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Foto: Salto.bz
Cronaca | 

Der Sturz des Patriarchen

Silvio Berlusconi ist gestürzt, als fast niemand mehr daran glaubte. Nicht über ein Urteil, sondern über sich selbst. Seinen Abgang hatte er sich sich anders vorgestellt. Er war davon überzeugt, als "bester Regierungschef Italiens" in die Geschichte der Republik einzugehen. Seine nächtliche TV-Rede gestaltete er zu einem gespenstischen Auftritt von Größenwahn, Selbstmitleid und Verkennung der Realität.

 

Es hat lange gedauert, bis Silvio Berlusconi auf seine Verurteilung zu vier Jahren Haft regierte. Sein nächtlicher TV-Auftritt geriet zur pathetischen Mischung von Selbstdarstellung und Größenwahn, in der sich der 76-jährige als unverstandener Vater der Nation bemitleidete und gegen das Ende seiner langen Karriere stemmte. Mit dickem make up und Tränen in den Augen übte sich der Cavaliere in der üblichen Richterschelte und kündigte mit gekünstletem Pathos eine Neugründung von Forza Italia an. Seine maßlose Selbstüberschätzung hat Berlusconi schon immer dazu verführt, sich mit den Protagonisten der Weltgeschichte in eine Reihe zu stellen. Er verglich sich mit Napoleon und Jesus, war in der Schule der Beste, als Milan-Präsident unerreicht, als Unternehmer der erfolgreichste: "Nur Bill Gates kann mich in den Schatten stellen." Seine Rede demonstrierte eindrücklich die gestörte Relitätswahrnehmung des Medienzaren. Er habe Italien zu Wohlstand und  internationalem Prestige geführt, behauptete der Cavaliere in seinem bizarr inszenierten Auftritt. Als Medienunternehmer hatte Berlusconi nach seinem Einstieg in die Politik schnell begriffen, daß diese nicht an ihren realen Erfolgen, sondern an ihrem Unterhaltungswert gemessen wird. Was nicht über den Bildschirm läuft, war für ihn stets uninteressant. Seine Fernsehanstalten waren der Nährboden seines politischen Erfolgs. Die seichte TV-Kultur, mit der er die Halbinsel überschwemmte, machte die Italiener zu einem Volk von Voyeuren und Selbstdarstellern, ließ jede 16-Jährige von einer Karriere als Showgirl träumen. In der Scheinwelt seiner Soap-Operas zählte Intellekt wenig und nackte Haut viel. Der Cavaliere passte sich dieser Welt an, glamourisierte politische Langeweile durch Skandale, Entgleisungen, Affären, Schmuddelgeschichten. In der bizarren Reality-Show der italienischen Politik trat er als Hauptdarsteller auf - mit maskenhaftem Make-up, transplantiertem Haar, Plateauschuhen und gekünstelter Jugendlichkeit. Weil ihn nicht die Realität faszinierte, sondern der Schein, wurde er zum Gefangenen der von ihm geschaffenen Welt und seiner Selbstsuggestionen. Berlusconi hat keine seiner populistischen Visionen realisiert - weder die von ihm proklamierte liberale Revolution noch die Erneuerung des erstarrten Landes, weder die oft angekündigte Steuersenkung noch die Halbierung der Arbeitslosenzahl. Sein im Mailänder Dialekt formuliertes Motto Ghe pensi mi  täuschte Aktivität vor, wo in Wirklichkeit Stillstand herrschte. Zur Mythisierung der eigenen Person scheute der Premier keinen Aufwand. Millionen Haushalte überschwemmte er mit Farbbroschüren, die ihn als fürsorglichen Familienvater und von seinen Bediensteten geliebten Unternehmer präsentierten. Wer seine Überschätzung nicht teilte, wurde als Feind betrachtet. Zur Presse hatte der stets nach Huldigung trachtende Premier ein gestörtes Verhältnis. Er appellierte an die Bürger, keine Zeitungen zu lesen, forderte die Unternehmer öffentlich auf, nicht in regierungskritischen Zeitungen zu inserieren, degradierte das Staatsfernsehen Rai zu einem seichten Berieselungssender nach dem Vorbild seines Mediaset-Konzerns. Das Parlament, Schauplatz des verachteten "teatrino politico", wurde vom Cavaliere entmündigt. Der geschichtsträchtige Palazzo Chigi, Amtssitz aller italienischen Regierungen, schien ihm unangemessen. Er regierte das Land aus seiner 145-Zimmer-Villa in Arcore und aus seiner römischen Privatresidenz Palazzo Grazioli. Politische Inhalte betrachtete er stets als Nebensache, wesentlich war die Verpackung. Die Gründung des Popolo della Libertà verkündete er vom Trittbrett seiner Limousine auf der Mailänder Piazza San Babila - wie immer im Alleingang. Wer sich wie Gianfranco Fini widersetzte, wurde gefeuert. Seine in Italien als "partito di plastica" verspottete Partei ähnelt einer Interessengemeinschaft zur Machtausübung und Postenvergabe. Nur die Allmacht des Cavaliere konnte das Konglomerat aus Postfaschisten, Katholiken, Liberalen, rechten Ultras, Republikanern und Sozialisten zusammenhalten. Nun ist der Blender und von seiner Eitelkeit Geblendete gestrauchelt. Sein Land hat er an den Rand des Abgrunds geführt. Seine Bettgeschichten haben längst die Qualität von Groschenromanen erreicht. Noch klammert sich der Gestrauchelte an die Macht und seine vielen Lakaien mit ihm. Doch das gestrige Urteil hat das Ende einer Ära eingeläutet, deren Bilanz für Italien in jeder Hinsicht folgenschwer ist. Noch hat der 76-jährige die Macht, auch die Regierung straucheln zu lassen. Italien wird sich auf einen turbulenten Ferienmonat August einrichten müssen.

 

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