kann. 

     

    Eine Zwangs-„Cohabitation“ mit Präsident Macron würde die rechte Wende nicht verhindern und Frankreich lähmen.

  • Macrons Harakiri

    Wie die Zeitung „Le Monde“ recherchiert hat, hatte Macron mit einem halben Dutzend Eingeweihten schön länger über vorgezogene Neuwahlen reflektiert. Seit den letzten Wahlen 2022 nur mehr über eine relative Mehrheit in der Assemblèe Nationale verfügend, konnte Macron Gesetze nur mehr mit Hilfe der rund 60 Deputierten der sehr weit nach rechts gewanderten Neogaullisten beschließen. Der erhoffte Befreiungsschlag wurde allerdings zum fatalen Eigentor. Wie abgehoben, wie realitätsfremd müssen Macron und jene Handvoll „eingeweihter Berater“ sein, um zu glauben, dass sich der Stimmen-Tsunami für Le Pen & Co. nur drei Wochen nach der EU-Wahl nicht wiederholen werde? 

  • Emmanuel Macron: Der erhoffte Befreiungsschlag wurde zum fatalen Eigentor. Foto: Upi
  • Ebenso fragwürdig war Macrons Strategiewechsel im kurzen Wahlkampf. Bisher hatte seine Partei „Renaissance“ im Bündnis mit drei kleinen Zentrumsformationen bei allen Wahlen zur Verhinderung der extremen Rechten aufgerufen und dadurch bei Stichwahlen auf die Stimmen der Linken zählen können. Jetzt lautete der Slogan plötzlich „Keine Stimme für die Extremen“ – also weder für die Lepenisten, aber auch nicht für die stärkste Kraft im neu vereinten Linksbündnis „Nouveau Front Populaire“, nämlich der Partei „La France Insoumise“ (das unbeugsame Frankreich). 

  • Jean-Luc Mélenchon: Antisemitische Töne hörbar. Foto: fondazione feltrinelli
  • Den Unbeugsamen und ihrem als Volkstribun recht erfolgreich auftretenden Chef Jean-Luc Mélenchon wird nicht nur Linksradikalität bei sozialen, arbeitsrechtlichen und gesellschaftspolitischen Fragen vorgeworfen. Für heftige Kritik selbst seitens seiner Partner im Linksbündnis sorgen die Aussagen zum Nahost-Krieg und zu Israel. In der Tat hat Mélenchon die Solidarität mit den Palästinensern und die Kritik an Israel schon ins Zentrum seines Wahlkampfs zur EU-Wahl gerückt. Dabei waren antisemitische Töne und etwa die Weigerung Mélenchons, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen, mehr als befremdlich. Aber deshalb „La France Insoumise“ mit dem „Rassemblement National“ Le Pens auf eine Stufe zu stellen, fördert eher die Banalisierung der extremen Rechten. Das wird wiederum nicht ohne Folgen für das Stimmverhalten vieler gemäßigt linker Wählerinnen und Wähler bei den anstehenden Stichwahlen bleiben.

  • Die drei Blöcke

    Die Wahl am Sonntag hat das Macron-Bündnis „Ensemble“ mit 21% der Stimmen zur dritten Kraft degradiert. Das Linksbündnis „Nouveau Front Populaire“ gewann im Vergleich zu 2022 3% dazu und steht mit knapp 28% auf Platz zwei. An vierter Stelle rangieren die Neo-Gaullisten „Républicains“ mit 6,6%, nachdem ihr Parteichef Éric Ciotti mit einem Teil der Abgeordneten zur Le-Pen-Partei übergelaufen ist. Und eindeutig schon jetzt die Partei der relativen Mehrheit ist Marine Le Pens „Rassemblement National“ (+Ciotti) mit 33,15%.

  • Foto: ZDF/Heute
  • Dass diese Wahl von grundsätzlicher und folgenschwerer Bedeutung ist, hat einen starken Motivationsschub und eine erstaunliche Wahlbeteiligung von 66% bewirkt – in den vergangen Jahren lag sie bei knapp 50%.  Aber gerade dadurch wird diesmal die Anzahl der Wahlbezirke, in denen nicht nur zwei, sondern drei Kandidaten zur Stichwahl stehen enorm hoch – voraussichtlich an die 300 von 577 Bezirken. 
    Alles entscheiden wird deshalb, inwieweit die Vereinbarungen der Parteien schlagend werden. Traditionell galt die Regel des „Front Républicain“: d.h. wenn zwei Kandidaten des Verfassungsbogens einem der extremen Rechten gegenüber stehen, zieht sich der stimmenmäßig schlechter Platzierte zugunsten jenes mit der größeren Siegeschance zurück. 

  • Foto: NZZ
  • Während das Linksbündnis vor und nach der Wahl die Einhaltung dieser Regel bekräftigt und sie von den anderen Parteien eingefordert hat, blieben Macron und seine Partei ambivalent. Der Präsident begnügte sich mit einer schriftlichen Aussendung, in der er zu einer „breiten demokratischen und republikanischen Sammlungsbewegung gegen das «Rassemblement National“ aufrief. Klarer und deutlicher appellierte etwas später Regierungschef Gabriel Attal vor den TV-Kameras: „Keine Stimme für den Rassemblement National!“ Es gehe darum, zu „zu verhindern, dass das ‹Rassemblement National› im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit erlangt, die Nationalversammlung dominiert und das Land mit seinem verhängnisvollen Programm regiert.“ 

