Cronaca | Schließung der Bezirksgerichte

Der Herr im Gericht

Das Schweigen in den Gerichtsstuben bricht. In einem Brief an den Staatspräsidenten Napolitano schreibt die Gerichtskanzlistin Anna Maria Engl: „Diese Reform hat keinen Sinn.“
ecotex_oew_2022_s_33.jpg
Foto: OEW Ecotex

Man traf sich im Brunecker Hotel Post, von jeher Treffpunkt verschworener Pustertaler Kreise, die Bewegung bringen wollten in scheinbar harte Front. Diesmal war es das Treffen der Pustertaler Rechtsanwälte, die Rekurs eingereicht hatten beim Verwaltungsgericht. Einen Erfolg können sie schon verbuchen, nämlich die Aussetzung der Schließung der Gerichtsaußenstellen von Bruneck, Brixen, Meran und Schlanders bis zum 20. August. Dann befindet das Richterkollegium.

Die Anwälte trafen sich am 2. August nicht allein im Hotel Post. Zugegen auch, Vertreter der Bezirksgemeinschaft Pustertal, freiberuflich schaffende Rechtsanwälte und Anna Maria Engl, Urgestein am Brunecker Bezirksgericht. Dazu gebeten hatten sie die Medien, das Wort an Andreas Leiter, einer der 34 Anwälte und Anwältinnen, die ankreiden. „Wir haben erhoben und wollen aufzeigen, dass mit den Schließungen der Gerichtsstellen kaum Kosten gespart werden. Vielmehr belastet die Schließung die BürgerInnen mit mehr Kosten“, berichtet Leiter. Er ist dynamisch, aktiv, Leiter ist Sohn einer in Bruneck angesehenen Anwaltsfamilie - seit Generationen.

„Menschen vertrauen uns“

Anna Maria Engl steht auf. Die politische Entscheidung aus Rom will sie nicht länger hinnehmen. „Vor einigen Tagen saß auf der Bank vor der Gerichtskanzlei ein älterer Herr und hat gewartet. Die Kanzlei öffnet um halb zehn. Er ist da gesessen und hat gewartet, dass wir ihn hereinbeten. Er ist der Vormund seines Sohnes, immer wieder kommt er zu uns.“ Engl ist bewegt und betroffen: „Ich musste dem Mann sagen, dass er dann wohl bald den Zug nach Bozen nehmen wird, um zum Gericht zu kommen. 'Ja, ja', sagt er, 'geht in Ordnung.'“ Dieses Vertrauen der Menschen, dass wir wissen was wir tun, das hat mich bewegt“, berichtet Engl. „Denn wir haben ja nichts entschieden, und doch stehen wir mit unserem Gesicht da und stehen für etwas ein.“

Folgen für die BürgerInnen

Engl will nun nicht länger zuschauen, will Öffentlichkeit herstellen. In einem Brief an den in Sexten weilenden Staatspräsidenten Giorgio Napolitano berichtet sie von ihrem Zusammentreffen mit "dem Herrn vom Gericht". Ein Beispiel sei dies, sagt die Beamtin, dass es sehr wohl große Folgen für die Menschen im Pustertal haben wird, wenn es das Gericht hier nicht mehr geben soll. Es ist kein einzelner Ruf mehr, der Engl vorauseilt, es ist nicht mehr nur ein politischer. Der Ruf nach einem Hinschauen, einem Prüfen ist laut geworden. Und alle sind sich einig, Rechtsanwälte, Mitarbeiter des Gerichts und der Bezirksgemeinschaft: Die 67.000 Euro, die die Gerichtsstelle Bruneck jährlich kostet, spart sich der Staat nicht ein. “Wir sind in einem staatseigenen Gebäude, Strom, Putzfrau und Telefon, diese Kosten übernimmt die Gemeinde. Der Staat kann sich unsere Gehälter nicht einsparen, wenn wir nach Bozen wechseln. Wo also ist die angekündigte Effizienz dieser Reform?“, fragt Engl. Dabei befand der Napolitano schon Anfang Juni "kein Diskussion, die Bezirksgerichte müssen schließen."

Das Gutachten der Rechtsanwälte zum Thema Kosteneinsparungen soll nächste Woche detailliert vorgestellt werden. Anna Maria Engl ist sich gewiss: „Eine Reform so durchzuboxen, eine gut funktionierende Aussenstelle zu schließen, die Leute so zu opfern, da verliert man doch vor den Bürgern sein Gesicht.“ Ihr Gesicht hat Frau Engl gewahrt, vor und für die BürgerInnen.