Società | Flüchtlinge

Gelebte Gastfreundschaft

Südtirol könnte neue Flüchtlinge aufnehmen. Auch Hoteliers zeigen sich offen. Und die Zivilgesellschaft wird der Hilfsbereitschaft nicht müde, weder hier noch anderswo.

Bislang hat ihr Telefon noch nicht geläutet, weder das Regierungskommissariat noch das Innenministerium haben sich bei ihr gemeldet. Und doch steht für Martha Stocker klar: “Wenn wir dazu aufgerufen werden, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, werden wir da sein und unseren Teil beitragen.” Wie italienische Medien Anfang der Woche berichteten, ist das italienische Innenministerium derzeit auf der Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber. Insgesamt 20.000 Unterkünfte sollen in den kommenden Tagen und Wochen staatsweit ausgemacht werden. Die meisten Menschen werden in den Regionen Sizilien (15 Prozent), Lombardei (13 Prozent) und Lazio (9 Prozent) eine temporäre Bleibe finden. Soweit die Pläne des Innenministeriums.

Doch ist nicht ausgeschlossen, dass auch unsere Region und damit Südtirol weitere Flüchtlinge zugewiesen bekommt. Laut der geltenden Quotenregelung muss die Provinz Bozen 0,9 Prozent der in Italien ankommenden Flüchtlinge aufnehmen. Das wären bei einer Anzahl von 20.000 Menschen 180, die nach Südtirol geschickt werden könnten. Bisher hat man diesbezüglich beim Land aber wie erwähnt noch keine Bestätigung.

Doch neben Soziallandesrätin Stocker zeigen sich auch die Hoteliers des Landes gerüstet. Im restlichen Italien will das Innenministerium versuchen, die Flüchtlinge vor allem in Hotels, Campingplätzen und Residences unterzubringen. Viele dieser Strukturen stehen mit Ende der Sommersaison leer. Auch in Südtirol könnten Beherbergungsstrukturen, die aufgelassen wurden weil sie gewissen Maßstäben nicht mehr entsprechen, zur Unterbringung von Asylbewerbern herangezogen werden – ganz nach dem Beispiel des Hotel Alpi in Bozen. Der Vorschlag kommt von HGV-Präsident Manfred Pinzger. “Bisher haben die HGV-Mitglieder keinerlei Anfragen bekommen. Aber wir sind darüber informiert, für den Fall, dass entsprechende Anweisungen kommen”, so Pinzger im Gespräch mit der Tageszeitung Corriere dell’Alto Adige.

Derzeit sind in Südtirol 710 Flüchtlinge untergebracht. Die Hilfsbereitschaft unter der Bevölkerung ist nach wie vor groß. Im ganzen Land wurden Initiativen gestartet, um den Menschen, die hier auf die Bearbeitung ihres Asylantrags warten, ein Mindestmaß an Alltäglichkeit zu bieten. Fußballspiele, Ausflüge, um Land und Leute kennen zu lernen, Sprachkurse und gemeinsames Handwerken sind nur einige davon.

Wandern mit den "Wiesner Jungs". Bereits den zweiten Ausflug dieser Art haben die Bewohner des Flüchtlingsheims in Wiesen-Pfitsch hinter sich. Fotos: arminpost.blogspot.it

Anderswo können die Flüchtlinge von Normalität nur träumen. Trotz fertig gestellter Stacheldrahtmauer schaffen es viele Menschen derzeit doch, die serbisch-ungarische Grenze zu überqueren. Von Budapest versuchen sie, meist über Wien nach Deutschland zu gelangen. Vor dem Bahnhof der ungarischen Hauptstadt kam es in den vergangenen Tagen und Stunden zu Protesten. Zuletzt hatte Ungarn überraschend Hunderte Flüchtlinge ungehindert weiterreisen lassen. Am Dienstag dann aber den Bahnhof abgeriegelt. Zahlreiche Flüchtlinge protestierten, sie wollen ihre Reise fortsetzen.

Wer es schafft, einen der Züge Richtung Westen, zu erwischen, wird anderswo wesentlich gastfreundlicher empfangen. Insbesondere in Wien und München ist dieser Tage viel von der oft zitierten Willkommenskultur zu spüren. In der bayrischen Landeshauptstadt wurden am Dienstag hunderte ankommende Flüchtlinge mit Brezen und Plüschtieren empfangen. Den Großteil der Arbeit leisten auch – ähnlich wie in Südtirol – Privatpersonen. Doch auch die Münchner Polizei informiert regelmäßig über ihren Twitter-Account, was an Sachspenden gebraucht wird. Und bedankt sich bei den Bürgern der Stadt für ihre unglaubliche Hilfsbereitschaft.

Auch die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) setzen auf Kommunikation. Am Westbahnhof in Wien, an dem zuletzt zahlreiche Flüchtlinge aus Ungarn in Regionalzügen ankamen, schalteten die ÖBB Sonderinformationen auf den Bildschirmen am Bahnhof:

 

Foto: Twitter

Während sich drinnen Freiwillige um die Flüchtlinge kümmern, gehen draußen Tausende auf die Straße. Unter dem Motto “Mensch sein in Österreich” versammelten sich am Montagabend 20.000 Menschen vor dem Westbahnhof und zogen in die Innenstadt. Friedlich protestierten sie für bessere Bedingungen für Flüchtlinge in Österreich.

Zahlen und Fakten zum Thema Flüchtlinge und Asyl findet man zum Beispiel auf der Seite von Spiegel Online, La Repubblica, oder der Südtiroler Freiwilligen an den Bahnhöfen von Bozen und Brenner.