  • Regierungschef Gabriel Attal: Verhindern, dass das ‹Rassemblement National› das Land mit seinem verhängnisvollen Programm regiert.“ Foto: upi
  • Aber prompt meldeten sich etliche sehr prominente Persönlichkeiten aus dem Macron-Lager und gemäßigte Sozialdemokraten sowie Zentristen: für sie gelte „keine Stimme für Le Pen, aber ebenso keine Stimme für Mélenchon“. Und die neo-gaullistischen „Républicains“ geben überhaupt keine Wahlempfehlung ab.
    Dementsprechend mit Vorsicht sind auch die Projektionen und Vorhersagen über die mögliche Verteilung der Sitze in der Assemblée Nationale zu werten. Die beiden angesehenen Meinungsforschungsinstitute IFOP und IPSOS, die sowohl bei der EU-Wahl als auch bei diesem 1. Wahlgang relativ genaue Prognosen gemacht hatten, sagen dem Rassemblement maximal 270, bzw. 280 Sitze voraus. Die absolute Mehrheit liegt bei 289 (von 577). Ein bisher wenig bekanntes Institut Elabe prognostiziert sogar bis zu mehr als 300 Sitzen, lag aber schon bei den Wahlprognosen drastisch daneben. 

  • Foto: NZZ
  • Rechtswende oder Unregierbarkeit…. oder beides?

    Das Szenario Nummer 1 heißt „Cohabitation“. Sollte der Rassemblement National die absolute Mehrheit erlangen oder von den Neo-Gaullisten oder den kleineren „Divers Droite“ (verschiedene Rechte) ein Dutzend Abgeordnete einbinden können, dann käme es zur Zwangsehe der extremen Rechten mit Emmanuel Macron. In Gesprächen mit Vertrauten soll Macron für diesen Fall angekündigt haben, er werde dann eine „Kampf-Cohabitation“ betreiben. Die vom legendären General Charles De Gaulle 1957 geschaffene Verfassung hat den Präsidenten mit starken Kompetenzen ausgestattet. 
    Der Präsident ernennt (theoretisch) wen immer er will zum Premierminister und hat ein Vetorecht bezüglich der Minister. Theoretisch. Denn ohne alternative Mehrheit im Parlament, stünde der Präsident ohne Einigung vor der Regierungsunfähigkeit.

  • Jacques Chirac: Schwierige Cohabitation Foto: elysee.fr
  • Der Präsident leitet den wöchentlichen Ministerrat und gibt die Tagesordnung vor – in der Regel in Absprache mit dem Regierungschef.
    Vor allem aber ist der Präsident der Chef der Streitkräfte und einzig Befugter zum Einsatz der Nuklearwaffen. Ohne seine Zustimmung können auch keine internationalen Abkommen geschlossen oder aufgekündigt werden. 
    Zugleich heißt es in der Verfassung aber auch, dass der Regierungschef mit dem Außenminister und Verteidigungsminister ebenso für die Außenpolitik zuständig ist. Bei den drei bisherigen „Cohabitations-Regierungen“ unter Francois Mitterrand und Jacques Chirac gab es diesbezüglich nicht wenige Spannungen – soweit, dass zum Beispiel Chirac und sein sozialistischer Premier Lionel Jospin gemeinsam zu den EU-Ratssitzungen fuhren.
    Und schließlich ist der Präsident auch Garant für die „cohésion sociale“, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Nation verantwortlich. Also kann er sich weigern, ein Gesetz zu unterzeichnen, von dem er meint, es gefährde diese Kohäsion – ein Mittel zu dem Mitterrand mehrmals gegriffen hat. 

    Das Szenario Nummer 2 wäre eine zwar starke relative Mehrheit der Le-Pen-Partei, aber zwei ebenso bedeutende Blöcke aus Macron-Bündnis und Links-Bündnis. Derzeit hoffen sowohl Macronisten als auch die Linken, dass sie in so einem Fall genügend Abgeordnete des anderen Lagers überzeugen könnten, eine Art Koalition der „nationalen Not“ einzugehen. Angesichts der offen feindlichen gegenseitigen Ablehnung, dem völligen Glaubwürdigkeitsverlustes Macrons als Präsident und Person und nicht zuletzt angesichts der radikalen programmatischen Gegensätze der beiden Blöcke, bleibt eine solche Lösung höchst unwahrscheinlich. 

  • Macron, Le Pen: Letzte Ausweg eine Koalition der nationalen Not? Foto: ggggg
  • Das Szenario Nummer 3 könnte schließlich die Ernennung einer Regierung aus überparteilichen Experten und Technokraten sein, um die Unregierbarkeit zu vermeiden. Im Unterschied zu Italien oder anderen europäischen Staaten, haben im zentralistisch geführten Frankreich der Fünften Republik De Gaulles weder Koalitionen noch „unabhängige“ Regierungskabinette Tradition. Und bedenkt man, dass sich die Protest- und Wutstimmen für Marine Le Pen ebenso wie für Mélenchon ganz dezidiert auch selbst als Stimmen gegen „die Eliten, gegen die Technokraten in Paris und Brüssel und gegen den hochnäsigen Präsidenten“ definieren, dann scheint auch diese Variante kaum gangbar.

     

    Emmanuel Macron hat die selbstzerstörerische Auflösung des Parlaments und die überstürzten Neuwahlen mit der Notwendigkeit begründet, Klarheit zu schaffen. Ob der kommende Sonntag diese Klarheit bringen wird, bleibt offen.

     

     

    Emmanuel Macron hat die selbstzerstörerische Auflösung des Parlaments und die überstürzten Neuwahlen mit der Notwendigkeit begründet, Klarheit zu schaffen. Ob der kommende Sonntag diese Klarheit bringen wird, bleibt offen. Dann ist es jedenfalls an der Zeit die Gründe für die französische Zerrissenheitskrise und deren Konsequenzen für ganz Europa zu analysieren.